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Wenn dem Pflegedienst der Weg zu weit ist

Nach einer Operation braucht Dieter Krabel im Königsteiner Ortsteil Halbestadt Hilfe. Er erhält nur Absagen – wegen der beschwerlichen Anfahrt.

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© Norbert Millauer

Von Yvonne Popp

Von der Veranda aus hat man freie Sicht auf Königstein und die Festung. Hinter dem Haus steigen Wiesen an bis zum Wald, aus dem sich weiter oben der Lilienstein erhebt. Keine Frage, Rita und Dieter Krabel wohnen an einem malerischen Fleckchen im Königsteiner Ortsteil Halbestadt.

Doch das hat seinen Preis, denn Halbestadt liegt zwar nicht unbedingt abgelegen, ist aber nur von Bad Schandau aus über eine einzige schmale Straße entlang der Elbe zu erreichen. Zwei Pkws passen dort kaum aneinander vorbei, zudem ist die Straße als verkehrsberuhigter Bereich ausgewiesen. Man kann also im wahrsten Sinne nicht schnell mal nach Halbestadt fahren.

Und genau dieser Umstand ist es, der den Krabels inzwischen große Sorgen bereitet, denn Dieter Krabel ist gesundheitlich angeschlagen. Der ehemalige Wismut-Bergarbeiter leidet an Erkrankungen, die ihn in seiner Mobilität stark einschränken. Die Pflegestufe zwei hat er deshalb schon zuerkannt bekommen. Trotzdem konnte er, mit Unterstützung seiner Frau, den Alltag bisher gut allein meistern.

Im Frühjahr aber musste sich Dieter Krabel am Dresdner Universitätsklinikum einer schweren Operation unterziehen. Nach seiner Entlassung, so war es von den Ärzten angedacht, sollte über sechs Wochen hinweg die Wundversorgung täglich von einem Pflegedienst übernommen werden. Die Uniklinik selbst wollte sich zunächst um einen Pflegedienst kümmern, konnte dafür aber niemanden gewinnen. In einem Telefonat, welches Dieter Krabel zufällig mit anhörte, wurde den Ärzten rundheraus mitgeteilt, dass man nach Halbestadt nicht fahre.

Rita Krabel ließ sich davon nicht entmutigen und kümmerte sich auf eigene Faust. Sie telefonierte verschiedene Dienstleister in Königstein und Umgebung ab. Erfolglos. „Fünf Pflegedienste haben abgelehnt, zu uns nach Halbststadt zu kommen“, erzählt sie. Enttäuscht ist sie vor allem über die Begründungen, mit denen man ihre Anfrage abgelehnt hatte. So gaben einige Pflegedienste an, kein Personal frei zu haben, einem weiteren war die Elbfähre zu teuer, mit der man von der Königsteiner Altstadt nach Halbestadt übersetzen kann. Das Ticket für Hin- und Rückfahrt kostet zwei Euro. Der nächste schob die geplante Sanierung der Straße zwischen Halbestadt und Bad Schandau vor. „Dabei wird doch erst frühestens in zwei Jahren mit dem Bau begonnen“, ärgert sich Rita Krabel.

Sie und ihr Mann glauben, dass all die Absagen ausschließlich auf die zeitraubende Anfahrt zurückzuführen sind. Und damit scheinen sie nicht ganz falsch zu liegen, denn auch Andreas Pretzsch vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Königstein-Pirna sieht den langen Anfahrtsweg als Problem an. Generell, so erklärt der Pflegedienstleiter, bediene der ASB von Königstein aus die andere Elbseite nicht. Er könne nachvollziehen, dass sich auch die übrigen ortsansässigen Pflegedienste schwertun, Aufträge auf der anderen Elbseite zu übernehmen. Von Königstein aus, so führt er aus, müsse eine Pflegekraft mit dem Auto bis zum Haus der Krabels und zurück eine Dreiviertelstunde reine Fahrzeit kalkulieren. Das könne man nicht leisten, bedauert Andreas Pretzsch.

Platz auf der Warteliste

Die Versorgung von Dieter Krabels Operationswunden hat zwischenzeitlich dessen Dialyse-Arzt übernommen. „Aus reiner Nächstenliebe“, wie Rita Krabel sagt. Sie hofft, dass der Arzt auch weiterhin dafür zur Verfügung steht, denn Dieter Krabel muss im Sommer erneut operiert werden. Über kurz oder lang, das ist klar, wird er zusätzliche Pflege brauchen. „Aber was ist dann?“, fragt Rita Krabel. „Es kann ja immer mal etwas sein, und da steht man dann da“, sorgt sie sich.

Durch die Ablehnung der Pflegedienste fühlt sie sich unter Druck gesetzt. „So wird man gezwungen, in ein Pflegeheim zu gehen“, sagt sie. Doch das wollen die Krabels nicht. Stein für Stein haben sie ihr Häuschen Anfang der 1980er-Jahre selbst errichtet und zusammen mit ihren drei Kindern viele schöne Jahre darin verlebt. Die Kinder sind erwachsen und leben inzwischen in ihren eigenen Haushalten, die sich alle nicht in unmittelbarer Nähe der Eltern befinden. Wer soll nun also helfen?

„Die Pflegekassen sind für die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung ihrer Versicherten verantwortlich“, teilt Tilo Georgi, Leiter des Pirnaer Kreis-Sozialamtes, auf Anfrage mit. Im Sozialgesetzbuch sei verankert, dass die Pflegekassen bei jedem Patienten dafür sorgen müssen, dass häusliche Pflegehilfe, Behandlungspflege und ärztliche Behandlung nahtlos und störungsfrei ineinandergreifen.

Versichert ist Dieter Krabel bei der Knappschaft. Deren Sprecherin Diana Kunze erklärt, die Kasse habe im Rahmen ihrer Verantwortung versucht, einen Pflegedienst zu gewinnen. Trotz des Angebotes einer weitergehenden Kostenübernahme und trotz mehrerer Gespräche mit umliegenden Pflegediensten sei das aber nicht gelungen – denn die Pflegedienste dürfen sich aussuchen, welchen Patienten sie annehmen wollen und wen nicht. Diana Kunze weist darauf hin, dass die Knappschaft in einem solchen Fall kein Durchgriffsrecht habe. Sie versichert aber, dass die Kasse weiterhin alles unternehme, eine häusliche Krankenpflege für Dieter Krabel zu organisieren.

Unterdessen sucht auch Rita Krabel weiter nach einem Pflegedienst. Auch in Bad Schandau erhielt sie bisher überwiegend Absagen. Lediglich ein ambulanter Pflegedienst hat ihr inzwischen zugesichert, nach Halbestadt zu kommen. Allerdings hat auch dieser Dienstleister im Moment keine freien Kapazitäten. Rita Krabel hat ihren Mann auf die Warteliste setzen lassen und hofft nun, dass in absehbarer Zeit ein Platz für ihn frei wird.