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Ich kaufe mir mein Krankenhaus

Der Chirurg Dr. Rolf Lange scheint ein Arzt zu sein, dem alle vertrauen – sogar die Banken. Nun gehört ihm die Klinik in Döbeln.

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Von Ulrich Wolf

Parkplatznot kennt Dr. med. Ralf Lange nicht. Wenn er mit seinem silbernen Audi A8 die Auffahrt zum Krankenhaus Döbeln am Rande der Stadt hinaufgefahren ist, wählt er einfach einen der reservierten Stellplätze für die Oberärzte. Dann schaut er auf den gepflegten, kleinen Park, dessen gepflasterte Treppen und Wege hinab zur Mulde führen. Er blickt auf das eingerüstete Stammhaus von 1881, wo bald 13,5 Millionen Euro verbaut sein werden. Er macht einen Rundgang durch die Neubauten der Chirurgie, Orthopädie und Inneren Medizin, deren Fenster einen anschauen wie hundert Augen. Das alles ist seins, das gesamte, einst städtische Krankenhaus mit 200 Betten und 350 Beschäftigten.

Mitte Juli überraschte der 45-Jährige ganz Döbeln mit der Nachricht, er habe die Klinik gekauft. Dr. Ralf Lange war da schon Chefarzt und sozialmedizinischer Direktor, nun ist er zudem Sachsens jüngster Krankenhausbesitzer. „Ich war immer jung dran“, sagt er. „Mit 17 das Abitur, mit 19aus der Armee, mit 35 einer der jüngsten Chef-Chirurgen Deutschlands. Zeit habe ich nie verloren.“

Lange lächelt. Verschmitzt wie ein Lausbube. Auf den Wangen bilden sich Grübchen. „Charmant“ sei er, sagt ein Wegbegleiter. „Zielstrebig, ehrgeizig, durchsetzungsstark.“ Und verschwiegen, wenn es sein müsse. Vom Kauf des Krankenhauses war laut Lange nur ein kleiner Kreis eingeweiht. „Selbst meine Frau habe ich spät informiert.“ Mit Dr. Regine Lange ist er nicht nur seit 20Jahren verheiratet, sie ist im selben Krankenhaus auch Chefärztin für Innere Medizin.

Ein Ärzteehepaar, das in Döbeln Geld scheffelt? „Der hat das nur gekauft, damit man ihm niemanden vor die Nase setzt“, heißt es in der Lokalpolitik. Lange wischt sich mit der linken Hand über die Wange, als wolle er eine Fliege verscheuchen, dann verschränkt er die Arme hinter den Kopf, runzelt die Stirn. „Das stimmt in gewisser Weise sogar. Wahrscheinlich hätte ich, hätten wir gehen müssen, wenn ein Klinikkonzern das Haus gekauft hätte. Das ist so üblich.“

In der Provokation müht sich Lange um Ausgleich. Dabei bezeichnet ein Freund Ungeduld als dessen größte Schwäche. Er könne auch mal recht laut werden. Doch an diesem Tag wirkt Lange souverän, selbstbewusst. Schließlich ist er wer in Döbeln. „Guten Tag, Herr Gesundheitsminister“, begrüßt ihn ein örtlicher Journalist, als Lange seine neue Verwaltungsdirektorin vorstellt. Eine gestandene und international erfahrene Betriebswirtin, neun Jahre älter als ihr Chef. „Ich habe keine Angst vor starken Leuten im Team“, sagt der.

Seine medizinische Führungscrew arbeitet tatsächlich schon seit Jahren zusammen. Sie kommen aus Dresden und Leipzig in die Provinz. „Wir ziehen an einem Strang, haben ein gutes Klima und ein extrem hohes medizinisches Niveau.“ Alles sei viel persönlicher als an einem großen Klinikum.

Steht die „Sachsenklinik“ jetzt an der Mulde? Ärzte, die wie in der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ zusammenhalten? Dr. Lange in der Doppelrolle von Prof. Simoni und Dr. Heilmann? Seine neue Verwaltungsdirektorin Sigrun Mühle als Sarah Marquardt? Lange kennt die TV-Serie nicht, berichtet aber von Kollegen, die sich das anschauten. Dabei hätte Lange durchaus das Zeug, selbst in der Serie mitzuspielen: braun gebrannt, blaue Augen, schlank. Das wellige Haar ist höchstens am Ansatz ergraut. Kein Fleckchen auf den schwarzen Lederschuhen, die silberne Markenuhr fällt auf, wirkt aber nicht klobig. Er raucht nicht, trinkt nicht, läuft Marathon. Der Abstieg mit seinem Tennisclub aus der Oberliga scheint sein einziger Karriereknick zu sein. „Das tut richtig weh.“

Dass er ein Krankenhaus für einen oberen, einstelligen Millionenbetrag gekauft und sich deshalb verschuldet hat, dass er trotz Förderung weitere Millionen als Eigenanteil in den Klinikausbau stecken muss, dass er Verantwortung für 350 Beschäftigte zu tragen hat – all das scheint ihm nichts anzuhaben.

