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Krebs-Killer aus dem Meer

Bakterien oder Viren machen Meeresschwämmen nichts aus. Dieses Prinzip könnte Patienten retten. Ein Team der TU Bergakademie Freiberg forscht daran.

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© Picture Alliance/WaterFrame/Franco Banfi

Von Jana Mundus

Die Chance auf Heilung versteckt sich auf dem Meeresgrund. Sie hält sich fest an großen Steinen und Felsbrocken. Es ist ein mariner Schwamm. Seine kleinen, bis zu vier Zentimeter langen Röhrchen strecken sich in Richtung Wasseroberfläche. Wissenschaftlich korrekt heißt er Aplysina aerophoba. Darin steckt das Wort Phobie – Angst. Der Schwamm hat ein Problem mit Luft. Kommt er mit ihr in Berührung, färbt er sich schwarz. Besser merken lässt sich ein anderer Name, den ihm seine gelbe Farbe beschert hat: Goldschwamm. Für die Medizin könnte er ein richtiger Goldschatz werden. Wie Forscher des Universitätsklinikums Dresden und der TU Bergakademie Freiberg nun herausfanden, kann er bei der Heilung von Krebs helfen. Biotechnologie aus dem tiefblauen Meer.

Es beginnt mit einem Urlaub, einem Arbeitsurlaub. Hermann Ehrlich, Professor an der TU Bergakademie, reist vor zehn Jahren zusammen mit seinem Sohn Andre ans Adriatische Meer. Für eine besondere Prüfungsleistung im Abitur erforschen sie die Schwämme vor der Küste Montenegros. Schon seit 2003 beschäftigt sich Hermann Ehrlich mit diesen Lebewesen aus dem Meer. Am Freiberger Institut für Experimentelle Physik ist er zuständig für Biomineralogie. „Nach der Zeit in Montenegro hat das Thema auch meinen Sohn nicht mehr losgelassen.“

Die Faszination für die Schwämme macht Ehrlich mit einer Zahl deutlich: Vor 800 Millionen Jahren sind sie auf der Erde entstanden. Bis heute haben sie überlebt. „Das liegt an ihrer Abwehrstrategie, die sie schützt“, erklärt er. Sie basiert auf chemischen Stoffen, den sogenannten Bromtyrosinen. Das Besondere an ihnen: Sie wirken gegen Bakterien, Parasiten und Viren. „Kein anderer Organismus kann den Schwämmen deshalb gefährlich werden.“ Die Idee, dass sie sich dadurch zur Bekämpfung von Krankheiten eignen, existiert schon länger. Ehrlich und sein Team wollen die Mechanismen, die Schwämmen das Überleben sichern, für die Menschheit nutzbar machen.

In Montenegro unterstützten sie vor ein paar Jahren den Aufbau einer speziellen Zuchtanlage für Schwämme. Denn obwohl der Bedarf an Bromtyrosinen für Forschungszwecke steigt, gibt es bisher keine effektive Methode für deren Gewinnung. Die Freiberger Forscher entwickelten eine Methode, mit der bis zu 100 Prozent dieser Substanzen aus einem Schwamm isoliert und extrahiert werden können. Dafür wird auf der Farm nur ein Teil des Schwamms unter Wasser abgeschnitten. Das Gewebe kann so nachwachsen. Schwämme als nachwachsender Rohstoff. Ihr Verfahren ist die erste und bisher einzige Methode zur abfallfreien Gewinnung von Bromtyrosinen weltweit. Mit ihrer selbst gegründeten Firma BromMarin wollen die Ehrlichs und zwei weitere Mitstreiter den wertvollen Stoff aus den Schwämmen nun kostengünstig und in hoher Qualität für Forschungszwecke zur Verfügung stellen. Weltweit kostet ein Milligramm solcher Substanzen zwischen 200 und 500 Euro. Gleichzeitig wird durch die Methode das feingliedrige Gerüst des Schwamms erhalten, das aus Chitin besteht. Es kann als Filter in den Materialwissenschaften, als natürlicher Wundverschluss in der Biomedizin oder als Nährmedium für Stammzellen in der Forschung verwendet werden.

