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Warum kein Zug mehr nach Sebnitz rollt

Seit Mitte Mai wird zwischen Neustadt und Sebnitz Schienenersatzverkehr gefahren. Was steckt eigentlich dahinter?

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© Dirk Zschiedrich

Von Christian Eissner

Neustadt/Sebnitz. Endstation Neustadt: Der Triebwagen der Städtebahn Sachsen aus Richtung Pirna rollt in den Bahnhof ein, der Zugbegleiter bittet die Fahrgäste, auszusteigen. Auf jene, die nach Sebnitz weiter wollen, wartet ein kleiner Ersatzbus.

Seit dem 18. Mai geht das schon so. Der Grund: Lokführermangel. Indem sie den Streckenabschnitt zwischen Neustadt und Sebnitz nicht bedient, spart die Städtebahn jeden Tag zwei Lokführer ein. Das Unternehmen hat derzeit insgesamt nicht genügend Personal. Wie konnte es dazu kommen? Eine Spurensuche.

Warum trifft es ausgerechnet diesen Abschnitt?

Die Städtebahn bedient das sogenannte Dieselnetz im Verkehrsverbund Oberelbe (VVO), dazu gehören neben der Strecke Pirna–Neustadt–Sebnitz auch die Müglitztalbahn zwischen Heidenau und Altenberg sowie die Strecken Dresden–Kamenz und Dresden–Königsbrück. Fakt ist: Einen Lokführermangel gibt es nicht auf einer bestimmten Verbindung, er betrifft das gesamte Unternehmen. Fakt ist aber auch: Der Abschnitt zwischen Neustadt und Sebnitz gehört zu den fahrgastschwächsten im Städtebahn-Netz. Man verärgert also mit dem Schienenersatzverkehr weniger Reisende als anderswo. Das bestätigt Christian Schlemper, der Sprecher des Verkehrsverbundes Oberelbe. Der VVO habe bei der Städtebahn darauf gedrängt, lieber einen längerfristigen Ersatzverkehr auf einem Abschnitt einzurichten statt mal hier und mal da kurzfristige, für die Fahrgäste nicht planbare Zugausfälle zu produzieren.

Was tun die Verantwortlichen, damit bald wieder Züge fahren?

Der Verkehrsverbund ist nicht glücklich über die Zugausfälle. Denn geplant ist eigentlich, die Bahnstrecke zwischen Sebnitz und Neustadt für Reisende attraktiver zu machen. Unter anderem hat der VVO dafür den Takt der Züge verdichtet. Der Schienenersatzverkehr konterkariert nun diese Bemühungen. Deshalb fordert der VVO von der Städtebahn nach eigenen Angaben eine schnelle Lösung. Man habe die Geschäftsführung einbestellt und einen Maßnahmeplan verlangt, sagt der VVO-Sprecher. Zudem streicht der VVO der Städtebahn Geld für jeden Zug, der nicht fährt. Alle laufenden Infrastruktur-Kosten wie Trassen-Nutzung und Stationsentgelte muss die Bahngesellschaft trotzdem weiter tragen.

Die Geschäftsführung der Städtebahn bemüht sich nach eigenen Angaben unterdessen nach Kräften, Lokführer zu finden. Man plane, bis zum 1. September insgesamt acht zusätzliche Lokführer einzustellen, sagt Geschäftsführer Torsten Sewerin. Auch werde die Städtebahn einen einjährigen Ausbildungslehrgang für 15 Lokführer-Anwärter starten. „Uns ist daran gelegen, dass wir einen stabilen Betrieb auf den Strecken abbilden“, so Sewerin. Er kündigt an: Ab dem 2. Juli sollen die Züge zwischen Neustadt und Sebnitz wieder rollen.

Warum betrifft der Lokführermangel gerade die Städtebahn so stark?

Lokführer sind gefragt. Dresden habe sich zum Drehkreuz für den grenzüberschreitenden Containerverkehr entwickelt, sagt Städtebahn-Geschäftsführer Torsten Sewerin. Der Güterverkehr ziehe massiv Lokführer an, da dort teils deutlich höhere Gehälter gezahlt werden. Dagegen anzukommen, sei schwer.

