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Mutmacher am Regierungssitz

Landespolitik im Talkshow-Format. Ministerpräsident Kretschmer erklärt am Montagabend beim Dresdner „Sachsengespräch“ seine Politik.

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© dpa/Sebastian Kahnert

Von Annette Binninger und Tobias Wolf

Für einen Montagabend in Dresden ist die Stimmung richtig gut. Keine lauten Parolen, nur freundlicher Applaus, als Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) das „Sachsengespräch“ in der Staatskanzlei eröffnet. Höflich, anständig, aber hart in den Argumenten soll es sein, ruft er in die Kuppelhalle. Kretschmer ist routiniert mit dieser Forderung, nachdem die Stimmung bei so manchem seiner Dialogangebote zwischen Bürgern und Regierung sehr gereizt war. Er dankt Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) für die Tour durch Dresden, der charmiert zurück: „Man hat nicht alle Tage einen Ministerpräsidenten als Chauffeur in einem Elektroauto.“

Mehr als 200 Menschen sind gekommen, um mit Kretschmer, Hilbert und Ministern der Staatsregierung zu reden, zu diskutieren oder einfach nur Fragen zu stellen, während auf der anderen Elbseite bei der Pegida-Demo eher raue Töne dominieren. Es ist der Tag der Festnahme von mutmaßlichen Rechtsterroristen in Chemnitz, ein Thema, an dem Kretschmer nicht vorbei kommt. „Das sind Menschen, denen der Rechtsstaat nichts gilt.“

Wie immer drängen sich die meisten der interessierten Dresdner auch an diesem Abend vor allem um Kretschmer. Im „Bienenkorb“ der Regierungszentrale geht es trotzdem ruhig zu. Kretschmer tänzelt wie ein Moderator von Frage zu Frage mit dem Mikro in der Hand. Freundlich lächelnd, ein wenig müde, aber aufmerksam gespannt. Wann endlich die volle Renten-Gerechtigkeit zwischen West und Ost hergestellt sei, fragt ein älterer Mann. Kretschmer erklärt ruhig, wie die Historie dazu war. Dass viele im Westen sich mittlerweile über die hohen Renten im Osten ärgerten. Manches sei da noch möglich, aber nicht alles sinnvoll. Kretschmer will „die Leute nicht enttäuschen“. Er will nicht versprechen, was er nicht halten kann.

Es sind Fehler gemacht worden

Auch nicht beim Thema Rente. „Ich bin lieber ehrlich“, sagt er. Er kontert den Vorwurf, dass Sachsen zu spät und zu schwach gegen rechtsextremistische Tendenzen vorgegangen zu sein, zählt wieder und wieder auf, von der Sonderkommission bis zum Programm „Weltoffenes Sachsen“, was doch alles getan worden sei – routiniert wie schon bei vorausgegangenen Dialogveranstaltungen, mit denen er seit Monaten durch Sachsen tourt.

Was er davon halte, dass am vierten Jahrestag von Pegida am 21. Oktober das Bürgerbündnis „Herz statt Hetze“ zu einer Gegenveranstaltung in Dresden einlade, wird Kretschmer gefragt. Ob es nicht besser sei, wenn die Stadt, wenn das Land nach den Ereignissen in Chemnitz erst mal zur Ruhe komme. Auch ihm sitze das noch alles „ziemlich in den Knochen“, antwortet Kretschmer. Es seien Fehler gemacht worden“, räumt er ein. Der Ministerpräsident ist vorsichtig, aber dann stellt er doch seine Teilnahme an der Gegenveranstaltung an diesem Tag in Aussicht, die das Bürgerbündnis „Herz statt Hetze“ plant. „Ich vermute, da werde ich hingehen.“

Kretschmer erzählt von Vorfällen gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe in Sachsen. „Ich möchte nicht, dass in dieser Stadt jemand Angst hat“, sagt Kretschmer entschlossen. Und im nächsten Satz fordert er den Anwesenden, allen Bürgern, ab, Zivilcourage zu zeigen. „Wenn jemand in der Straßenbahn beleidigt oder angegriffen wird, dann werde ich dort einschreiten.“

Nach einer halben Stunde pariert Kretschmer die Fragen wie ein Mittelfeldspieler den nächsten Pass. Kretschmer verteidigt und erläutert die langsamen Fortschritte beim Umgang mit kriminellen Asylbewerbern. Das sei eben auch eine Seite des Rechtsstaats.

Innenminister Wöller hat wohl das zweitgrößte Publikum des Abends. Am Tisch ein gutes Dutzend Menschen, junge Männer und ältere Damen, drumherum noch mal rund 50 Interessierte. Sie werden den Minister nur ein bisschen ins Schwitzen bringen. Wann kommt man einem Regierungsmitglied schon mal so nahe. Es geht um 1 000 neue Polizisten, die Sachsen einstellen will und wo die denn überhaupt arbeiten sollen. Der erste, vielleicht 19, leitet umständlich ein, es gebe ja drei Arten Extremismus: Links, Rechts und Islamismus und die seien ja gleich zu bewerten.

Bekämpfen die neuen Polizisten auch Extremisten, will der junge Mann wissen. Wöller nickt, sagt: „Auf jeden Fall, 500 schicken wir in den Streifendienst in die Fläche aber auch beim Landeskriminalamt wird ein großes Teil eingesetzt. Dann schiebt er nach: „Wir haben vor allem ein rechtsextremes Problem, sogar Rechtsterrorismus neben anderen Formen.“ Der junge Mann guckt ihn leer an. Einem stadtbekannten AfD-Politiker wird es wohl zu langweilig. Er verlässt schnellen Schrittes den Raum, andere Besucher hören konzentriert zu.

Der nächste will wissen, warum die Polizei mit dem Survivor-Panzerfahrzeug einen Wagen hat, der auch Kriegswaffen wie Maschinengewehre tragen könne. „Weil wir Angreifern ebenbürtig sein und unsere Polizisten dabei schützen müssen.“ Wöller nennt als Beispiel den Fall eines Mannes, der im Mai erst eine Seniorin getötet hatte und sich anschließend auf einem ehemaligen Kasernengelände in Königsbrück verschanzte. Dort dienten die gepanzerten Fahrzeuge als Lockmittel, um den versteckten Schützen zu lokalisieren.

Eine Mittfünfzigerin neben Wöller hat sich vorbereitet und zückt einen Zettel: „Haben Sie schon überprüft, ob einer der heute festgenommenen Terroristen beim LKA arbeitet“, sagt sie mit Blick auf den Fall des bundesweit bekannten „Hutbürgers“. Der Minister verkneift sich ein Losprusten, der Saal lacht. Nein, natürlich arbeite keiner von denen beim LKA.

Es ist Kretschmer, der gegen Ende seiner Bürgerrunde noch einmal zu seinem eigenen Kern zurückkehrt, vielleicht der ihn tragenden Vision von einem Sachsen, das froh und optimistisch trotz allem in die Zukunft blicken sollte. Der Osten habe doch keine Lobby, der ganze Landstrich sei stigmatisiert. Wie er das denn noch ändern wolle, fragt ein älterer Herr – nach eigener Auskunft ein „Exil-Sachse“ seit 40 Jahren, aber besorgt um die alte Heimat. „Immer ruhig bleiben“, sagt Kretschmer zu dem Mann fast liebevoll. „Ich glaube an die Kraft der Menschen in diesem Land“, macht er Mut. „Noch geben wir nicht auf“, fügt er unter Applaus hinzu.