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Reichsbürger müssen ins Gefängnis

Die Angeklagten im zweiten Prozess wegen der Festnahme eines Gerichtsvollziehers geben sich als ahnungslose Biedermänner.

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© Claudia Hübschmann

Von Jürgen Müller

Meißen. Ausnahmezustand am Donnerstag am Meißner Amtsgericht. Mehr als ein Dutzend Polizeibeamte ist im Einsatz, um jeden, aber auch jeden Prozessbeteiligten und Besucher peinlich genau zu kontrollieren. Es steht der zweite Prozess gegen „Reichsbürger“ an, die mit dem „Deutschen Polizeihilfswerk“ vor mehr als drei Jahren in Bärwalde bei Radeburg einen Gerichtsvollzieher des Amtsgerichtes Meißen bedrohten und festnahmen.

Wie schon beim ersten Prozess kann die Verhandlung nicht pünktlich beginnen. Es sind nur vier der fünf Angeklagten da, die einzige Frau fehlt. Richter Andreas Poth hat jedoch vorgesorgt. An allen Wohnorten der fünf Angeklagten hat er Polizei stationiert, sodass diese schnell vorgeführt werden können, falls sie nicht erscheinen. Doch im Falle der Frau gelingt das nicht. Sie ist weder zu Hause anzutreffen, noch auf ihrer Arbeitsstelle und auch nicht an einer dritten Adresse.

So wird zunächst nur gegen die vier Männer im Alter zwischen 39 und 60 Jahren verhandelt. Gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, gemeinschaftliche Freiheitsberaubung und Beihilfe zum Missbrauch von Titeln werden ihnen vorgeworfen.

Ahnungslose Biedermänner

Alle vier geben sich als ahnungslose Biedermänner. Sie wollen nur mehr oder weniger zufällig in die Aktion geraten und nicht selbst aktiv gewesen sein. Sie relativieren, wimmeln ab. Und alle vier streiten mehr oder weniger vehement ab, den „Reichsbürgern“ anzugehören. Aus Schreiben der Angeklagten an Behörden, unter anderem an das Gericht, wird aber deutlich, dass sie der Reichsbürgerszene angehören. „Reichsbürger“ erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht an, negieren deren Organe und Gesetze. Pikant daran: Geld des Staates, den es nach ihrer Auffassung ja gar nicht gibt, nehmen sie gern an. So beziehen zwei Arbeitslosengeld. Geld vom Staat sei das nicht. „Ich hab’ doch dafür Beiträge eingezahlt“, sagt einer.

Interessant sind die Biografien der Angeklagten. Einer war zu DDR-Zeiten zwölf Jahre Polizist, hat angeblich 1990 auf eigenen Wunsch gekündigt. „Ich war ein überzeugter DDR-Bürger, kam mit dem neuen Dienstherrn nicht zurecht‘“, sagt der Mann, der zwei Studienabschlüsse hat. Einen als Kriminalist, einen als Diplom-Staatswissenschaftler. Ob er wirklich aus freien Stücken die Polizei verließ, oder einer Stasi-Überprüfung entgehen wollte, ist offen. Jedenfalls schlug er sich danach als Finanzberater, später als Makler und Bauträger durch. Inzwischen hat er einen Offenbarungseid geleistet, ist arbeitslos. Ein anderer flüchtet im Juni 1989 aus der DDR, kommt 1992 zurück und ist ebenfalls arbeitslos. Einer der Angeklagten filmte die Aktion mit dem Gerichtsvollzieher mit seinem Handy. Seine Begründung dafür: „Ich wollte damit dokumentieren, dass ich bei den Taten nicht dabei war.“

Nicht zuletzt durch dieses, aber auch ein zweites Video, sieht der Staatsanwalt die Taten für erwiesen an, fordert teils wegen Beihilfe Haftstrafen zwischen acht Monaten und einem Jahr und vier Monaten, die alle zur Bewährung ausgesetzt werden sollen. Drei der vier Verteidiger hingegen fordern Freispruch.

Doch Richter Andreas Poth setzt ein Ausrufezeichen. Er verurteilt drei Angeklagte zu einer Haftstrafe von je einem Jahr und drei Monaten, einen zu zehn Monaten. Keine Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Alle seien Täter gewesen, wollten Druck aufbauen, damit der Gerichtsvollzieher keine Chance habe, aus der Sache rauszukommen. „Einen solchen Tabubruch werden wir nicht dulden“, so der Richter.

Am Freitag wird gegen zwei weitere Täter verhandelt. Sie kamen zur letzten Verhandlung nicht, wurden per Haftbefehl gesucht und sitzen seit einigen Tagen in Sitzungshaft. Das droht auch der Angeklagten, die diesmal nicht erschien.

Übrigens: Bei der Pfändung ging es um 58,60 Euro. Den „Reichsbürgern“ aber ging es ums Prinzip. Dem Gericht auch.