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Theater ist Leben. Mehr Leben.

Rolf Hoppe spielte stets mit ganzem Einsatz, auf der Bühne wie im Film. Das Publikum liebte ihn. Am Mittwoch ist der Dresdner Schauspieler gestorben.

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Von Thomas Morgenroth

Meine erste Begegnung mit Rolf Hoppe hatte ich an einem lauen Juliabend des Jahres 1969 in Kurort Hartha im Tharandter Wald. Ich war acht und ein aufgeregtes Kind, er achtunddreißig und ein Bösewicht, der sich James Bashan nannte. Es war schon leidlich dunkel, als er sagte: „Nur fesseln, das Abziehbild vom Sheriff – diesmal.“ Anderthalb Stunden später war Bashan tot. Erschrocken, aber auch erleichtert sah ich zu, wie Rolf Hoppe, gerade noch mordlustig grinsend, mit einem Messer in der Brust in den Sand des Wilden Westens fiel. Erstochen von einem Indianer, der seinerseits niedergeschossen wurde. Das blutige Finale des DEFA-Films „Weiße Wölfe“ ist eines der prägendsten cineastischen Erlebnisse meiner Kindheit.

Frühe Erfolge: In Halle wird Rolf Hoppe 1952 als Kwakin in „Timur und sein Trupp“ zum Publikumsliebling. Unter seiner Spielleidenschaft ging bei den Proben manches Requisit zu Bruch.
Frühe Erfolge: In Halle wird Rolf Hoppe 1952 als Kwakin in „Timur und sein Trupp“ zum Publikumsliebling. Unter seiner Spielleidenschaft ging bei den Proben manches Requisit zu Bruch. © Archiv Hoppe
Eine Rolle für die Ewigkeit: 1973 gibt er den gütigen König im Defa-Märchen „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Der Film wird auch auf Schloss Moritzburg gedreht – und zum zeitlosen Klassiker.
Eine Rolle für die Ewigkeit: 1973 gibt er den gütigen König im Defa-Märchen „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Der Film wird auch auf Schloss Moritzburg gedreht – und zum zeitlosen Klassiker. © SZ-Archiv
Der Mut zum Experiment: Seit 1961 ist Rolf Hoppe Ensemblemitglied am Dresdner Schauspiel. im Jahr 1980 spielt er dort den Narren in „Richard IV“ als akrobatischen Harlekin.
Der Mut zum Experiment: Seit 1961 ist Rolf Hoppe Ensemblemitglied am Dresdner Schauspiel. im Jahr 1980 spielt er dort den Narren in „Richard IV“ als akrobatischen Harlekin. © Archiv Hoppe

Es sollten 28 Jahre vergehen, bis ich Rolf Hoppe persönlich kennenlernte. Es war 1997 auf dem Schloss Weesenstein zur Eröffnung der Ausstellung „Hoppes Traum“. Die Wände hingen voll mit Schwarzweiß-Fotografien, die Hoppe als geheimnisvollen Mönch zeigten. Er saß vor seinen Porträts in einem Lehnstuhl und las Märchen und Sagen aus dem Müglitztal vor. Aber wie! Er gestikulierte mit den Händen, die nach vorn oder oben schossen, schnitt Grimassen, lachte, weinte, schrie und flüsterte, er strafte und liebkoste allein mit seiner Stimme. Es war Kostprobe seiner „Lesungen am Kamin“, mit denen Hoppe, von Wolfgang Torkler am Flügel begleitet, zwanzig Jahre lang sein Publikum auf dem Weesenstein in Entzücken versetzte. Die Auftritte des Mannes mit dem grauen Bart und der warmen Stimme, einmal, 2006, sogar zusammen mit dem Rockpoeten Heinz-Rudolf Kunze sind legendär.

Am Mittwoch ist Rolf Hoppe gestorben, kurz vor Vollendung seines 88. Lebensjahres. Er bleibt als grandioser Schauspieler in Erinnerung, der stets alles gab und sich für keine noch so kleine Rolle zu schade war. Nur eine wollte er niemals spielen: einen Kindermörder, wie es ihm einmal angeboten wurde. Rolf Hoppe war aber auch der schrullige Pferdeliebhaber, Pfeifenraucher, Hobbygärtner und Sammler, der Steine von der Chinesischen Mauer mit nach Sachsen brachte. Und Textbücher mit seiner außergewöhnlichen Handschrift zu grafischen Wunderwerken machte.

„Ich habe oft gesagt, träume nicht dein Leben, lebe deine Träume, und das geht auf einem Theater. Für mich ist Theater Leben. Mehr Leben.“ Mit dieser Quintessenz seines Schaffens, seines Berufes und seiner Berufung lädt Rolf Hoppe auf einem Video in das Hoftheater Dresden-Weißig ein. Ein eigenes Theater war sein Traum, den er sich ab 1995 verwirklichte. Anfangs stand er dort noch als Akteur auf der Bühne, bis er als Prinzipal zum guten Geist des Hoftheaters wurde, und es wohl auch bleibt.

