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Wo sind die Störche?

Rund um Görlitz sind mehr Nester als sonst leer geblieben. Naturschützer vermuten: Den Tieren fehlt es an Nahrung.

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© Steffen Unger

Von Anja Gail

So ein Anblick von Jungstörchen wie auf unserem Foto wird naturverbundenen Menschen rings um Görlitz in diesem Jahr an vielen Nistplätzen verwehrt bleiben. Von den Nestern sind mehr als in den Jahren zuvor nicht besetzt. Im unmittelbaren Görlitzer Umland gibt es in Reichenbach und in zehn Dörfern Storchenhorste. Doch nach Buchholz, Melaune, Königshain, Holtendorf und Ebersbach sind die stattlichen weiß und schwarz gefiederten Schreitvögel nicht zurückgekehrt. Mancherorts, so wie in Buchholz und Ebersbach, ist das nicht erst seit diesem Frühjahr der Fall.

Weißstorch-Nistplätze im Görlitzer Umland
Weißstorch-Nistplätze im Görlitzer Umland © SZ-Grafik

„Unsere Gäste in der Pension vermissen die Störche und ich auch“, erzählt Hans-Joachim Schmidt aus Ebersbach. Nur wenige Schritte von der Pension entfernt auf einer Wiese steht ein Mast mit der Nisthilfe. Doch der Platz ist genauso verwaist wie das Nest, das sich die Vögel schräg gegenüber auf einem Schornstein des Agrarbetriebes gebaut haben. Es seien zwar kurz Störche da gewesen, erzählt Herr Schmidt. Aber sie sind wieder davongeflogen. Dabei hatten die Tiere den Horst auf der feuchten Wiese unweit des Weißen Schöps‘ anfangs angenommen. Ihr ursprünglicher Nistplatz befand sich viele Jahre lang auf der Richtereiche. Doch der alte Baumriese war krank und musste gefällt werden. „Diese Vögel sind sehr sensibel und klug“, sagt Herr Schmidt. Für ihr Fernbleiben sieht er die fehlende Nahrung als Hauptgrund an. „Ich höre hier ja kaum noch Frösche quaken.“

In der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands wird der Weißstorch als gefährdete Vogelart geführt. Deutschlandweit gesehen nimmt die Zahl der Brutpaare zwar zu. Gebietsweise kommt es jedoch zu drastischen Rückgängen. In Sachsen gab es 1998 noch 403 Brutpaare. Im vorigen Jahr waren es nur noch 298. In der Oberlausitz liegt heute ein Schwerpunkt im Vorkommen des Weißstorches in Sachsen. Dabei war er hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch sehr selten zu finden. Erst seit Mitte der 1950er Jahre nahm der Bestand kontinuierlich zu. Allerdings sei seit mehreren Jahren auch hier wieder ein zum Teil deutlicher Rückgang zu beobachten, sagt Annett Hertweck vom Förderverein für die Natur der Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft. Der Erfassung zufolge gab es im Jahr 2008 im Landkreis Görlitz 55 Brutpaare mit 113 Jungen. Im vorigen Jahr waren es nur 38 Elternpaare mit 41 Jungtieren. Dabei wechseln sich gute und schlechte Jahre ab, aber der Abwärtstrend hält momentan an. Der Förderverein bemüht sich dabei vor allem um den Erhalt von Lebensräumen und Nistplätzen. Er betreut zurzeit um die 40 Storchenhorste in Ostsachsen. Das Nest in Melaune ist eins davon. Es wurde erst in diesem Frühjahr abgetragen, weil sich zu viel Material aufgetürmt hatte.

