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Mutterns Streuselkuchen

Der sorbische Schriftsteller Benedikt Dyrlich sieht grüne Hasen und bedauert Verluste: Erzählungen von einer Heimat, die es so nicht mehr gibt.

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© SZ/Uwe Soeder

Von Michael Ernst

Die meisten der knapp drei Dutzend Geschichten verbindet ein Bedauern. Es ist das Bedauern um den Verlust des Gewohnten und Vertrauten, vor allem um die verlorene Vergangenheit. Was sich durch das lange Schreiben des Autors zieht, sind die engen Bezüge zu seinem sorbischen Volk. Dyrlich wurde 1950 in Neudörfel/Nowa Wjeska geboren. Er schreibt seine Literatur in zwei Sprachen, mit einer ihm eigenen Melancholie.

Sie ist auch in seinem jüngsten Büchlein „Grüne Hasen dampfen ab“ spürbar. Die Angst vor Untergang und Vergessen wird da ebenso ausgedrückt wie schwermutvolles Erinnern an einstige Zeiten. Da werden die Weiher wachgerufen, mit denen sich so manch persönliches Glück des Erzählers verbindet, da duftet es nach Laub und Obst und – besonders nachvollziehbar – nach dem warmen Streuselkuchen von Muttern. Dem „Dresden meiner Mutter“ setzt der Autor ein berührendes, persönliches Denkmal.

Benedikt Dyrlich hat sich als politisch engagierter Autor stets der sorbischen Kultur, ihrem Bedrohtsein und dem Versuch ihres Erhaltens verschrieben. Was nicht bedeutet, dass ihm die literarische Lust am Körperlichen abhandengekommen ist. Auch in den neuen Texten findet sich eine gehörige Portion an so deutlich wie deftig dargestellter Lebens- und Liebeslust. „Der Schreiber kann schreiben, was und wie er will. Er kann den Leser einlullen, Tatsachen und Gefühle umdeuten, auslassen oder hinzuführen“, doziert der Autor in einem seiner Texte. Und fügt sogleich hinzu: „Leser und Herausgeber von Literatur erwarten aber immer bestimmte Markierungen in einer Geschichte.“

Kann es sein, dass Benedikt Dyrlich diese „Markierungen“ vor allem von sich selbst erwartet? Er setzt erkennbar autobiografische Hintergründe, nennt Ortsnamen und beschreibt dörfliches Idyll, das es so kaum mehr gibt. Da klingt viel Schwermut an, obwohl: „Heimat ist hier und heute.“ Wenn Dyrlich solche Begriffe verwendet, von Sprache, Volk und Brauchtum schreibt, klingt das keineswegs „völkisch“ im abgrenzenden Sinne und schon gar nicht nach Selbsterhebung, sondern viel mehr bedrückt. Wiewohl er weiß, dass es „das Paradies“ nie gegeben hat, schon gar nicht für das sorbische Volk, beschreibt er das Trauma der vielfach Unterjochten mit einem Zitat des Dichters Johannes Bobrowski: „Sorben, es kommen die Fremden, sie sagen: Ihr seid Tote, ihr seid wenige, lernt schweigen, streckt euch ins Grab.“

Ein Sammelband mit Geschichten birgt immer beides, Chancen und Risiken. Einerseits die Möglichkeit, Autoren in einer gewissen Vielfalt vorzustellen, andererseits die Gefahr des Verzettelns. Wenn in einer solchen Anthologie kein roter Faden erkennbar wird, wirkt die Zusammenstellung fragwürdig. Auch Benedikt Dyrlich hat einige Texte aufgenommen, die im Kontext seines neuen Büchleins zumindest etwas willkürlich erscheinen.

Am berührendsten sind die Miniaturen in diesem von Jorge Heilpern assoziativ illustrierten Band. Hier ist sich der Lyriker Dyrlich wieder ganz nah. Diese Texte sind sprachlich knapp, voller Bilder, mit dem Geschmack von Äpfeln und dem Duft von Linden. Mag sein, dass es dort einmal grüne Hasen gegeben hat.

Benedikt Dyrlich: Grüne Hasen dampfen ab.

Pop-Verlag, 144 Seiten, 17 Euro, Lesung bei der Bautzener Poesienacht am 31. August, ab 19.30 Uhr. 18 Autoren lesen an acht Orten.