Vor einiger Zeit gab es ein erstes Gespräch zwischen Hermann Ehrlich und dem Arzt Stefan R. Bornstein vom Universitätsklinikum Dresden. Von Professor zu Professor, sagt Ehrlich. Bornstein ist in der Krebs- und Diabetesforschung aktiv. Das passt. Gemeinsam beschließen sie, ein Forschungsprojekt zur Wirkung des Goldschwamms in der Krebsbehandlung auf den Weg zu bringen. Unter Federführung der Medizinerin Nicole Bechmann schauen sich die Wissenschaftler vom Universitätsklinikum Dresden genauer an, wie das Aeroplysinin-1, ein Bromtyrosin-Wirkstoff aus dem Goldschwamm, auf Tumore wirkt. Sie entdecken Erstaunliches.

Im Zentrum der Untersuchungen stehen Tumore, die das Nebennierenmark angreifen. Im Labor wird deutlich, dass der Stoff gegen diese Tumore wirkt. „Bei dieser Erkrankung, von der viele Patienten betroffen sind, steigt der Blutdruck extrem an“, erklärt Bornstein. Bisherige Therapien greifen bei dieser Krebsart nicht. Mit dem Aeroplysin-1 wird das Entstehen der Metastasen ausgebremst. „Bisher stehen wir ganz am Anfang unserer Forschungsarbeit zu den Schwamm-Wirkstoffen“, sagt der Professor. Doch die ersten Ergebnisse würden zeigen, dass es in Zukunft womöglich Erfolg versprechende neue Behandlungsmöglichkeiten für Betroffene geben wird. In drei bis fünf Jahren, so schätzt der Mediziner, könnten erste klinische Studien mit Patienten durchgeführt werden. „Es ist ein neuer Ansatz, der sich nun aber erst einmal beweisen muss.“ Das nächste Forschungsprojekt wird gerade vorbereitet. Es beschäftigt sich mit dem Einsatz der Schwamm-Wirkstoffe als Antibiotikum und damit als Alternative bei multiresistenten Keimen. Ein Gewinn könnten dafür wiederum die chemischen Prozesse in den Schwämmen sein, die bis zu 20 verschiedene Bromtyrosine gleichzeitig produzieren können. „Für Bakterien wäre es schwierig, gegen all diese Stoffe Resistenzen aufzubauen“, erklärt Ehrlich das Prinzip, auf das alle hoffen.

Für Hermann Ehrlich ist das nur ein weiterer Schritt. Schließlich gäbe es neben dem Goldschwamm noch viele weitere Meeresschwämme. Ihre Heilungskraft zu erforschen und die Schwämme dann zu kultivieren, hält er für ein lohnenswertes Ziel. Sie als Rohstoff zu erschließen, wäre für viele Staaten durchaus lukrativ. In einem russischen Magazin erscheint bald ein Artikel zu Ehrlichs Arbeit. Dort rechnet er vor, welche Werte vor den Küsten verschiedener Staaten noch im Meer liegen. Für die USA seien 50 Milliarden Dollar durch die Schwamm-Ressourcen drin, für Kuba etwa 25 Milliarden, für Italien zehn und für Spanien immerhin noch fünf Milliarden. „Zuchtanlagen aufzubauen, wäre auch für nordafrikanische Länder interessant, in denen so neue Jobs entstehen könnten.“ Vielleicht ein Weg gegen die massive Abwanderung aus diesen Ländern, sagt er.

Auch mit den positiven Ergebnissen der ersten Studien – noch hat Hermann Ehrlich es schwer, Investoren für seine Projekte zu finden. Die „Blaue Biotechnologie“ sei für die Pharmaindustrie aber durchaus eine lohnenswerte Idee für die Zukunft. Viele Arten in den Meeren sind noch gänzlich unerforscht. Vielleicht schlummern noch weitere Wunder am Meeresgrund.