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Die Forschungsmillionen für das Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt bekommt Leipzig. Dresden geht leer aus.

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© dpa/Monika Skolimowska

Von Andrea Schawe

Die Entscheidung ist gefallen: Sachsen geht bei der Gründung eines Instituts für gesellschaftlichen Zusammenhalt fast leer aus. Nur die Universität Leipzig mit dem Forschungsprojekt „Populismus und die Dialektiken des Globalen“ gehört zu den Gründungseinrichtungen. Insgesamt hatten sich fünf Einrichtungen aus Sachsen beworben. Neben der TU Chemnitz und dem Görlitzer Institut für kulturelle Infrastruktur Sachsen wurde auch die ursprünglich favorisierte TU Dresden nicht bedacht.

Das dezentrale Institut wird an elf Einrichtungen aus zehn Bundesländern gegründet, teilt das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit. Neben Leipzig gehören unter anderem auch Halle, die TU Berlin, die Universitäten Bielefeld, Bremen, Frankfurt, Hannover und Konstanz sowie das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft der Amadeu-Antonio-Stiftung in Jena zu den Gründungseinrichtungen. „Die ausgewählten Einrichtungen bringen unterschiedliche Perspektiven und Expertisen ein“, sagte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU).

Der Forschungsverbund erhält die bereits bewilligten Mittel in Höhe von 37 Millionen Euro bis 2022. Union und SPD hatten diese Summe im Bundestag im Zuge der Haushaltsberatungen überraschend durchgesetzt. Ministerpräsident Michael Kretschmer, der als CDU-Bundestagsabgeordneter den Anstoß für das millionenschwere Forschungsvorhaben gegeben hatte, hoffte damals, dass eine Universität in Sachsen zum Zuge kommen würde und mit der Arbeit weit über die Grenzen des Freistaats hinaus Wirkung erzielen könnte.

Aufgabe des Instituts sei es, Umbrüche in der Gesellschaft, soziale Spaltungen und die Folgen der Globalisierung zu analysieren und Rezepte für die Praxis zu entwickeln. „Die Lebenswirklichkeiten von Stadt und Land verändern sich und driften teilweise auseinander. Neue Medien verändern die Kommunikationskultur“, so Karliczek. „In unserer pluralistischen Gesellschaft stellen sich andere Fragen als bisher, wenn es um Zugehörigkeit und Identität geht. Das beschäftigt die Bürgerinnen und Bürger.“

Die Idee für ein solches Institut stammt eigentlich vom Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt. Er hatte zusammen mit Joachim Klose, dem Landesbeauftragten der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sachsen, schon 2014 an der TU Dresden für ein solches Zentrum für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration geworben. Ein präzises Konzept für ein Institut beim Rektor der TU Dresden lag schon im Januar 2015 vor, betonen Patzelt und Klose.

Daraus wurde eine politische Kontroverse. Die SPD kritisierte, dass das Wissenschaftsministerium in Dresden nicht in die Pläne eingeweiht worden sei. Die sächsische SPD-Bundestagsabgeordnete Simone Raatz warnte vor einem rechtskonservativen Thinktank. Die Grünen befürchteten, das Geld sei für eine CDU-nahe Denkfabrik gedacht, die sich im März 2016 im Umfeld der Konrad-Adenauer-Stiftung gegründet hatte. Von einem „Pegida-Institut“ war die Rede, obwohl „die Idee entstand, bevor in Dresden die erste Pegida--Demonstration stattfand“, schreibt Patzelt in seinem Blog.

Der Rektor der TU Dresden, Hans Müller-Steinhagen, gründete stattdessen mit finanzieller Unterstützung des sächsischen Wissenschaftsministeriums ein Zentrum für Integrationsstudien, „das im Umfang und der Anlage unserer Zentrumsidee entsprach, aber ohne den Aspekt des gesellschaftlichen Zusammenhalts aufzugreifen“, sagte Joachim Klose. Er und Patzelt wurden nicht miteingebunden. Der Politikwissenschaftler spricht von „Blockade“.

Mangels der Unterstützung durch die Dresdner Universität reichten Klose und Patzelt ihren Antrag mit der Verwaltungshochschule Meißen ein – „trotz schwindender Realisierungschancen“, sagte Joachim Klose. „Das wir bei der Mittelgabe nicht berücksichtigt wurden, obwohl wir Spiritus Rector der Ausschreibung waren, bedaure ich außerordentlich.“ Das Prozedere habe einem guten Beispiel des gesellschaftlichen Zusammenwirkens nicht entsprochen, „sondern ganz im Gegenteil der politischen Instrumentalisierung und nachträglichen Vereinseitigung“.

Es sei schade, dass nicht nur die Verwaltungshochschule Meißen, sondern auch die TU Dresden mit ihrem eigenen, von vielen Professuren ausgearbeiteten Antrag leer ausgehe, sagte Werner Patzelt. „Ich bin fest überzeugt, dass wir jenes Institut tatsächlich nach Dresden geholt hätten, wenn es zur von Dr. Klose und mir angestrebten Zusammenarbeit zwischen dem Rektor der TU Dresden und dem Wissenschaftsministerium mit uns als den Initiatoren der Institutsidee gekommen wäre.“

Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange gratulierte der Universität Leipzig zu ihrem Erfolg im Auswahlverfahren. Die Leipziger Forscher würden „wichtige Erkenntnisse nicht nur über den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserer bundesdeutschen Gesellschaft, sondern im globalen Funktionieren populistischer Erscheinungen einbringen“, so Stange.

Sie begrüße es sehr, dass für die Gründung des Forschungsverbunds „ein parteipolitisch unabhängiges und ausschließlich wissenschaftsgeleitetes Verfahren“ angewandt werde. Die Ministerin kündigte gleichzeitig weitere finanzielle Unterstützung für das Zentrum für Integrationsstudien der TU Dresden und das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an.