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Unternehmer wollen ein weltoffenes Sachsen

Firmenchefs bleiben bei ihrer Haltung: Sie brauchen Mitarbeiter aus aller Welt.

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© Ronald Bonß

Von Georg Moeritz

Falkmar und Sabine Ratzmann waren nicht begeistert, als im Jahr 2015 etwa 50  Männer im Nachbarort neben der Grundschule einquartiert wurden. Doch als sich Flüchtlinge beim Sonntagsgottesdienst mit Blumen und mühsam geschriebenen Grußkarten bedankten, gingen Ratzmanns interessiert ins Flüchtlingsheim und brachten Spiele hin. Zwei Männer dort konnten recht gut Englisch, übersetzten für sie – und sind inzwischen im Unternehmen der Ratzmanns beschäftigt. Seit über einem Jahr arbeiten Abdul und Mohammad bei ADZ Lütec Leipzig GmbH in Markkleeberg, einem Hersteller und Großhändler von Lüftungsanlagen mit zwei Dutzend Beschäftigten.

Das ist die Kurzfassung einer langen und schwierigen Geschichte, die der Unternehmer Falkmar Ratzmann am Mittwoch bei einem Netzwerktreffen in Dresden vortrug. Denn bis er Flüchtlinge in Arbeit bringen konnte, musste Ratzmann Bürokratie, aber auch menschliche Schwächen aushalten. Mal durfte einer der Flüchtlinge aus Altersgründen nicht am staatlichen Deutschunterricht teilnehmen, sodass der privat organisiert werden musste. Mal enttäuschte einer der Schützlinge seine Helfer, indem er Angebote nicht annahm oder gar „ausrastete“, wie Ratzmann offen berichtete. Die Helfer brauchten viel Geduld.

Doch der Markkleeberger Unternehmer sieht sich seit mehr als einem Jahr mit guter Arbeit belohnt. Nach seiner Erfahrung war es richtig, einen der Flüchtlinge in einer schwierigen Lebensphase aufzunehmen: „Ablehnung bringt neue Ablehnung“, sagt Ratzmann. „Hass bringt Gegen-Hass, das erleben wir jetzt in Chemnitz, das führt zu nichts.“ Bei einem Treffen mit rund 80 Firmen- und Verbandsvertretern in der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen warb Ratzmann dafür, „Begegnungen zu ermöglichen“. Das ist auch das Ziel der beiden Vereine, die zu dem Netzwerktreffen eingeladen hatten: „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“ und „Wir zusammen“. Beide sind Initiativen von Firmen.

Mit zehn Mitgliedern hat der Verein „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“ vor zwei Jahren angefangen. Nun sind es 67 Mitglieder, darunter Infineon und Wacker Chemie. Zum Vorstand gehören Markus Rustler, Geschäftsführer des Dresdner Maschinenbauers Theegarten-Pactec, und Sylvia Pfefferkorn von der gleichnamigen Werbeagentur. Beide machten am Mittwoch deutlich, dass sie sich von den „Auswüchsen wie in Chemnitz“ nicht stoppen lassen wollen. „Unbedingt weitermachen!“, sagte Pfefferkorn. Der Ruf Sachsens dürfe nicht leiden.

Das war auch der Anlass für die Gründung des Firmenvereins 2016: „Negative Berichte in Verbindung mit fremdenfeindlichen Demonstrationen“ gab es auch damals, sagt Rustler. Sein Maschinenbaubetrieb liefert Bonbon-Einwickelmaschinen in alle Welt. Für den Geschäftsführer sind internationale Mitarbeiter „der Schlüssel zum Erfolg“. Er kennt die Prognosen zum künftigen Fachkräftebedarf und sagt, sächsische Unternehmen seien auf Zuwanderung angewiesen. Flüchtlinge können laut Rustler nicht die Lösung des Fachkräftemangels sein, aber dazu beitragen.

Das Handelsblatt zitierte am Mittwoch den Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher: „Nicht nur Ausländer, sondern auch die große Mehrheit der Deutschen will nicht in Städten und Regionen leben, in denen Menschen Selbstjustiz betreiben und Fremdenhass vorherrscht.“ Politik müsse sich klar für Zuwanderung, Toleranz und Vielfalt aussprechen. Nur so könne der Teufelskreis durchbrochen werden, bei dem schwache Regionen in Ostdeutschland weiter abgehängt werden.

Ähnlich äußerte sich Oliver Holtemöller, Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle: Die Ereignisse in Chemnitz könnten die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt negativ beeinflussen. Öffentliche Ordnung sei ein wichtiger Faktor für wirtschaftlichen Wohlstand.

Markus Rustler sagte, sein Verein wolle „weltoffene Unternehmer vernetzen“, und zwar aus Eigeninteresse. Die Firmenchefs benötigten Unterstützung bei der Fachkräftegewinnung – und auch dabei, ihre Belegschaften zu informieren. „Viel Unzufriedenheit basiert auf zu wenig Wissen“, sagte der Dresdner Firmenchef. Für September plant der Verein ein Treffen in der Oberlausitz über Fachkräfte für die Gesundheitsbranche.

Am Verein „Wir zusammen“ beteiligen sich bundesweit gut 220 Konzerne und Unternehmen, darunter Ikea und Höffner, VW und Opel, Edeka und Rewe. Die VW-Koordinatorin für Flüchtlingshilfe, Carolin Krautz, berichtete, der Autokonzern habe in den vergangenen zwei Jahren etwa 4 000 Geflüchtete unterstützt, etwa mit Sprachkursen und Praktika. Mehrere Initiativen bieten Firmen Hilfe beim Umgang mit Flüchtlingen an und stellten sich am Mittwoch vor – darunter das IQ-Netzwerk Sachsen und die Willkommenslotsen der Kammern. Zur Jahresmitte waren laut Arbeitsagentur in Sachsen 17 477 Flüchtlinge arbeitssuchend. 3 384 haben sich in den vorangegangenen zwölf Monaten abgemeldet, weil sie Arbeit gefunden haben.

www.welcomesaxony.de; www.wir-zusammen.de