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Mutter muss ins Gefängnis

Ein Kind ist tot, weil es niemand haben wollte. Die Mutter soll deshalb drei Jahre in Haft. Gestraft ist sie nach Ansicht der Richter aber ihr Leben lang. Auch ihre Familie leidet unter der Tat.

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© Jan Woitas/dpa

Zwickau. Drei Jahre Gefängnis für den Tod eines Babys, das den Tag seiner Geburt nicht überlebte: Weil die 33 Jahre alte Mutter ihr Neugeborenes nach der heimlichen Hausgeburt im August 2016 nicht versorgt hat, sprach das Landgericht Zwickau sie des Totschlags durch Unterlassen schuldig. Die Richter gehen von einem minderschweren Fall aus, da die Angeklagte durch die Tat ihr Leben lang stigmatisiert sei. „Das ist die wahre Strafe“, sagte der Vorsitzende Richter Klaus Hartmann bei seiner Urteilsbegründung.

Sie habe den Tod ihres Babys in Kauf genommen, um die unentdeckte Schwangerschaft zu verheimlichen und damit den Bestand der Familie nicht zu gefährden, so der Richter. Den toten Jungen hatte die Deutsche in eine blaue Mülltüte eingewickelt auf einer Wiese in Wilkau-Haßlau abgelegt, wo der Leichnam zehn Monate später bei Mäharbeiten entdeckt wurde. Die genaue Todesursache konnte nicht mehr festgestellt werden.

„Sie ist genug gestraft“, stimmte eine Frau zu, die das öffentliche Verfahren begleitet hatte. Der Zuschauerbänke waren wie schon an den zehn vorangegangenen Verhandlungstagen gut belegt. Das Schicksal des Säuglings beschäftigt die Menschen in der 10 000 Einwohner zählenden Kleinstadt, zumal die Angeklagte Kindergärtnerin ist und im vergangenen Sommer am Arbeitsplatz festgenommen worden war.

Der Vater des toten Babys sowie die drei Kinder des inzwischen getrennten Paares litten daher ebenso unter dem Stigma, sagte die Rechtsanwältin des 35-Jährigen. Er trat in dem Verfahren als Nebenkläger auf und verfolgte die Urteilsverkündung im Gerichtssaal. Er sagte aus, von den Schwangerschaften nichts mitbekommen zu haben.

Selbst bei einem Urlaub mit mehrstündigen Wanderungen in den österreichischen Bergen im Juli 2016 habe er nichts Auffälliges bemerkt. Zu diesem Zeitpunkt muss Anja G. bereits hochschwanger gewesen sein. Unter Wehen brachte sie am Morgen des Tattages noch die Kinder zu Kita und Schule. Nur wenige Tage nach dem Tod des Säuglings wurde der Schulanfang des zweiten Sohnes gefeiert. Heute haben die drei derzeit beim Vater lebenden Kinder den Kontakt abgebrochen.

Wie durch das Verfahren bekannt wurde, brachte die Frau 2014 anonym ein viertes Kind zur Welt und gab es zur Adoption frei. Das Gericht geht inzwischen außerdem davon aus, dass es im April 2015 noch ein Kind gegeben hat. „Dessen Schicksal ist immer noch ungeklärt“, sagte der Richter. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits in dem Fall.

563 entsprechende Sucheinträge auf dem Smartphone von Anja G. hatten die Ermittler ausgewertet. Detailliert mit Datum und Uhrzeit listete der Richter etliche dieser Abfragen rund um die Themen Hausgeburt, Babyklappe, Milcheinschuss oder Schmerzen nach einer Geburt auf. Der Einlassung der Frau, wonach sie diese Informationen für eine Bekannte recherchiert habe, glaubte das Gericht nicht. Einen Namen habe sie nicht nennen wollen, die Aussage sei daher nicht nachprüfbar.

„Die Angeklagte hat in diesem und weiteren zentralen Punkten nicht die Wahrheit gesagt“, sagte der Richter. Auch ihrer Aussage, wonach sie den Säugling ursprünglich zu einer Babyklappe habe bringen wollen, schenkte das Gericht keinen Glauben. Unverständlich sei zudem, warum sie im Wissen um die ablehnende Haltung ihrer Familie zu weiteren Kindern nicht sorgfältiger verhütet oder zumindest frühzeitig auf die Anzeichen einer Schwangerschaft geachtet habe, um rechtzeitig eine Abtreibung vornehmen zu können. Stattdessen habe sie ihrem Lebensgefährten eine nie erfolgte Sterilisation vorgegaukelt.

Die Rolle des Vaters blieb allerdings auch am letzten Prozesstag unklar. Seiner Anwältin zufolge habe es ihn gestört, dass er bei den ersten drei Schwangerschaften vor vollendete Tatsachen gestellt worden sei, ohne den Kinderwunsch vorher abzusprechen. Von Seiten der Verteidigung hieß es während des Prozesses hingegen, die Familie habe Anja G. wegen des Kinderthemas massiv unter Druck gesetzt.

Der Verteidiger hatte Freispruch gefordert, die Staatsanwältin mit fünfeinhalb Jahren eine deutlich höhere Strafe. Beide Seiten wollen eine Revision vor dem Bundesgerichtshof prüfen. (dpa)