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Trauriges Ende eines Pflegefalls

Bei der Betreuung seines demenzkranken Vaters haut ein Sohn mehrfach mit einer Holzlatte zu. Jetzt steht er vor Gericht.

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© dpa

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Es war der Anfang vom schrecklichen Ende, als Paul-Heinz V. Ende Februar von seinem Sohn aus dem Leipziger Altenpflegeheim „Martin Andersen Nexö“ nach Hause geholt wird. Der 72-Jährige litt an Demenz und Diabetes, die Pfleger halfen ihm beim An- und Ausziehen, auch beim Essen, bei den Medikamenten und im Bad. Sein Sohn Maik V. brachte den Vater trotzdem zu sich in die Wohnung, sie wollten es wohl irgendwie selbst schaffen. Einen Monat später ist Paul-Heinz V. tot: Laut Staatsanwaltschaft mit einem Kantholz mehrfach vom Sohn geschlagen, bis er schließlich an Verletzungen starb.

Nun sitzt Maik V. auf der Anklagebank des Leipziger Landgerichts und sagt, sein Vater sei nur durch Stürze in der Wohnung gestorben. „Ich habe ihm nicht ins Gesicht oder auf den Kopf geschlagen.“

Die Ermittler und die Verteidigerin haben dabei sehr unterschiedliche Sichten auf den ominösen Todesfall. So forderte Staatsanwalt Ulrich Jakob am Freitag eine zwölfjährige Haftstrafe für Maik V., unter anderem wegen Totschlags, Körperverletzung und Misshandlung Schutzbefohlener. Anwältin Vanina Seidel hält das Strafmaß für weit überzogen und plädierte lediglich auf ein Jahr und fünf Monate Haft auf Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung. Todesfälle wie der von Paul-Heinz V., sagt Staatsanwalt Jakob, hätten immer eine gewisse Tragik. Das 72-jährige Todesopfer habe nach dem Tod seiner Frau körperlich abgebaut, er sei nach deutlichen Hinweisen einer Klinik ins Pflegeheim gekommen. „Wäre es dabei geblieben, wäre er heute noch am Leben und sein Sohn säße nicht auf der Anklagebank“, so Jakob.

Angespannte Situation eskaliert

Doch der Sohn hatte hohe Schulden, von 60 000 Euro ist die Rede. Als Kraftfahrer hatte er nur Nebenjobs, etwa als Zeitungsbote. Also rechnete sich der 39-Jährige wohl aus, dass es ihm finanziell besser geht, wenn der Vater mit seinen 1 400 Euro Rente nach Hause käme, statt fast 1 000 Euro ans Pflegeheim zu zahlen. „Er brauchte das Geld vom Vater“, vermutet der Ermittler. Doch mit der Pflege sei Maik V. schon nach wenigen Wochen überfordert gewesen. Es gab Streit, spätestens Ende März schlug der große, kräftige Sohn das erste Mal den schmächtigen Vater mit dem Kantholz. Zwei oder drei Tage später sei die angespannte Situation erneut eskaliert. Der Sohn habe den Vater mehrfach mit der Latte auf den Kopf geschlagen, so der Staatsanwalt. Während der Vater in den folgenden Tagen mit blutenden Wunden und höllischen Schmerzen auf dem Sofa lag, muss Maik V. neben ihm unbeteiligt am Computer gesessen haben. Er recherchierte zu Stichworten wie „Testament und Demenz“. Aber einen Arzt rief er nicht. Medizinische Hilfe habe sein Vater nie gewollt, behauptet er vor Gericht.

Am 31. März stirbt Paul-Heinz V. Sein Sohn aber ruft zuerst seine Anwältin an, versteckt die Holzlatte in einer Garage und ruft erst dann den Notarzt. Als die Obduktion ergibt, dass die Verletzungen nicht nur von Stürzen stammen könnten, wird er verhaftet – und gesteht vor der Polizei die Schläge auf den Kopf. Im Laufe der Gerichtsverhandlungen lässt er sich noch siebenmal ein und behauptet immer wieder andere Variationen des Geschehens. Sie werden jedoch meist von Gutachtern widerlegt.

„Die objektiven Spuren und die Obduktion passen zu dem, was der Angeklagte in der ersten Vernehmung bei der Polizei gestanden hat“, betont Staatsanwalt Jakob. Zudem sei Maik V. schon mehrfach durch Lügen und Betrug aufgefallen. Zum Beispiel habe er in Antragsformularen mehrfach die Vaterschaft von Kindern erfunden, um an finanzielle Hilfen zu kommen. Dass es zu den heftigen Schlägen auf seinen Vater kam, sei eine Gemengelage aus Verärgerung und Überforderung gewesen, so Jakob. Maik V. habe seinen Vater wohl nicht töten wollen. Aber er habe zugeschlagen und auch keinen Arzt geholt, als es dringend nötig war. „Es gab immer noch einen Ausweg“, so Jakob. „Aber ihm war der eventuelle Tod des Vaters in dem Moment egal.“

Verteidigerin Seidel beschreibt die schlimmen Vorfälle jedoch anders. Der Gerichtsmediziner habe geschildert, dass die Schläge auf den Kopf allein nicht tödlich gewesen seien und dass eine Hirnblutung tatsächlich von einem Sturz herrührte. Die Todesursache sei also nicht eindeutig geklärt, sondern laut Gutachten eher ein komplexes medizinisches Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Somit könne es keine Verurteilung wegen eines Totschlags geben. Auch die Holzlatte sei als Tatwaffe eher unwahrscheinlich. Seidel: „Für eine Verurteilung muss eine Tat sicher nachgewiesen werden.“ Daher komme nur eine Körperverletzung wegen der Schläge auf den Oberkörper in Betracht. Und: „Er hätte“, so Seidel, „einen Arzt rufen müssen.“

Das Gericht will am 6. Dezember ein Urteil verkünden.