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In Böhmen müssen deutsche Grabstätten weichen

In Desná landeten Grabsteine auf einer Deponie, in Bedrichov will man sie einebnen. Warum?

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© P. Laurinova

Von Petra Laurinova

Fünf zerstörte deutsche Gräber und Reste der Grabsteine auf einer offenen Schutthalde – das ist ein Resultat der Bemühungen der Isergebirgsstadt Desná (Dessendorf) in Tschechien, die verfallene Friedhofsmauer zu renovieren. „Die Lage war schon ganz kritisch und gefährlich, der Mauer sowie den Gräbern drohte der Einsturz“, erklärt der Sekretär des Stadtamtes Jaroslav Müller. Wie er sagt, sei es unmöglich gewesen, die deutschen Gräber zu retten. Dass die künstlerisch wertvollen Artefakte der Grabsteine auf eine offene Deponie kamen, sei ein Fehler der Baufirma gewesen. „Die Entfernung von Gräbern solle und werde eigentlich mit mehr Feingefühl durchgeführt“, gibt der Sekretär an.

Viele Gräber sind verwahrlost.
Viele Gräber sind verwahrlost. © P. Laurinova

Der Friedhof in Dessendorf mit 60 großen Grüften wurde 1891 angelegt. „Nur zehn Grufthäuser werden bis heute gepflegt“, sagte Müller. Bei weiteren hat die Gemeinde keine Verbindung zu den Nachkommen der Verstorbenen aufbauen können. „Die Gräber sind verlassen, niemand kümmert sich um sie“, bedauert Müller. Eine der wenigen Ausnahmen ist Volker Umann, dessen Familie nach dem Zweiten Krieg vertrieben wurde. „Wir haben eine Pflegevereinbarung mit dem Gablonzer altkatholischen Pfarrer Karel Kolacek und der Desnáer Pfarrgemeinde abgeschlossen. Zunächst für die kommenden fünf Jahre mit dem Ziel der Weiterführung“, so Müller. Auf dem Friedhof befinden sich neben den Grüften heute fast 500 Gräber und 274 Gedenksteine in einem Urnenhain.

Trotz der umstrittenen „Entsorgung“ der Grabsteine war die Restaurierung der Friedhofsmauer nicht kostenlos. Rund 650 000 Kronen (26 000 Euro) zahlte die Stadt für die Sanierung der Wand, an der insgesamt 15 Gräber stehen. Fünf davon wurden zerstört. „Die Grabstellen bleiben aber erhalten, beschädigt wurden nur die Steine, praktisch das, was oberhalb der Erde war. Die Tafeln mit den Namen haben wir vorsichtig abgenommen und legen sie nach der Renovierung zurück auf die Wiese vor der Mauer“, sagte Müller.

Gesetze werden ignoriert

Obwohl ein Schutz von deutschen Gräbern vertraglich vereinbart ist, droht vielerorts die Beseitigung der alten Ruhestätten. Deutsche Gräber bedeuten ein Problem auch für die Gemeinde Bedrichov (Friedrichswald), die schon mehrere Jahre nach Geld für die Friedhofssanierung sucht. „Im Zuge dessen sollen auch nicht mehr betreute Gräber von vertriebenen Sudetendeutschen aufgelöst werden. Der Grund dafür ist, dass wir dringend die Kapazität des Friedhofs vergrößern müssen“, sagt die Ortschronistin Anna Darbujánová.

Die Gemeinde hat eine detaillierte Datei über alle 1 300 Grabstellen ausarbeiten lassen. „Damit wollen wir an die Öffentlichkeit und Verwandte appellieren, sich bezüglich der Gräber zu melden“, sagte sie. Das Verzeichnis liegt aus im Ortsamt und könne auch Deutschen bei der Suche nach ihren Wurzeln im Sudetenland behilflich sein.

Laut des Nachbarschaftsvertrags, den Deutschland und die Tschechoslowakei 1992 abgeschlossen haben und der bis heute gilt, dürften die Gräber nicht eingeebnet, sondern müssten gepflegt werden. Im vergangenen Jahr gab der Rat der Minderheiten bei der tschechischen Regierung ein Handbuch für Gemeinden heraus, mit Tipps, wie sie bei der Pflege der Gräber vorgehen sollen. In der Praxis hält man sich daran aber nur in Einzelfällen.

Auf dem Friedhof in Smržovka (Morchenstern) und Rýnovice (Reinowitz) sind je 100 Gräber in desolatem Zustand. Nur manche Reihen, die mit tschechischen Namen, machen dort einen gepflegten Eindruck – ein scharfer Kontrast zu den früher imposanten, heute verfallenen deutschen Gräbern. Auf dem Hauptfriedhof in Jablonec (Gablonz) handelt es sich um rund 700 ungepflegte deutsche Gräber. Die Stadt bemüht sich nach und nach, wenigstens die bedeutenden Grabstellen von früheren deutschen Bürgermeistern in Ordnung zu bringen. Mit Blick auf den Gesamtumfang sei das aber nicht allzu viel. Von deutscher Seite schwindet zudem das Interesse an den letzten Ruhestätten. Denn die Generation der Vertriebenen stirbt, ihre Nachkommen haben oft nicht mehr das gleiche Interesse wie die tatsächlich Betroffenen. Außerdem ist die Zahl der Friedhöfe einfach sehr groß und viele ehrenamtlich aktive Vereine und Organisationen in beiden Ländern bemühen sich vorrangig um Kulturdenkmale wie Kirchen, Klöster, Schlösser oder auch wertvolle Villen, Fabrikgebäude, Gast- und Bauernhöfe.

Trotzdem sind sich einige bewusst, dass Handlungsbedarf besteht. „Eine gründliche Dokumentation wollen wir nun gemeinsam mit Tschechen und hinterbliebenen Deutschen zusammenstellen“, sagte Friedrich Heinrich von den sudetendeutschen Familienforschern. Gerade das steigende Interesse der Öffentlichkeit an diesem sensiblen Thema, bedeute für die deutschen Ruhestätten neue Hoffnung, meint Friedrich Heinrich.