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Menschenschmuggel in der Sardinenbüchse

Illegale Einreise scheint wieder zuzunehmen. Bereits jetzt sind fast so viele Fälle aufgedeckt wie im gesamten Vorjahr.

Von Jörg Stock
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Ende einer Schleuserfahrt: In diesem
Kleinbus, ausgelegt für acht Passagiere, entdeckten Bundespolizisten im August auf
der A 17 bei Breitenau 26 Vietnamesen ohne Ausweise. Der Fahrer,
ein 22-jähriger
Slowake, sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Theoretis
Ende einer Schleuserfahrt: In diesem Kleinbus, ausgelegt für acht Passagiere, entdeckten Bundespolizisten im August auf der A 17 bei Breitenau 26 Vietnamesen ohne Ausweise. Der Fahrer, ein 22-jähriger Slowake, sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Theoretis © Bundespolizei

Ein Abend im August, einer der wenigen dieses wüstenheißen Sommers, der etwas kühler ist. An der Autobahn A 17 sind Bundespolizisten im Einsatz. Gegen halb neun wollen sie einen Kleinbus aus dem Verkehr fischen. Der Fahrer gibt Gas, muss aber doch auf den Parkplatz Heidenholz einbiegen. Als die Beamten das Heck öffnen, sind sie baff: Der Wagen ist vollgestopft mit Menschen. 26 Vietnamesen sind es, Erwachsene und Jugendliche, die dicht an dicht am Boden hocken. Wie Sardinen in der Dose haben sie stundenlang ausgeharrt für ihren Traum, ohne Papiere nach Deutschland zu kommen. Der Traum endet in den Diensträumen der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel.

Ein Fall von vielen Schleusungen, die von den Beamten dieses Jahr vereitelt wurden. Wie die Schlepper vorgehen und was die Polizei dagegen unternimmt.

Bundespolizisten arbeiten an der Optimierung der Einsatztaktik

Wenn Polizeihauptkommissar Sven Löschner, Chef des Ermittlungsdienstes der Berggießhübeler Inspektion, die Fotos von dem Schleuserwagen betrachtet, kann er nicht begreifen, wie die Menschen, eingestiegen wohl in der Slowakei, diese Tortur ausgehalten haben. Dazu noch die Gefahr bei einem eventuellen Unfall „Wahnsinn!“

Die Kontrollergebnisse legen nahe, dass die Zahl derer, die an der Landkreisgrenze unerlaubt nach Deutschland kommen, wieder ansteigt. Noch 2017 registrierte die Bundespolizei Berggießhübel 748 Fälle von illegaler Einreise oder illegalem Aufenthalt. Diese Zahl ist Mitte Oktober dieses Jahres mit 742 unerlaubt Eingereisten schon fast erreicht. Mit Prognosen hält sich Inspektionssprecher Martin Ebermann jedoch zurück. Man müsse abwarten, wie der Rest des Jahres verlaufe. Fakt sei, dass die Inspektion ihre Taktik bei der Suche nach Schleusern und Geschleusten „optimiert“ habe, sagte er, ohne Einzelheiten preiszugeben. Jedenfalls sei der Verkehr Richtung Ausreise stärker in den Fokus gerückt.

Fast schon alltäglich: Enttarnung falscher Touristen

Die Ausreiseseite ist interessant, weil dort vermeintliche Touristen als Schwarzarbeiter enttarnt werden, durch überschrittene Aufenthaltsfristen, Papiere vom Arbeitgeber und große Bargeldmengen. Das betrifft vor allem Menschen aus Moldawien. Über 200 wurden dieses Jahr schon ertappt. Zwar dürfen sie für drei Monate Deutschland besuchen, aber nicht arbeiten. An der Grenze zeigen sie den moldauischen Pass, bei den Ämtern im Inland hingegen gefälschte Ausweise, die zur Arbeitsaufnahme taugen, bevorzugt rumänische, denn die sind leicht zu fälschen. Anleitungen dazu gibt es sogar im Internet, sagt Ermittler Löschner. Gewerbliche Fälscher nehmen um die 200 Euro für ein Plagiat.

