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Sachsens Anwaltverband muss sich verteidigen

Ein Schatzmeister greift jahrelang in die Vereinskasse. Die Vorstände haben offenbar wenig bis gar nicht kontrolliert.

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© Carmen Schumann

Von Sebastian Kositz und Ulrich Wolf

Die Adresse für die Mitgliederversammlung des Anwaltverbands Sachsen ist standesgemäß: 62  Rechtsanwälte kommen am Abend des 23. Novembers im Sächsisch-Bayerischen Salon des altehrwürdigen Bayerischen Bahnhofs in Leipzig zusammen. Sie sind Delegierte der sieben sächsischen Anwaltsvereine, die wiederum die Interessen von rund 1 600 Rechtsanwälten im Freistaat vertreten.

Von besinnlicher Stimmung kurz vor dem Advent ist an jenem Abend jedoch wenig zu spüren. Die Juristen streiten sich, gleich zu Beginn der Versammlung wird die Tagesordnung gekippt. Noch-Präsident Daniel Fingerle aus Leipzig berichtet über die „Causa Toepfer“. Wie sich seit Dezember 2015 Monat für Monat Vorstandstreffen, Telefonate, Prüfungen, Gespräche mit der Hausbank des Verbands jagten. Und die Erkenntnis reifte: Edgar Toepfer, der seit Mai 2002 amtierende Schatzmeister des Verbands, hat in die Kasse gegriffen.

Ziemlich tief sogar. Exakt 167 369,70 Euro sind es einem notariellen Schuldanerkenntnis zufolge, das Toepfer Anfang Juli ablegt. Sechs Wochen später zeigen die Anwaltsvereine Chemnitz, Dresden und Oberlausitz den Schatzmeister bei der Rechtsanwaltskammer Sachsen an, Toepfer droht nun der Entzug seiner Zulassung.

Nach dem Bericht schlagen die Wellen erst recht hoch im Sächsisch-Bayerischen Salon. Ein Dresdner Anwalt will wissen, warum keine Strafanzeige gegen Toepfer gestellt worden sei. Einer seiner Kollegen betont, für ihn sei es ausgeschlossen, dass Toepfer „nach diesen Verfehlungen weiterhin als Anwalt tätig sein darf“. Dass der Schatzmeister „keinerlei Schonung verdient“. Von „Spannungen im Vorstand“ ist die Rede, von „Zerwürfnissen“, von der Frage, inwieweit sich Präsidium und Vorstand „selbst einer Haftung ausgesetzt sehen“.

Fingerle räumt ein, es gebe für die vergangenen Jahre zwar Kassenberichte von Toepfer, nach seiner Kenntnis sei aber keine Kassenprüfung durchgeführt worden. Diese ist in der minimalistisch anmutenden Verbandssatzung tatsächlich auch nicht vorgesehen. Fingerle schließt nicht aus, dass der Schaden sogar auf mehr als 200 000 Euro steigen könnte. Dann folgt die erste geheime Abstimmung des Abends: Dem siebenköpfigen Vorstand, aus dem sich auch das Präsidiums-Trio rekrutiert, wird das Vertrauen entzogen. Fingerle und vier weitere Vorstände erklären ihren sofortigen Rücktritt.

Ein Notvorstand übernimmt, bestehend aus den Rechtanwältinnen Cornelia Süß aus Dresden und Denise Bartsch aus Chemnitz. Sie teilen auf Anfrage mit, dass ein externer Prüfer die gesamten Geldflüsse von 2002 bis 2016 durchleuchten wird. Gleiches gilt für mögliche Haftungsansprüche gegen ehemalige Vorstände. Der Anwaltsverband könne „glücklicherweise“ die Kosten dafür sowie weitere anfallende Rechnungen begleichen. Eine im Januar 2017 geplante Klausurtagung auf Schloss Gaußig sagt der Vorstand jedoch ab. Zudem schließt er die Geschäftsstelle des Verbands in Leipzig. Die war bislang in der Kanzlei von Fingerle untergebracht. Kostenpunkt: rund 770 Euro im Monat.

Das neue Domizil der Geschäftsstelle ist nun die Kanzlei von Cornelia Süß. Sie werde dafür dem Verband keine Kosten in Rechnung stellen, schreibt sie Mitte Dezember in einem Brief an die Vorsitzenden der sieben sächsischen Anwaltsvereine.

Gratiskarten für den Juristenball?

Der Mann, der als Hauptverursacher für das Finanzdebakel gilt, eröffnete im Herbst 1998 seine Kanzlei in Bautzen. Als Präsent spendete Toepfer gleich einmal 1 500 D-Mark für die Rekonstruktion der Ortenburg. Er hat jedoch bis heute keinen Promi-Status in Bautzen, drängt nicht durch eine auffallende Anhäufung von Ehrenämtern in die Öffentlichkeit. Toepfer studierte in Münster, machte sein Referendariat am Oberlandesgericht Oldenburg. Sein Spezialgebiet ist das Verkehrsrecht, er ist nach eigenen Angaben Vertragsanwalt des ADAC. Sein Büro ist in einer Gründerzeitvilla untergebracht. Auf Anfrage bittet der inzwischen 60-Jährige um Verständnis. Er könne sich „derzeit nicht äußern“.

Vorstand Cornelia Süß hält sich in der „Causa Toepfer“ ebenfalls zurück. Sie bestätigt nur, dass der langjährige Schatzmeister in die Kasse gegriffen habe, warum, wisse sie nicht. Im Verband wird von Barentnahmen und früheren Schulden geredet. „Das kann zurzeit noch nicht abschließend geprüft werden“, teilt Süß mit.

Derweil schlägt sie sich unter anderem mit dem Finanzamt Chemnitz herum, das vor der Erteilung der Körperschaftssteuerbefreiung für den Verband noch Fragen hat „zu den von Toepfer getätigten Entnahmen“ sowie zu „Kostenerstattungen an Vorstandsmitglieder für Karten zum Leipziger Juristenball“. Süß geht aber davon aus, „dass die Gemeinnützigkeit nicht gefährdet ist“. Gleichzeitig bittet sie die Mitglieder, „für unser am 01.02.2017 stattfindendes Benefizkonzert mit der Elblandphilharmonie die Werbetrommel zu rühren“.

Inwieweit damit die Tradition des im Oktober 1990 gegründeten Verbands, sich regelmäßig „mit den Abgeordneten des Verfassungs- und Rechtsausschusses des sächsischen Landtages zu Parlamentarischen Abenden zu treffen, zu denen auch der sächsische Justizminister eingeladen wird“, aufrechterhalten werden kann, ist fraglich. Gleiches gilt für das angestrebte Verbandsziel, die Einflussnahme bei den „Anhörungsverfahren zu laufenden Gesetzesvorhaben“ zu stärken.

Cornelia Süß jedenfalls hat bereits im November in Leipzig erklärt, auch sie werde zur nächsten Mitgliederversammlung im März 2017 zurücktreten.