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Wenn’s aus dem Smartphone „Allahu akbar“ ruft

Dann gibt’s bei den Sidos aus Syrien endlich was zu essen. Aber nur ein Familienmitglied nimmt den Ramadan ernst.

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© Thomas Kretschel

Von Olaf Kittel

Wie werden Rozan und Roshan Sido drauf sein, abends 20 Uhr, eine Stunde vor dem Fastenbrechen? Nach mindestens 14 Stunden ohne Nahrung und, vor allem, ohne einen Tropfen Wasser? Man liest ja jetzt viel von gereizten jungen Männern, die abends in den Flüchtlingsunterkünften Ärger machen. Manchmal angeblich nur, weil sie lange nach dem Essen anstehen müssen oder es dann nur Makkaroni gibt.

Aber Rozan Sido sieht aus wie das blühende Leben. Kein Wunder: Er fastet nicht, obwohl das im Ramadan eigentlich Vorschrift ist für gute Moslems. Aber Rozan nimmt es nicht so genau damit. In seiner syrischen Heimat hat er mitgemacht, weil die Kollegen auch fasteten. Aber hier? Seit einem halben Jahr ist er als Elektriker in einer Dresdner Firma für Lichtinstallationen beschäftigt, für ihn ist die Arbeit sehr wichtig. Gerade erst hat er die Probezeit überstanden und ist jetzt fest angestellt. Sein Chef ist mit ihm sehr zufrieden.

Seine Frau Roshan ist zwar etwas blass, aber von Gereiztheit keine Spur. Sie bittet herein und erklärt, dass es jetzt noch eine gute Stunde bis zum Sonnenuntergang nichts zu essen geben wird. Wie jeden Tag im Ramadan, der in diesem Jahr vom 16.  Mai bis zum 14. Juni dauert. Der Zeitpunkt richtet sich nach dem islamischen Mondkalender. Moslems dürfen in dieser Zeit von Sonnenaufgang an nichts mehr zu sich nehmen. Eine harte Zeit, gerade jetzt, wenn die Nächte, in denen man essen kann, besonders kurz sind und die Tage besonders lang. Roshan hält sich strikt daran, verrichtet ihr Gebet fünfmal am Tag und lässt sich dazu sogar um 2 Uhr wecken. Dann isst und trinkt sie noch etwas. Wenn sie tagsüber für den Abend kocht und das Essen abschmeckt, spuckt sie die Kostproben wieder aus und spült den Mund. Nichts darf in den Magen gelangen. Sogar das Kaugummikauen ist geregelt: Erlaubt ist nur geschmackloser. Wenn ihr Mann nach der Arbeit was essen will, muss er selber an den Herd, er macht damit gerade ganz neue Erfahrungen.

Der Fastenmonat dient der inneren Einkehr, böse Worte sind in dieser Zeit verboten, Hilfe für Arme eine Pflicht. Wem hilft Roshan? „Hier gibt es doch keine Armen“, meint sie. „Niemand hungert oder muss auf der Straße schlafen.“ Deshalb schickt sie zwei oder drei Euro an Menschen in der Heimat, nach Aleppo oder Afrin, die es nötig haben und denen damit geholfen ist. Aber wieso nimmt sie es so genau mit den Vorschriften, obwohl sie doch vor wenigen Wochen erklärt hat, dass sie keine Muslima mehr sein will? „Ich gehe in keine Moschee mehr, lasse mir von keinem Imam mehr etwas erzählen, schon gar nicht von Leuten wie Assad oder Erdogan.“ Ihren Glauben an Gott aber will sie sich nicht nehmen lassen und lebt ihn deshalb still. „Ich tue nur noch das, was mein Herz mir sagt.“

Roshan tut diese Zeit gut, der Verzicht und die innere Einkehr, Aber sie gibt zu, dass sie gern bei dieser Gelegenheit zwei, drei Kilo abnimmt. Auch deshalb ist der Ramadan bei Frauen beliebter als bei Männern. Sie freut sich schon auf jenen Tag gegen Ende des Ramadans, wenn sich alle Fastenden etwas wünschen dürfen. Noch verrät sie nicht, was das sein wird. Schade findet sie, dass sie die drei Urlaubstage, die nach dem Fastenmonat folgen, hier nicht leben kann. Dann ziehen in ihrer Heimat die Menschen zu Freunden und Verwandten, schwatzen und essen und sind froh. Der kleine Kreis von Freunden aus der Heimat traut sich das hier nicht.

Kurz vor 21 Uhr beendet sie das Gespräch abrupt, sie muss in die Küche, das Abendessen vorbereiten. Im Ramadan fällt es üppiger aus als sonst. Ihr Lieblingsgericht Mloheje trägt sie auf, ein spinatähnliches Gemüse mit Hühnchen, dazu Reis mit Fadennudeln. Tomaten und Gurken. Dazu gibt es Wasser und Ayran, ein Joghurtgetränk. Ganz wichtig sind Datteln im Ramadan, Süßigkeiten überhaupt. Treffen sich mehrere Moslems abends zum Essen, sind es denn eher sechs verschiedene Kuchen als nur einer. 21.10 Uhr ist die Familie am Tisch versammelt, die Kinder sind dabei, die natürlich nicht fasten. Aber keiner rührt die Speisen an, alle warten gespannt. Bis es plötzlich „Allahu akbar“ (Gott ist groß) aus dem Smartphone schallt. Der Ruf als Zeichen, dass nun die Sonne untergegangen und das Essen wieder erlaubt ist. Ein besonderer Gag von Familie Sido, sie hat immer noch Spaß daran.