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Wenn der Darm nicht mehr kann

In der Falkenstein-Klinik Bad Schandau lernen Patienten mit Dickdarmkrebs oder Morbus Crohn, ihre Krankheit anzunehmen.

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© Ronald Bonß

Von Steffen Klameth

Früher konnte Franz Nowak Türen und Fenster durch die Gegend tragen, als seien sie aus Pappe. „Heute hänge ich dran wie ein Schluck Wasser“, sagt der 36-Jährige, der in der Nähe von Bautzen lebt. Zwischen Früher und Heute liegen reichlich 16 Jahre. Ein Leidensweg, der ziemlich seltsam begann: „Eines Tages hatte ich plötzlich ganz dicke Lippen“, erinnert er sich. Er bekam Medikamente, aber die Krankheit kehrte immer wieder zurück.

Dr. Uwe Häntzschel, Falkenstein-Klinik in Bad Schandau.  Der leitende Arzt wirkte maßgeblich am Therapiekonzept der Rehaklinik mit. „Es ist ein Glück zu arbeiten“, sagt der 76-Jährige, der seinen Chefarztposten in der Abteilung für Verdauungs- und Stoffwe
Dr. Uwe Häntzschel, Falkenstein-Klinik in Bad Schandau. Der leitende Arzt wirkte maßgeblich am Therapiekonzept der Rehaklinik mit. „Es ist ein Glück zu arbeiten“, sagt der 76-Jährige, der seinen Chefarztposten in der Abteilung für Verdauungs- und Stoffwe © Ronald Bonß

Die Ursache entdeckten die Ärzte erst, als der junge Mann ein paar Jahre später wegen einer Fistel am Hintern ins Krankenhaus kam: Morbus Crohn, eine entzündliche Darmerkrankung. Bei mehreren OPs wurden nach und nach besonders betroffene Darmabschnitte entfernt und ein künstlicher Ausgang gelegt, nach einem starken Schub im Mai dieses Jahres verlegten die Ärzte das Stoma auf die rechte Seite. Beide Male war er im Anschluss zur Reha in der Falkenstein-Klinik im Bad Schandauer Ortsteil Ostrau. „Ich war total geschwächt, hatte 20 Kilo verloren“, sagt der Patient.

Die Klinik

Als Franz Nowak das erste Mal die Klinik sah, war er beeindruckt: Weit reicht der Blick von dem Plateau oberhalb der Elbe, die Felsen der Sächsischen Schweiz scheinen zum Greifen nah. „Die Natur ist genauso Bestandteil unserer Therapie wie die Ernährung“, sagt der stellvertretende Chefarzt Dr. Uwe Häntzschel. „Wir behandeln Patienten mit gastroenterologischen, Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“ Die Falkenstein-Klinik ist damit eine von vier in Sachsen, die sich auf die stationäre Rehabilitation von Patienten mit Verdauungs- und/oder Stoffwechselstörungen spezialisiert haben.

Entsprechend vielseitig ist der Speiseplan: Die einen bekommen mittags ein Drei-Gänge-Menü mit Szegediner Gulasch als Hauptspeise, die anderen müssen sich mit einer Rinderkraftbrühe begnügen. Dazwischen gibt es eine Vielzahl weiterer Angebote für jede erdenkliche Ernährungsform und Unverträglichkeit: leicht oder vegetarisch, lactosefrei oder fructosearm, Schon- oder LOGI-Kost.

Die Kombination der Fachgebiete, die moderne Ausstattung und ein kompetentes Mitarbeiterteam sind für Häntzschel die entscheidenden Dinge, mit denen die Falkenstein-Klinik punkten kann – und die außergewöhnliche Lage.

Die Erkrankungen

Die Gastroenterologie beschäftigt sich mit Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts und der damit verbundenen Organe Leber, Gallenblase und Bauchspeicheldrüse (Pankreas). Eng damit verbunden ist der Stoffwechsel, also die Umwandlung von Nährstoffen und Sauerstoff in Energie. Beide Fachgebiete werden deshalb häufig in einem Atemzug genannt und in der Medizin oft auch von den gleichen Ärzten behandelt. Eingriffe am Darm führten vergangenes Jahr die Liste der häufigsten Operationen in deutschen Krankenhäusern an. Bei den stationären medizinischen Reha-Leistungen machen die Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen laut Deutscher Rentenversicherung etwa vier Prozent aus.

Die Patienten

Ein Teil der gastroenterologischen Patienten kommt nach einer Krebsbehandlung nach Ostrau. „Sie sind von der Operation und den folgenden Therapien geschwächt, können nur wenig essen, vielleicht den Stuhl nicht mehr halten oder haben andere Einschränkungen“, sagt Häntzschel. Er beobachtet in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme an Patienten mit Dickdarmkrebs. Die zweite Gruppe sind Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, insbesondere Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Laut Häntzschel sind in Deutschland rund 500 000 Menschen davon betroffen, darunter viele junge Leute. Sie leiden unter Durchfall (auch blutig), Bauchschmerzen, Gewichtsverlust und Mitreaktionen anderer Organe. Zum Teil haben sie auch schwerwiegende psychosoziale Probleme.

