Merken

„Mindesthonorare müssten selbstverständlich sein“

Die Dresdnerin Katja Erfurth ist freie Tänzerin. Mit Kollegen bildet sie eine Koalition gegen Verarmung und für besonderes Publikum.

Teilen
Folgen
© Max Messer

Von Bernd Klempnow

Dresden. Immer ein Erlebnis: Wenn die Dresdnerin Katja Erfurth auftritt, dann prägen sich diese Momente ein. Egal, ob die Tänzerin und Choreografin geniale Tänze rekonstruiert hat, Eigenes fantasievoll inszeniert oder Märchenhaftes für Jung oder Alt erzählt. Sie ist auf der Bühne – ob im Societaetstheater, im Festspielhaus Hellerau, im Theater Junge Generation, in Schulen ... –, weil dies ihr einziger Weg ist, wie Vorbild Mary Wigman sagte, „tiefste und fundamentale Gefühle“ auszudrücken.

Was nur wenige wissen: Die Künstlerin, die von 1990 bis 1997 im Ballett der Semperoper tanzte und seitdem freiwillig als Freie arbeitet, ist auch ihre eigene Dramaturgin, Bühnen- und Kostümbildnerin. Sie macht die Öffentlichkeitsarbeit, stellt Förderanträge, schaltet Anzeigen, kümmert sich um Plakate und Handzettel – neben der täglichen Probenarbeit, den Aufführungen. Anders wäre das für sie nicht zu finanzieren. Sie bekommt für ihre Kunst zumeist einen Hungerlohn – so, wie faktisch alle Freien in der Darstellenden Kunst. Unterstützung von Stadt und Land kann es geben. Aber die ist, wenn Förderanträge bewilligt sind, minimal. „Die Zahlung von Mindesthonoraren müsste selbstverständlich sein“, sagt Katja Erfurth. Dafür kämpfen neuerdings mehrere Initiativen.

Die Dresdner nennt sich Koalition Freie Darstellende Künste. Sie ist ein Zusammenschluss von gut zwei Dutzend professionellen, unabhängig produzierenden Tanz-, Theater-, Performance- und Medienkünstlern. Deren Ziel ist es, mit der Kulturpolitik und Kulturinstitutionen das Potenzial der relativ starken Szene in der Stadt besser auszuschöpfen: mit optimierten Gestaltungs- und Produktionsstrukturen, mit Mindesthonoraren, mit einer besseren Nachwuchsförderung und einer stärkeren Einbeziehung und Bildung des Publikums.

Am Montag wird es durch die Sächsische Akademie der Künste und das Festspielhaus Hellerau dazu ab 19 Uhr eine Diskussion im Festspielhaus geben. Themen sind: Unter welchen Bedingungen wird in Dresden und anderen Städten gearbeitet? Welchen Stellenwert hat die Szene im Haushalt der Landeshauptstadt? Warum verlassen viele junge Künstler Dresden, wo sie fantastisch ausgebildet worden sind, etwa an der Palucca Schule?

Präsentiert wird auch das Positionspapier der Koalition „Zwei für Dresden“. Gemeint ist, dass Dresden seine Kulturausgaben für diese Künstler deutlich erhöhen und die bestehenden Förderinstrumente umstrukturieren müsste, um „der fortschreitenden Prekarisierung“ der freien Tanz- und Theaterleute entgegenzuwirken.

Die ist tatsächlich fatal. „Selbstausbeutung, mangelnde Probenzeit, zu wenig bezahlbare Probenräume und minimale Aufführungshonorare sind unser Alltag“, so Katja Erfurth im Namen ihrer Kollegen. „Ja, selbst gewählt. Es ist ja auch schön, ohne Hierarchien zu arbeiten. Zugleich weisen wir darauf hin, dass wir ja nichts geschenkt haben, aber für unsere Leistung angemessen und fair bezahlt werden wollen.“ Auch müsste es überfällig eine Unterscheidung zwischen professioneller sowie Amateur- und Laienkunst geben. Derzeit fördert Dresden vermischt, obwohl die künstlerischen Ansprüche völlig andere sind.

Bislang gab die Kommune nur 0,1 Prozent ihrer Kulturmittel für diese Kunst aus. Das waren gut 83 000 Euro für alle 30 geförderten Künstler und Ensembles 2017. Um wenigstens die Honoraruntergrenze für Produktionen – sie liegt bei circa 75 000 Euro für ein mehrwöchiges Proben- und Aufführungsprojekt von einem Ensemble – zahlen zu können und die Versäumnisse der vergangenen Jahre bei der institutionellen Förderung auszugleichen, bräuchte es zwei Millionen Euro pro Jahr mehr.

Die ähnlich ausgerichtete Leipziger Kampagne Kulturstark will den Wert der Freien Szene, aber auch die klaffende Gerechtigkeitslücke sichtbar machen und fordert einen Aufwuchs der jährlichen Fördermittel um mindestens 3,5 Mio Euro ab dem kommenden Haushalt. Auch sie geht jetzt an die Öffentlichkeit. Erstaunlicherweise kann sie das sogar im Neuen Rathaus von Leipzig tun, also dort, wo entschieden wird. Kulturstark fordert „ein grundsätzliches Umdenken in der Kulturpolitik. Die Arbeit der Freien Szene muss in ihrer immensen Bedeutung für Lebensgefühl, Attraktivität und kulturelle Vielfalt der Stadt erkannt und gefördert werden“. Dass die freien Künstlerinnen und Künstler trotz internationaler Strahlkraft als „working poor“ unter Armutsfolgen zu leiden hätten, sei nicht weiter hinnehmbar.

„Wir wollen niemandem etwas wegnehmen“, sagt Katja Erfurth, die auch kulturpolitisch stark engagiert ist. „Und uns ist klar, dass Leuchttürme wie die Philharmonie oder das Kulturkraftwerk die Millionen-etats brauchen.“ Sie verstünden daher ihr „Zwei für Dresden“-Papier als Perspektive, um gerade mit Weitblick auf die Kulturhauptstadtbewerbung langfristig diese eigentlich sehr innovative Szene zu stärken. „Da wir kleine Strukturen haben, können wir viel schneller auf aktuelle Themen reagieren. Wir können flexibel die Tiefe einer Stadt in alle Stadtteile hinein bespielen und ausdrücklich die Arbeit mit und für besondere Zielgruppen ergänzen.“

Es ist erstaunlich, dass die sonst eher ruhigen Tänzer diesmal Vorreiter sind. Zugleich sehen sie ihre Initiative als eine, die nicht nur für ihre Belange gilt. „Unsere Koalition hat eine seriös erarbeitete Ist-Analyse des Bedarfes und zeitgemäßerer Förderinstrumente vorgelegt“, sagt Katja Erfurth. „Wir wollen damit andere Freie, ob Musiker, bildende Künstler oder Filmemacher, zur Nachahmung ermutigen.“