Seine Hände mit Fingern wie die eines Klavierspielers wirbeln durch die Luft, als wolle er ein Orchester dirigieren. „Ich kann dieses Haus mehr oder weniger gemeinnützig führen. Mein Chefarztgehalt reicht mir, ich brauche keine zusätzliche Managervergütung. Nennen Sie das von mir aus ‚Ossimentalität‘“.

Die Biografie des gebürtigen Oscherslebeners ist ostdeutsch geprägt, doch das grenzt an Koketterie. Ordentlich viel Geld wird Lange schon verdienen. Immerhin machte die Holding, die das Krankenhaus an Lange verkaufte, 2007 und 2008 gut 1,6Millionen Euro Gewinn. Da der Holding außer der Klinik in Döbeln noch ein weiteres Krankenhaus in Neustadt bei Coburg gehört, sind die separaten Zahlen für Döbeln nicht ausgewiesen. In der früheren Kreisstadt kursieren Gerüchte, Döbeln habe dazu gedient, finanzielle Löcher in Neustadt zu stopfen. Lange dementiert nicht. Er nestelt an der Westentasche seines Arztkittels, in der zwei Kugelschreiber stecken. „Ich habe es abgelehnt, Neustadt mit zu übernehmen. Ich wollte mich auf das Haus beschränken, das ich kenne.“

Die Stadt hatte das Krankenhaus 1993 an die Holding des Berliner Orthopäden Karl-Heinz Drogula verkauft – für 600000 D-Mark. Seitdem flossen fast 50 Millionen Euro in die Klinik, gut zwei Drittel davon waren Fördermittel. Inzwischen ist Drogula 85 Jahre alt und trennt sich von seinen Kliniken. An einem Verkauf an Konzerne sei er nicht interessiert, berichtet seine Frau. „Er wollte, dass auch Döbeln in Hände kommt, die ihm bekannt sind.“

Lange und Drogula hatten sich 2002 kennengelernt. Damals warb der Berliner Arzt den Chirurgen Lange vom Krankenhaus in Borna ab. „Ich wurde nach Berlin eingeladen, in seine Klinik im Nobelviertel Dahlem. Der Tisch war schön gedeckt, und um mich herum saßen Männer im gestandenen Alter.“

Nach seiner Zusage zog Lange nach Döbeln, mietete im Ortsteil Sörmitz ein Haus. Zu den Nachbarn zählt die Radio-Ulknudel Thomas Böttcher und der Rassekaninchenzüchterverein S94. Sein Haus in Wittenberg hat er behalten, sein Audi trägt immer noch das Kennzeichen „WB“ der Lutherstadt Wittenberg. Dort hatte er 1989 seine erste Chirurgenstelle angetreten, ehe er nach der Wende an Kliniken in Halle, Heidelberg und Nürnberg operierte. Vor allem die Forschungen in Heidelberg seien hart gewesen. „Danach war ich kein Ossi mehr.“ Als er aber 2002 ein lukratives Wechselangebot an eine westdeutsche Klinik des Helios-Konzerns bekam, lehnte er ab, nahm stattdessen das Angebot in Döbeln an. Sieben Jahre später, im November 2009, schellte das Telefon. Ob er nicht das Krankenhaus kaufen wolle, fragte Drogula. Nach nicht einmal vier Wochen gründete Lange zwei Firmen: die Dr. med. Ralf Lange Besitz GmbH für den Erwerb der Krankenhaus-Immobilien und die Dr. med. Ralf Lange Krankenhausbetriebe GmbH. „Ich bin Pragmatiker. Ich kann nicht zwei Stunden lang mit einem Glas Rotwein vor einem Kamin sitzen.“

Allein die Finanzierung ließ auf sich warten. Als „knallhart“ beschreibt der Chirurg seinen Ausflug in die Welt der Finanzoperateure. Bei den Großbanken vermisste er Respekt, die Millionen gab es von der DKB, einer Tochter der Bayerischen Landesbank. Die Schulden belasten ihn offensichtlich nicht. „Wieso sollte ich nervös sein? Die Grenzsituationen des Lebens habe ich im OP zu bestehen.“ Sogar Sachsens Sozialministerin Christine Claus und Finanzminister Georg Unland hätten ihm zugeraten.

Alles „In aller Freundschaft“? Ungemach droht Lange von der Gewerkschaft Verdi. Der Haustarifvertrag ist 15Jahre alt. „Seitdem sind die Gehälter nicht mehr nennenswert erhöht worden“, sagt Gabriele Meyer vom Verdi-Bezirksverband Leipzig/Nordsachsen. Das nichtärztliche Personal verdiene in Döbeln zwischen 150 und 400 Euro weniger als das in öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern. Nun fordere man 15Prozent mehr Lohn, mindestens aber 250Euro.

Lange setzt auch im drohenden Konflikt mit Verdi auf seine Fähigkeit zum Ausgleich. Zwar wolle er das Haus effizienter machen, ein Stellenabbau aber sei nicht geplant. „Wenn wir für die Angestellten was tun können, dann tun wir das.“ Das beeindruckt sogar Verdi-Frau Meyer: „Es ist sicher nicht die beste Lösung, wenn Einzelpersonen Kliniken übernehmen. Aber ich wünsche ihm alles Glück. Es geht immerhin um 350 Jobs.“