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Wie die Bürgerwehr Angst verbreitet

Seit dem Frühjahr sind die selbst ernannten Wächter auch in Freital unterwegs – zuletzt immer radikaler. Jetzt wurden sie verhaftet.

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© Screenshot SZ

Von Andrea Schawe

Freital. Angefangen hat alles im April 2015. Zwei Marokkaner sollen in der Buslinie 360 von Altenberg nach Dippoldiswalde Schüler belästigt und geschlagen haben. Daraufhin gründet sich die Facebookseite „Bürgerwehr FTL/360“. Über 2 600 Leute klicken bis Donnerstag „gefällt mir“. Das Ziel der Truppe: Regelmäßig in Bussen patrouillieren, um „für Ordnung und Sicherheit zu sorgen“. Besonders am Wochenende von 19 bis 2 Uhr sollen die Anhänger der Bürgerwehr in den Bussen der Linie A unterwegs sein. „Alles verlief Ruhig. Außer die letzte Runde. Da waren 20 Asylbewerber vom Heim drin und hörten Laut Musik“, heißt es auf der Facebookseite zu einer Fahrt im Mai. Die Freitaler sollen sofort die Polizei rufen und Anzeige erstatten, wenn sie „sehen das Asylbewerber euch anmachen oder jemand anders“, heißt es (Fehler jeweils im Original).

Kopf der Bürgerwehr ist Timo S., hauptberuflich ist er Busfahrer beim Regionalverkehr Dresden, genauso wie sein Kumpel Philipp W. Beide engagierten sich auch im Umfeld von „Freital wehrt sich“, genau wie weitere Mitglieder der Bürgerwehr. Am Donnerstag hat die Polizei neun Wohnungen in Freital und Dresden durchsucht, unter anderem die von Timo S. Er sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft, gegen ihn liegen zwei Haftbefehle vor. Außerdem ermitteln die Beamten gegen weitere Mitglieder der Bürgerwehr, zwei Männer und eine Frau wurden ebenfalls vorläufig festgenommen.

Denn bei Patrouillen in Bussen bleibt es nicht. Erst ruft die Bürgerwehr dazu auf, die Demonstration der Organisation für Weltoffenheit und Toleranz zu blockieren. Im Sommer mischt die Truppe bei den Spontandemos vor dem ehemaligen Leonardo-Hotel mit. Sie sollen nach Angaben der Staatsanwaltschaft am 24. Juni nach einer der Demos das Fahrzeug von Pro-Asyl-Aktivisten auf der Heimfahrt von Freital nach Dresden bedrängt haben. An einer Tankstelle auf der Tharandter Straße steigt einer der Verfolger aus dem Wagen und schlägt unvermittelt mit einem Baseball-Schläger auf die Windschutzscheibe des Autos der Pro-Asyl-Aktivisten ein. Ein Insasse des Pkw wird dabei verletzt.

Eine Chronik der Anschläge in Freital

6. März 2015: Bei der ersten Anti-Asyl-Demonstration versuchen einige Teilnehmer, die geplante Route zu verlassen. Leuchtraketen fliegen, Böller explodieren. Ein Pressefotograf wird angerempelt.

20. April 2015: Zwei Männer versuchen einen Brandsatz, in das Asylbewerberheim im Hotel „Leonardo“ zu werfen. In unmittelbarer Nähe und in Wurfdistanz zur Unterkunft können diese gerade noch von Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes überwältigt werden.

30. April 2015: Unbekannte werfen einen Stein durch ein Fenster der Asylbewerberunterkunft im Ex-Leonardo-Hotel und verletzen damit einen Bewohner am Kopf

1. Mai 2015: Während der Demonstration „Nein zum Heim“ wird ein Fotograf erst bedroht, dann verfolgt und letztendlich attackiert.

4. Mai 2015: Unbekannte werfen zwei Feuerwerkskörper in bzw. auf das Gelände des Leonardo-Hotels. Die Explosion löst Feueralarm aus und blockiert eine Sicherheitstür.

5. Mai 2015: Am Abend attackieren drei junge Männer einen Asylsuchenden. Er ist auf dem Weg zur Unterkunft im „Hotel Leonardo“. Sie beschimpfen ihn und schlagen den Mann mit einer Flasche und mit Fäusten. Als er zu Boden geht, treten sie ihn.

23. Mai 2015: Am Nachmittag attackieren rund zehn Personen einen Asylsuchenden am Bahnhof Freital-Deuben. Sie sprühen ihm Pfefferspray ins Gesicht und schlagen ihn. Er erlitt leichte Verletzungen.

