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„Migration nicht Ursache für Rechtsruck“

Eine Dresdner Studie untersucht Populismus in Europa. Für Sachsen kommt sie zu einem überraschenden Ergebnis.

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© Carsten Koall/dpa

Von Thilo Alexe

Der Zuwachs ist augenfällig: Europaweit legen populistische Parteien zu. Seit dem Jahr 2000 haben sie ihre Wahlergebnisse mehr als verdoppelt. In Tschechien gewann der Milliardär und EU-Kritiker Andrej Babiš mit seiner Protestpartei ANO 2017 die Parlamentswahlen.

Seit einem Jahr ist die rechtsgerichtete FPÖ in Österreich an der Regierung beteiligt. Die gegen jede Form von Establishment gerichtete Fünf-Sterne-Bewegung ist seit März stärkste Kraft in Italien. Wissenschaftler der TU Dresden sowie der Universität Duisburg/Essen um den Politologen Hans Vorländer haben das Phänomen untersucht und gefragt, wie stark diese Erfolge mit Migration verbunden sind:

Wie definieren die Forscher Populismus in der Politik?

Die Kernfrage beantwortet die am Dienstag in Berlin vorgestellte Studie „Migration und Populismus“ recht eindeutig. Im Aufschwung, analysieren die Forscher, befindet sich vor allem der Rechtspopulismus. Populismus ist geprägt durch die Vorstellung eines homogenen Volkswillens („Wir sind das Volk“) und die Abgrenzung gegen die politische Elite. Zentral ist auch die Behauptung, der einzige Weg zur demokratischen Umsetzung dieses Willens zu sein.

Wie hängen Migration und Populismus zusammen?

Beispiel Polen: Die rechtspopulistische PIS-Partei um Jaroslaw Kaczynski profitiert von der Debatte um Flüchtlinge, obwohl kein nennenswerter Anstieg von Flüchtlingsbewegungen in das osteuropäische Land zu verzeichnen ist. Vorländer spricht von „Salienz“. Gemeint ist die öffentliche Bedeutung eines Themas. Wird ausgiebig über Flucht debattiert, stärkt das meistens die Gegner bisheriger Asylpolitik. Nicht nur daraus lässt sich eine der Kernthesen der Studie ableiten. „Migration hat bestehende Konfliktlinien in und zwischen den europäischen Gesellschaften offengelegt oder verschärft. Sie ist Auslöser, nicht Ursache.“

Welche Faktoren spielen dann noch eine Rolle?

Ganz salopp gesagt: Es ist nicht unbedingt der Fremde, sondern eher die Angst vor dem Fremden, die wirkt. Wissenschaftler formulieren das natürlich anders. „Rechtspopulismus lebt von den Bedrohungsgefühlen, Feindbildern und negativen Emotionen, die Migration in Teilen der Bevölkerung erzeugt.“ Das aber ist nicht alles. Es kommen vor allem in Osteuropa Sorgen vor dem Verlust der kulturellen Identität dazu. Auch wirtschaftliche Verlust- und Abstiegsängste spielen eine Rolle – so wie die Furcht vor Kriminalität, die oft an dem Vorwurf des Staatsversagens gekoppelt ist. Die Studie, für die statistische Daten, aktuelle Forschung und Umfragen ausgewertet wurden, verweist auf skandinavische Wohlfahrtsstaaten wie Schweden. Dort werden „Asylsuchende auch als Ursache für die Verschärfung des Wettbewerbs um Sozialleistungen angesehen“.

Geht es also hauptsächlich um Einkommensschwache?

Nein. Den Erfolg bei der Bundestagswahl konnte die AfD aufgrund eines vielschichten Wählerspektrums feiern. In gleichem Maß wurde sie von Arbeitern und Arbeitslosen gewählt. Doch auch Angestellte, Beamte, Selbstständige sowie Rentner trugen maßgeblich und zu je fast gleichen Teilen zum AfD-Ergebnis bei. Die Partei mobilisiert auch unter Besserverdienenden. „Nicht der gegenwärtige soziale Status, sondern der sorgenvolle Blick auf die Zukunft“ befeuere Migrationskritik und verstärke Sympathien für Populisten.

Wie analysieren die Forscher die Lage in Sachsen?

Seit vier Jahren spaziert Pegida montags durch Dresden, die AfD wurde im Freistaat stärkste Kraft bei der Bundestagswahl. Die Autoren warnen allerdings vor vorschneller Einordnung. Das „mediale Bild Sachsens als rechtes ‘Schmuddelkind’ der Republik“ erweise sich „bei genauerer Betrachtung als trügerisch“. Fremdenfeindliche Einstellungen seien „kaum stärker“ ausgeprägt als in anderen Ost-Bundesländern. Sachsens Besonderheit speise sich aus der „spezifischen politischen Deutungskultur und Mentalität“. Die Wissenschaftler erkennen ein an sich unproblematisches „starkes Selbst- und Traditionsbewusstsein“ sowie die auch in der DDR ausgeprägte „Tendenz zu regionaler Identitätspflege“. Dazu komme wie anderswo Skepsis gegenüber Eliten. Die Vermischung von all dem könne zu Wut und Empörung führen.

Was lässt sich gegen Populismus tun?

Die Studie gibt Empfehlungen. Regierungspolitik sollte die „Deutungshoheit“ bei Migration und Integration „da, wo sie verloren gegangen ist, wiedererlangen“. Wichtig sei eine Versachlichung der Debatte. Flüchtlingsquoten helfen demnach nicht, notwendig sei ein „gesamteuropäisches Migrationsregime“ mit Blick auf Besonderheiten der Mitgliedsstaaten. Zudem brauche es Angebote jenseits der Asylpolitik und nicht zwingend deren Verschärfung: „Rezepte gegen Rechtspopulismus sind nicht allein auf dem Feld der Integrations- und Migrationspolitik zu finden.“