Ziele der falschen Rumänen sind Ballungsräume, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen. Gearbeitet wird auf dem Bau, in der Pflege, bei Reinigungsfirmen. „Der Bedarf an Arbeitskräften ist offenbar groß“, sagt Sven Löschner. Es gebe Fälle von Ausbeuterei. Oft aber würden korrekte Löhne gezahlt, ebenso Steuern und Sozialabgaben. „Aber es bleibt Schwarzarbeit.“

Um dieses Delikt ins „Hellfeld“ zu ziehen, setzt die Bundespolizei auf Hinweise aus den Rathäusern; etwa, wenn viele ausländische Personen in schneller Folge an ein und derselben Adresse gemeldet werden. Aufgrund solcher Tipps war es im Juli dieses Jahres zu einer Razzia in Dresden und Heidenau gekommen, bei der auf Baustellen 17 illegal beschäftigte Moldauer ertappt wurden. Die Ermittlungen gegen ihren Schleuser, einen 49-jährigen Polen, stehen laut Löschner vor dem Abschluss.

Womöglich wieder im Kommen:

die Absetzschleusung

Eine Gruppe orientierungsloser Fremder streift an einem Septembermorgen durch Dohna. Bürger rufen die Bundespolizisten aus Berggießhübel, die noch sieben Iraker aufgreifen können. Laut Zeugen sollen etwa doppelt so viele Menschen von ihrem Schleuser abgesetzt worden sein. Vermutlich flüchteten sie oder wurden von ihren in der Nähe wartenden Angehörigen in die Fahrzeuge geladen. Etwa seit Sommer dieses Jahres registriert die Berggießhübeler Inspektion vermehrt sogenannte Absetzschleusungen, bei denen die Geschleusten kurz hinter der Grenze aus den Autos steigen, oft von Kontaktleuten erwartet, die mittels Handy herandirigiert werden. In solchen Fällen sei man auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen.

Die Komfortvariante: Einreise mit erschlichenem Visum

Die „teure Eintrittskarte“ in die EU, so der Ermittler, ist ein erschlichenes Visum. Preise von um die 5 000 Euro würden dafür aufgerufen. Auf dieses Mittel greifen zum Beispiel Menschen aus der Türkei zurück, auch Armenier und Aserbaidschaner. Schleuserringe im Heimatland geben für ihre Kunden frisierte Antragsunterlagen bei den Botschaften ab. Die erfundenen Daten sollen den touristischen Zweck der Reise und die Rückkehrwilligkeit der Reisenden untermauern. Im Zielland beantragen die Menschen dann Asyl oder tauchen einfach unter.

Der Türke Ali B., der nach dieser Methode über 100 Landsleute nach Deutschland gebracht haben soll, stand erst vorige Woche vor dem Pirnaer Amtsgericht. Seit Berggießhübeler Bundespolizisten ihn Ende 2015 als „Reiseleiter“ mit drei Klienten auf der A 17 erwischt hatten, war gegen ihn ermittelt worden. Ab April dieses Jahres mit europäischem Haftbefehl gesucht, wurde Ali B. im Juni am Budapester Flughafen verhaftet und für den Prozess nach Deutschland überstellt.

Von den 22 Schleuser-Aktionen des Ali B., die von der Bundespolizei untersucht worden waren, flossen letztlich nur sechs mit insgesamt 19 Geschleusten in das Urteil ein: Bewährung sowie Einziehung des Schleuserlohns von 50 000 Euro. Das klingt mild. Ermittler Löschner äußert sich diplomatisch. Aufgabe der Polizei sei es, Licht in das Dunkel zu bringen, den Fall zu ermitteln und die Beschuldigten festzunehmen. „Wir müssen die Urteile nicht gut finden“, sagt er. Enttäuscht? „Wir sind Realisten.“