Dazu können Entzündungen an anderen Organen kommen. Erkrankungen des Pankreas sind unter anderem Folge eines ungesunden Lebensstils. „Hier geht es darum, die Funktion des geschädigten oder entfernten Organs zu ersetzen“, erklärt der Arzt, der auf diesem Gebiet geforscht hat. Häufigste Erkrankung in diesem Zusammenhang sei der Typ-3-Diabetes-mellitus.

Zahlreiche Patienten leiden unter einer Divertikulitis (einer Entzündung im Dickdarm) oder haben Probleme mit der Wundheilung. Andere müssen sich an ein Stoma – einen künstlichen Darmausgang – gewöhnen. Bei Patienten mit Stuhlverstopfung, Reizdarm und Nahrungsunverträglichkeiten setzt die Reha-Klinik die Diagnose fort, um die genauen Ursachen der Unverträglichkeit zu finden. „Wir arbeiten wie Detektive“, sagt Häntzschel. Patienten mit Stoffwechselproblemen wie Diabetes und Gicht sowie mit krankhaftem Übergewicht (Adipositas) machen in Ostrau etwa ein Drittel aus und sind auf einer eigenen Station untergebracht. Häntzschel: „Hier ist meist eine Umstellung des Lebensstils gefragt.“

Die Therapien

Jeder Patient erhält einen individuellen Behandlungsplan. Bei der Mehrzahl gehe es darum, die Defizite nach einer Operation auszugleichen, sagt Häntzschel. „Die Patienten sollen Kraft schöpfen, mehr Beweglichkeit und Ausdauer gewinnen.“ Aber auch der Umgang mit den Folgen der Krankheit müsse gelernt werden: Wie spritzt man Insulin? Wie geht man mit einem Stoma um? In Ostrau hat man dafür einen treffenden Namen: Fahrschule.

Das Reha-Konzept der Falkenstein-Klinik fußt – neben den Medikamenten und der psychosozialen Betreuung – auf vier Säulen: Ernährung, Bewegung, Entspannung, Natur. „Ernährung ist mehr als nur Essen“, betont der frühere Chefarzt. Es gehe um Energie- und Flüssigkeitszufuhr, aber auch ums Kochen und kulturvolles Speisen. Ernährungsberatung findet sowohl individuell als auch in der Gruppe statt. Dafür steht auch eine Lehrküche zur Verfügung. Die Patienten lernen, wie man sich gesund ernährt und auf welche Nahrungsmittel sie künftig verzichten sollten.

Die Physio- und Bewegungstherapie zielt auf die Verbesserung der Kondition, den Aufbau von Muskelmasse und – bei übergewichtigen Patienten – auf einen Abbau von Körperfett. Bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen könnte durch Bewegung auch der Appetit angeregt und der Abbau von Entzündungsstoffen gefördert werden.

In der Falkenstein-Klinik verfolgen die Ärzte einen ganzheitlichen Ansatz. „Die Gesundheit wird immer auch von psychischen und sozialen Faktoren beeinflusst“, sagt Häntzschel. Oft beginne das Leiden mit einem Schicksalsschlag in der Familie oder einem Kindheitstrauma. Oder die Krankheit führe zu einer Belastung der Beziehung und des Berufslebens. Neben der Schmerztherapie haben deshalb Stressabbau, Entspannungsübungen und die psychosoziale Beratung einen hohen Stellenwert in der Therapie: „Die Patienten müssen auch lernen, ihre Krankheit anzunehmen.“

Die Reha-Dauer

Eine Reha bei Verdauungs- und Stoffwechselstörungen dauert in der Regel drei Wochen. In begründeten Fällen kann auch eine Verlängerung beantragt werden.

Der Reha-Erfolg

Die große Mehrzahl der Patienten verlasse die Reha-Klinik gestärkt. Dr. Häntzschel verweist auf Studien, wonach mit einer Reha auch bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen die Häufigkeit und die Schwere von Schüben sinken und die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit wiederhergestellt werden kann. Ist die Rückkehr in den alten Beruf nicht möglich, werden zum Beispiel Umschulungen als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben angeboten. Bei einem kleinen Teil der Patienten können Ärzte, Therapeuten und Pfleger das Leid nur noch lindern. „Dann steht die palliative Betreuung im Vordergrund“, erklärt Dr. Häntzschel. Auch hier leiste die psychosoziale Betreuung einen wichtigen Beitrag.

Franz Nowak geht es seit der neuerlichen Reha merklich besser. Er sei viel gelaufen und habe viel Krafttraining gemacht, berichtet er. „Jetzt bin ich viel fitter.“ Nur in seinen alten Beruf als selbstständiger Tischler wird er nicht mehr zurückkehren können. Stattdessen schult er zum technischen Produktdesigner um – und will auch zu Hause fleißig trainieren.

Teil 1

Eine Übersicht zum Reha-Angebot in Sachsen

VIDEO: Peter Escher im Gespräch mit der Rentenversicherung

Teil 2

Was bringt eine Reha bei Krebs?

Wer hat Anspruch auf eine Reha?

Reha ist nicht gleich Reha

Teil 3

Auszeit mit Kind

Meine Rechte, meine Pflichten

Wenn der Antrag abgelehnt wird

Wer ist zuständig?

Teil 4

Interview: Wie gut sind Sachsens Kliniken?

Die Qualität ist ein Betriebsgeheimnis

Nichts vergessen. Eine kleine Packliste.