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„Ostdeutschland schaut auf Görlitz“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besucht den Landkreis Görlitz. Auch bei Siemens macht er Halt.

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© nikolaischmidt.de

Von Frank Seibel

Die Zukunft beginnt in der Görlitzer Südstadt mit Blaumann und Butterbrotdose. Eine Handvoll junger Männer sitzt im kleinen Hinterhof zwischen dem Siemens-Ausbildungszentrum und dem eisernen Zaun mit der Drehtür, die aufs Gelände des traditionsreichen Turbinenwerkes führt. Norbert Kiank ist einer der Auszubildenden, die sich an einem nicht ganz normalen Montagmorgen auf einmal in einer großen Traube von Journalisten wiederfinden. Hoher Besuch in Görlitz.

Der Bundespräsident hat sich angekündigt. Fast 50 Journalisten, Fotografen und Kameraleute von regionalen und überregionalen Medien sind gekommen, um Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender auf ihrer „Land in Sicht“-Tour nach Görlitz, Ostritz und Großhennersdorf zu begleiten. Ein Tag voller Gespräche mit Siemens-Managern und Mitarbeitern, mit Lokalpolitikern aus dem Landkreis, mit Redakteuren der SZ, den Organisatoren der Friedensfeste in Ostritz und, schließlich, bei einem Empfang in „Grohedo“ mit vielen Ehrenamtlichen aus der ganzen Region.

Als sich um 9.50 Uhr das Werkstor öffnet, rollen zunächst einige Polizeimotorräder herein, dann eine Limousine der Sächsischen Staatskanzlei und schließlich ein riesiger schwarzer Audi mit flatternder Deutschlandfahne samt Bundesadler vorn am rechten Kotflügel.

Für Norbert Kiank und seine Kollegen hat da der Unterricht schon wieder begonnen. Ihnen bleibt nur ein Blick aus dem Fenster des Klassenraumes, um das feierliche Geschehen im Hof kurz zu sehen.

Die Zukunft der Industrie in Görlitz ist digital, erfährt das Präsidentenpaar und lässt sich die aktuelle Produktion an zwei Beispielen erklären. Tolle Auftragslage in diesem Sommer, sagt Werksleiter Ralf Landmann am Rande, „wir sind sehr optimistisch“. Diesen Optimismus unterstreicht der Bundespräsident mit seinem Besuch – und mit einem offiziellen Statement gegenüber den Medienleuten.

Dass die schon verkündete Schließung des Görlitzer Turbinenwerkes vom Konzern zurückgenommen wurde, sei ein wichtiges Signal für die strukturschwache Region rund um Görlitz gewesen. Und nicht nur hier. „Überall in Ostdeutschland verfolgen die Menschen genau, ob es gelingt, am Industriestandort Görlitz eine dauerhafte Zukunftsperspektive zu entwickeln“, sagt Frank-Walter Steinmeier. Denn darum geht es bei seiner Reise unter dem Motto „Land in Sicht“. Gezielt besucht er ländliche Regionen, die unter Bevölkerungsschwund und Arbeitsplatzmangel leiden, und unter all den Folgen, die das nach sich zieht.

Nicht nur Ostdeutschland hat solche Regionen. „Land in Sicht“ führt den Bundespräsidenten auch in ausgedünnte westdeutsche Regionen, in den östlichen Bayerischen Wald, in die Uckermark und demnächst in den westlichen Pfälzerwald.

Beim Besuch in der Görlitzer Lokalredaktion der Sächsischen Zeitung zeigt sich Frank-Walter Steinmeier als ein Bundespräsident, der auf der Suche ist nach Antworten auf die Frage, warum das politische Klima in Deutschland derzeit so aufgewühlt ist. Dabei – wie bei seinem gesamten Besuch an der Neiße – versucht Steinmeier, den Blick weg von einem Ost-West-Gegensatz hin zu einem Stadt-Land-Gegensatz zu lenken. „Mich stört schon länger, welches Bild von ländlichen Regionen gezeichnet wird. Da gibt es einerseits sehr erfolgreiche Zeitschriften wie ‚Landlust‘, die ein romantisches Bild entwerfen. Auf der anderen Seite werden ländliche Räume als abgehängt dargestellt. Beide Sichtweisen stimmen so nicht.“

Und er ergänzt, mit Blick auf die Sorgen der Menschen in der Oberlausitz: „Die Umbrüche hier sind mir nicht fremd. Ich komme aus Ostwestfalen, einer Region, die bis Ende der 1970er-Jahre vom Möbelbau geprägt war. In meinem Heimatdorf war jeder zweite Mann Tischler. Dann ist die Möbelindustrie dort innerhalb von zehn Jahren zusammengebrochen. Und dass ein Familienvater von Montag bis Freitag nicht zu Hause, sondern auf Montage ist, das war auch bei uns nicht unüblich. Allerdings kommen hier in der Oberlausitz noch spezifische biografische Brüche hinzu – das ist eine Besonderheit.“

Mehrfach betonen Frank-Walter Steinmeier und seine Ehefrau Elke Büdenbender an diesem Tag, dass es ihnen bei ihren Reisen nicht darum geht, rosarote Bilder zu zeichnen. Aber sie wollen den Blick auf die Stärken und Potenziale lenken – und nicht nur nebenbei Danke sagen für viel Engagement. So führt die Reise am Nachmittag nach Ostritz, dem kleinen Städtchen, das sich seit Anfang des Jahres mit großem Engagement dagegen wehrt, dass wiederkehrende Großveranstaltungen von Neonazis das Bild des Ortes prägen – und das es mit Friedensfest und Friedenslauf den Rechtsextremisten einigermaßen ungemütlich machen will.