Den Störchen drohen viele Gefahren

Aber der Zustand der Nistplätze allein ist oftmals nicht der Grund für das Fernbleiben der Tiere. Das kann viele Ursachen haben, sagt Naturschutzhelfer Siegmar Plesky aus Holtendorf. Die Störche müssen zwischen ihren Brut- und Winterquartieren lange Strecken zurücklegen, auf denen Gefahren drohen. Wenn sie aus der Oberlausitz über den Bosporus und die Sinai-Halbinsel bis nach Ost- und Südafrika ziehen, legen sie bis zu 10 000 Kilometer zurück. Dafür benötigen sie um die anderthalb Monate. Hunger, Bejagung und Unglücke drohen nicht nur auf diesem Weg, sondern auch in den Winter- und Brutquartieren. Zwischen Mitte und Ende April müssten sie spätestens an ihren Brutplätzen in der Oberlausitz eingetroffen sein, sagt Siegmar Plesky. Die Betreuung der Horste sollte funktionieren. Aller fünf Jahre sei es zum Beispiel gut, die Nester zu durchlöchern, damit das Problem der Staunässe gar nicht erst entsteht. Manchmal können die Nester von unten her zu dicht sein, sodass kein Wasser abfließen kann. Bei Starkregen können die Jungen dann ertrinken. Achtsamen, naturliebenden Menschen ist es da zu verdanken, wenn noch rechtzeitig eingeschritten werden kann. Der Förderverein ist ein Ansprechpartner. Hilfe in Notsituationen kann auch die Naturschutzbehörde im Landkreis Görlitz vermitteln. Verletzte und verstoßene Störche nimmt die Wildtierauffangstation im Görlitzer Tierpark auf.

„Die Vögel reagieren nach ihrem Instinkt“, erklärt Siegmar Plesky. Wenn sie zu wenig Nahrung finden, bleiben sie fern. Das sei das Hauptproblem. Auch ihre Jungen können sie dann nicht weiter aufziehen. So passiert es, dass sie manchmal ihren Nachwuchs aus dem Nest schmeißen oder ihn verlassen. Beim Kontrollieren der Krötenschutzzäune in diesem Frühjahr sei ihm aufgefallen, dass bedeutend weniger Amphibien in den Eimern landen als in vergangenen Jahren. Das Ergebnis sei niederschmetternd. Von Eidechsen und Froschlurchen ernährt sich der Weißstorch, aber genauso von Kleinsäugern, Schlangen, Fischen, großen Insekten, ihren Larven und Regenwürmern. In seltenen Fällen holt er sich auch Eier und Junge von Bodenbrütern.

Tipps für ordentliche Horste

Durch die intensive Bewirtschaftung von Wiesen und Feldern, durch Düngung, Schädlings- und Unkrautbekämpfungsmittel geht jedoch der Bestand von Tierarten zurück, die der Storch als Nahrung benötigt. Boden und Wasser sind mit Schadstoffen belastet, Feuchtwiesen vernichtet worden, Gräben verrohrt. Der Anbau von Monokulturen auf den Äckern komme noch hinzu, erklärt der Holtendorfer. Anderswo sei die Nahrungskette intakter. Die besetzten Nester in Zodel, Groß Krauscha, Goßwitz, Reichenbach, Gersdorf und Pfaffendorf sind Beispiele dafür. Kleine naturbelassene Gewässer, unbebaute Flussniederungen, feuchte Wiesen und Gärten wirkten sich hier positiv aus. Wiesen sollten deshalb artgerecht gepflegt, Feuchtgebiete geschützt werden, sagt Annett Hertweck vom Förderverein. Eine Aufgabe, der sich auch der Landschaftspflegeverband Oberlausitz in Reichenbach annimmt. Für Störche, die auf Strommasten nisten, können Leitungen gefährlich werden. Deshalb sollten Spezialunterlagen, die das Nest etwa einen Meter über die Spitze des Mastes heben, sowie Isolierungen an den Leitungen in Nestnähe angebracht werden. Stromleitungen sind für die meisten Horste im Görlitzer Umland kein Problem. Sie befinden sich auf Schornsteinen und Betonmasten, die extra für die Tiere aufgestellt und mit Nisthilfen ausgestattet wurden. Wichtig bei den jeweiligen Standorten ist aber auch ein sicherer An- und Abflug. Störende Äste sollten beseitigt werden.

Dass die Störche vielen Menschen am Herzen liegen, zeigt die große Freude über ihre Anwesenheit. „Mir würde etwas fehlen, wenn sie nicht klappern, auch wenn es schon in der Frühe damit losgeht“, sagt ein älterer Herr in Goßwitz, der gegenüber vom Schornstein mit dem Nest wohnt.