22. Juni 2015: Asylfeinde versammeln sich angeblich spontan vor dem Leonardo-Hotel, darunter Pegida-Chef Lutz Bachmann. Es fliegen Böller.

24. Juni 2015: Unbekannte verfolgen Demonstranten vom Leonardo-Hotel bis nach Dresden. An einer Tankstelle überfallen sie diese und schlagen die Scheiben ihres Autos mit Baseballschlägern ein. Im Auto sitzt auch der Sohn von SPD-Chef Martin Dulig.

26. Juni 2015: Flüchtlingsunterstützer werden auf dem Weg vom Leonardo zu ihren Autos und Bussen angegriffen und mit Gegenständen beworfen. Eine Person wird dabei mit einem Behälter, gefüllt mit Rattengift, am Kopf getroffen und erleidet schwere Augenverletzungen.

6. Juli 2015 Auf einer Bürgerversammlung werden Unterstützer unter den Augen des Sicherheitspersonals und des sächsischen Innenministers Markus Ulbig beleidigt, angepöbelt, bedroht und sogar körperlich angegangen. Eingegriffen wird nicht.

27. Juli 2015: Das Auto des Linken-Abgeordneten Michael Richter wird in der Nacht durch einen Sprengkörper zerstört. Bürgerwehr und Co. erfreuen sich an dem Anschlag und verdächtigen Richter des Versicherungsbetruges.

10. August 2015: Der Briefkasten eines Mitglieds der Organisation für Weltoffenheit und Toleranz wird nachts mit einem Sprengsatz zerstört.

10. September 2015: Aus der Demonstration der Vereinigung „Europa 2.0“ heraus werden Beobachter und deren Fahrzeuge abfotografiert und später angegriffen. Die Bilder werden am nächsten Tag auf der Facebookseite der Bürgerwehr veröffentlicht.

19./20. September 2015: Anschläge auf Linken-Büro und Asylbewerberwohnung in der Freitaler Bahnhofstraße.

1. November 2015: In der Nacht wird vor einer Flüchtlingsunterkunft ein Sprengsatz gezündet. Fensterscheiben gehen zu Bruch, ein 26-jähriger Syrer wird im Gesicht verletzt.

5. November 2015: Brandanschlag auf den ehemaligen Real-Markt. Er soll Gerüchten zufolge Asylunterkunft werden.

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Danach ist die Bürgerwehr auf allen Demos in der näheren Umgebung präsent: Sie sind in der Bremer Straße in Dresden, als dort das Zeltlager für Flüchtlinge errichtet wird und Baustellenbaken auf Gegendemonstranten fliegen. Auf den Krawallvideos der Ausschreitungen in Heidenau Ende August ist Timo S. zu identifizieren. Zu den Demos vor dem Praktiker-Markt organisiert die Bürgerwehr über Facebook sogar Mitfahrgelegenheiten. Zwei Tage nach den Krawallen warnt Timo S. auf seiner Facebook-Seite „alle, die in Heidenau, Freital oder in der Zeltstadt dabei waren“ vor angeblich bevorstehenden Hausdurchsuchungen.

Zuletzt: Dresden-Übigau. „Übigau wir werden weiterhin euch unterstützen, und fachmännische Hilfe leisten. So sieht Widerstand aus und bleib am Ball“ , heißt es zu den Anwohnern, die tagelang eine Turnhalle blockieren, in die Asylbewerber einziehen sollen. Kurz danach wird ein alternatives Wohnprojekt in der Nähe mit Sprengstoff und Buttersäure angegriffen. Auch daran ist laut Staatsanwaltschaft die Bürgerwehr beteiligt.

In Freital häufen sich die Anschläge mit Sprengstoff – immer mit illegalen Böllern. Erst fliegt das Auto des Linken-Stadtrats Michael Richter in die Luft, dann das Büro auf der Dresdner Straße – „Versicherungsbetrug“ mutmaßt die Bürgerwehr und postet Bilder, die vom Fahrersitz eines Regional-Busses aufgenommen sind. Dann wird die Wohnung von Asylbewerbern auf der Bahnhofstraße angegriffen, am vergangenen Wochenende eine auf der Wilsdruffer Straße. Ein Syrer wird durch Glassplitter verletzt. An diesem Anschlag sollen Timo S. und eine 27-jährige Freitalerin beteiligt gewesen sein, die Donnerstag ebenfalls festgenommen wurde. Schon Anfang Oktober wurden in den Autos von Timo S. und Philipp W. bei einer Verkehrskontrolle mehrere illegale Feuerwerkskörper gefunden.