Die Schauspielerei wurde Rolf Hoppe nicht in die Wiege gelegt. Als er am 6. Dezember 1930 in der Stadt Ellrich im Südharz auf die Welt kam, schien sein beruflicher Weg klar. Der einzige Sohn des Bäckerehepaares Hildegard und Hermann Hoppe sollte einmal ihre seit 1829 bestehende „Schwarz-Weiss & Feinbäckerei August Hoppe“ fortführen. Nach dem Krieg lernte der Junior tatsächlich Bäcker und den schweren Alltag in der Backstube kennen. Den Spruch „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ hat Rolf Hoppe in dieser Zeit verinnerlicht. Eine Weisheit fürs Leben.

Aber eigentlich wollte er Clown werden, um die Menschen zum Lachen zu bringen. Er übte auf seiner Lieblingskuh Liese das Reiten, brachte seiner Ziege Hansi Kunststücke bei, baute als „Theaterdirektor“ auf dem Leiterwagen eine Bühne, verlangte zwei Pfennige Eintritt und führte die Märchen der Brüder Grimm auf. Mit ihm selbst in beinahe allen Rollen. In der Mandolinengruppe und der Antifa-Jugend, aus der die „Südharzer Jungspatzen“ wurden, jodelte und tanzte der Bäckerjunge, was das Zeug hielt. Rolf Hoppe wurde Chef der Laienspielgruppe, die im Ellricher „Lindenhof“ Sketche in Harzer Platt aufführte, auch politische. Alle redeten ihm ein, dass er Schauspieler werden sollte.

Sowohl in Weimar als auch in Halle aber fiel Rolf Hoppe bei der Eignungsprüfung durch. Dabei hatte er bereits gewichtige Rollen gespielt, den Professor Mamlock im Laientheater Ellrich und mehrere Charaktere in Brechts „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ auf der Jungen Bühne in Nordhausen. In Erfurt schließlich klappte es, Hoppe wurde in die Schauspielklasse des Landeskonservatoriums aufgenommen und stand in der Thüringer Hauptstadt das erste Mal auf einer richtigen Theaterbühne. Mehr als vierhundert Theaterrollen folgten, nach Erfurt in Halle, Greifswald, Gera und Dresden; als Gast wurde er in Berlin an der Volksbühne und am Deutschen Theater engagiert, gastierte in Österreich, der Schweiz, in Italien und China.

Rolf Hoppe spielte von Anfang an mit großem körperlichen Einsatz, er sprach laut, manchmal zu laut, was ihm nach nur zwei Jahren um ein Haar seine Karriere gekostet hätte. Er hatte nicht gelernt, seine Stimme richtig einzusetzen. Er trat mit Fieber auf und überschrie sich. Diagnose: Stimmbandentzündung, Ende der Schauspielerei. Hoppe wurde Stallbursche im Zirkus Aeros in Leipzig. Bis ihm der Sprechwissenschaftler Richard Wittsack in Halle seine Stimme wiedergab. Für Hoppe, der aufgegeben hatte, war es ein Wunder. Im Theater der Jungen Garde in Halle stand er im Herbst 1952 als Kwakin in „Timur und sein Trupp“ wieder auf der Bühne.

Erneut spielte er, als ginge es um sein Leben, zerstörte in seiner Spielwut schon bei den Proben manches Requisit. Aber sein Ungestüm brachte ihm die Liebe seines Lebens: Als er 1958 im Stadttheater Gera in der musikalischen Komödie „Das Feuerwerk“ von einem Seil stürzte, lernte er im Krankenhaus seine spätere Frau Friederike kennen, eine Krankenschwester.

Mit einer Hauptrolle wurde Rolf Hoppe 1962 ins Dresdner Theaterwasser geschmissen. Und er ging nicht unter. Er gab den Pierre Besuchow in Tolstois „Krieg und Frieden“, spielte sich aber zunächst mit kleineren Rollen, etwa als jüdischer Fabrikant in „Der Stellvertreter“, in das Gedächtnis der Zuschauer. Die Kritik nannte ihn einen „interessanten, eigenwilligen Typ“, den der Regisseur „eisern an die Zügel nehmen“ muss, dann könne ein „großartiger Komödiant“ aus ihm werden.

Schon bald avancierte Rolf Hoppe, der voller Ehrfurcht vor der Tradition des Staatsschauspiels nach Sachsen gekommen war, zum Publikumsliebling, erntete zum Beispiel als Erzieher des Orest in „Elektra“ oder als Möbius in Dürrenmatts „Die Physiker“ Beifall auf offener Szene. Wegen seiner humanistischen Botschaft mochte er Lessing besonders, spielte in Berlin den unmenschlichen Patriarchen in „Nathan der Weise“ und im gleichen Stück in Dresden einen Klosterbruder.