Personenzüge zu fahren, habe aber Vorteile, sagen Lokführer: Mit besser planbaren Einsätzen und weniger Nachtschichten sei diese Arbeit deutlich familienfreundlicher. Die Lokführer-Gewerkschaft GDL hält die Begründung des Städtebahn-Chefs deshalb nur für einen Teil der Wahrheit. Die Städtebahn Sachsen habe unter allen Bahnunternehmen in der Region Dresden eine besonders hohe Personalfluktuation, weil sie ihre Lokführer generell vergleichsweise schlecht bezahle, sagt der stellvertretende GDL-Vorsitzende für Mitteldeutschland, Klaus-Peter Schölzke. Schlechter auch als die Mitbewerber im Personenverkehr. „Egal ob DB Regio, DB Fernverkehr, Trilex oder die Mitteldeutsche Regionalbahn, all diese Unternehmen haben sich bisher am Lokführer-Rahmentarifvertrag orientiert, die Städtebahn nicht“, so Schölzke. Das mache für einen berufserfahrenen Lokführer schnell 1 000 Euro Gehaltsunterschied im Monat aus. Damit, sagt Schölzke, sei die Städtebahn eine Art Personalpool für die anderen Bahnunternehmen geworden. „Wurde irgendwo eine Stelle frei, ist ein Städtebahn-Lokführer abgewandert.“ Die übrigen Kollegen hätten den Notstand bisher durch Sonderschichten ausgeglichen. Dazu seien viele aber nicht mehr bereit.

Wird sich die Situation langfristig bessern?

In den vergangenen Tagen haben bei der Städtebahn Betriebsversammlungen stattgefunden, denn unter den Beschäftigten hat es zuletzt heftig gebrodelt. Geschäftsführer Torsten Sewerin hat den Mitarbeitern ein verändertes Lohn- und Gehaltsgefüge angekündigt, für die Lokführer zumindest gibt es nun mehr Geld. Ihre Gehälter sollen auf die Basis des GDL-Tarifvertrages angehoben werden.

Das vorliegende Angebot, sagt Klaus-Peter Schölzke von der GDL, werde aber auf Dauer nicht reichen. Denn einen gesetzlichen Anspruch auf die Lohnerhöhungen hätten die Städtebahn-Kollegen erst, wenn das Unternehmen tatsächlich Tarifpartner werde. Zudem lägen die Gehälter auch nach der Erhöhung unter dem Tarifniveau am Bahnmarkt. Auch für die Zugbegleiter müsse weiter verhandelt werden. „Immerhin“, sagt Schölzke, „hat der Betriebsrat die Zusage der Geschäftsführung, dass es einen Gesprächstermin mit der GDL geben soll.“

Warum hat der Fall auch eine politische Dimension?

Der Verkehrsverbund Oberelbe wird von einem Zweckverband getragen, an dem die Stadt Dresden und die Landkreise Meißen, Bautzen sowie Sächsische Schweiz-Osterzgebirge beteiligt sind. Bei den Strecken-Ausschreibungen im Verbandsgebiet habe eine Orientierung an Gehaltstarifen bisher keine Rolle gespielt, moniert die GDL. Dabei habe der Verkehrsverbund durchaus die Möglichkeit, dies bei Ausschreibungen zur Bedingung zu machen. Insofern, sagt Klaus-Peter Schölzke von der GDL, treffe die kommunalen Verbandsvertreter auch eine Mitschuld an der derzeitigen Situation auf der Strecke Neustadt–Sebnitz. Schölzke: „Keiner der verantwortlichen Kommunalpolitiker braucht sich aufzuregen, das hier kein Zug fährt.“

Auf SZ-Nachfrage zur Rolle des Verdienstniveaus bei Ausschreibungen wird der VVO sehr einsilbig. „Zur Zahl der Bieter an Ausschreibungen und den mit den Angeboten verbundenen Konditionen äußern wir uns generell nicht“, erklärt VVO-Sprecher Christian Schlemper, und: „Das Aushandeln der Arbeits-Konditionen liegt in der Hand der Tarifparteien.“