Sämtliche Vorstellungen mit ihm in Dresden waren ausverkauft, die begehrten Eintrittskarten wurden gegen Grafiken oder Lendchen getauscht. Hoppe lobte einmal das Dresdner Theaterpublikum in der Zeit der DDR als eines der besten überhaupt. Für ihn war das Theater der Ort, an dem auch kritische Töne möglich waren. Die fruchtbare Arbeitsatmosphäre wurde später allerdings durch den Weggang von Schauspielern in den Westen gestört.

Für Rolf Hoppe war das keine Option. 1983, im Jahr nach dem Ende seines Engagements im Staatsschauspiel, gab er auf Empfehlung von Klaus Maria Brandauer, seinem Gegenspieler im Film „Mephisto“, das erste Mal den Mammon im „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen. Und er kehrte wieder zurück. Bis 1992 gastierte er damit in Österreich, es war seine letzte große Theaterrolle, allerdings alles andere als das Ende seiner Schauspielerei.

Rolf Hoppe setzte seine Karriere bei Film und Fernsehen fort. Für ihn war es vertrautes Terrain. Schon 1955 flimmerte Hoppe das erste Mal über den Bildschirm, in einer Aufzeichnung aus dem Theater der Jungen Welt in Leipzig, da gab er einen Wirt in „Pablo der Indianer“. Dann entdeckte ihn die DEFA für das Kino, die ihn in mehr als 200 Rollen besetzte. 1963 das erste Mal. In „Jetzt und in der Stunde meines Todes“ blickt er als Rausschmeißer einer Nachtbar auf Wolf Kaiser als gestrandeten Nazi herab. Eine Sekundensache. Hoppes Rolle war so winzig, dass er im Programmheft nicht einmal erwähnt wurde.

Das änderte sich bald. „Das Zelluloid liebt dich“, prophezeite ihm Peter Herden, sein Kollege am Staatsschauspiel. Er sollte Recht behalten. Seinen Durchbruch auf der Leinwand hatte Hoppe 1968 und 1969 als Schurke James Bashan in den Indianerfilmen „Spur des Falken“ und „Weiße Wölfe“. Er avancierte zum charismatischen Fiesling, der den positiven Helden beinahe die Schau stiehlt. Hoppes Töchter Josephine und Christine bekamen sogar Ärger in der Schule, weil ihr Vater die guten Indianer tötete. Rolf Hoppe ging schließlich zu den Schülern, um ihnen zu erklären, dass es ja nur eine Rolle sei und nicht er selbst.

Hoppe spielte unglaublich viele Bösewichte, einen der fiesesten in István Szabós Meisterwerk „Mephisto“ aus dem Jahre 1981, der den Oscar für den besten ausländischen Film bekam. „Rolf Hoppe ist ein Monument von subtiler Tyrannei und distinguierter Macht, immer besorgt, beflissen, gediegen, immer präsent, ein drohender Schatten hinter seinem artigen Produkt. Ein imposantes Monster.“ Das schrieb der Zeit-Kritiker Wolf Donner 1984 nach der Premiere von Peter Schamonis „Frühlingssinfonie“, in der Hoppe den Vater von Clara Wieck gibt, der seine Tochter mit fast inzestuöser Liebe bewacht.

Hoppe durfte aber auch freundliche Charaktere mimen, die etwa als Hans Röckle den Teufel besiegen. Und er bestieg den Thron, wurde König. Mit allen Facetten der Macht in „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“. Oder ein märchenhafter in „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Gleichermaßen menschlich und majestätisch war Hoppe da, ein Herrscher, der nicht vergessen hatte, dass er einst Bäcker war.

Auch nach dem Ende der DDR war die Schauspielkunst des Rolf Hoppe gefragt. Er spielte beispielsweise an der Seite von Götz George und Otto Sander in „Der Bruch“ einen Schwerverbrecher oder in Klaus Maria Brandauers Verfilmung der Novelle „Mario und der Zauberer“ die schillernde Figur des Prefetto Angioleri. Zuletzt stand er für den ZDF-Zweiteiler „Die Pfeiler der Macht“ als Seth Pilaster vor der Kamera – und musste wieder eines gewaltsamen Todes sterben, wie schon 1969 auf der Leinwand in Kurort Hartha. Mit Gojko Mitic, als Weitspähender Falke sein Mörder, war er übrigens zeitlebens freundschaftlich verbunden.

Im Gedenken an Rolf Hoppe ändert das MDR-Fernsehen in den nächsten Tagen sein Programm: Sonnabend, 17.11., um 16.30 Uhr „Apachen“ (Spielfilm DDR 1973), Sonntag, 18.11., um 15.45 Uhr „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ (Spielfilm Tschechoslowakei/DDR 1973), Montag, 19.11. um 22.35 Uhr „Mephisto“ (Spielfilm H/BRD/A 1981) und 0.55 Uhr „Rolf Hoppe – Im Herzen ein Clown“ (Porträt), sowie am Mittwoch, 21.11., um 22.05 Uhr Tatort „Tödlicher Galopp“ (1997).