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„Ich entschuldige mich“

Es ist wie ein Offenbarungseid in der Schulpolitik: Sachsen wird von seiner jahrelangen Sparmentalität eingeholt. Dem Freistaat fehlen Lehrer - auch, weil lange Zeit viel zu wenige ausgebildet wurden.

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© Amac Garbe

Von Andrea Schawe

Sie wirkt angespannt, etwas verkrampft hält sich Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) an den Papieren vor ihr fest. Bei diesem Termin gibt es für die Ministerin kein Dankeschön für Fördermittel, keine lachenden Kinder, die sich über eine neue Sporthalle freuen. Ein paar Tage vor Schuljahresbeginn kann sie eigentlich nur schlechte Nachrichten verkünden. Trotzdem beginnt Kurth mit einer guten: Die freien Lehrerstellen sind fast alle vergeben. „Noch vor den Sommerferien haben das viele nicht für möglich gehalten“, sagt sie. Die SZ erklärt, wie die Situation vor dem Schuljahresbeginn aussieht.

Ohne Seiteneinsteiger geht es nicht

Nur 1 160 ausgebildete Lehrer haben sich beworben und 2 000 Seiteneinsteiger. Etwa 720 wurden eingestellt – vor allem an Grund- und Oberschulen. In den Regionalstellen Bautzen, Chemnitz und Zwickau sind mehr als 70 Prozent der neu eingestellten Lehrer in Grundschulen Seiteneinsteiger. An den Oberschulen ist der Anteil ähnlich hoch. In den Landkreisen Bautzen und Görlitz sind auch an den Förderschulen und den Gymnasien knapp die Hälfte Seiteneinsteiger. Die Ministerin hat angekündigt, in Zukunft auch Lehrer mit Bachelor-Abschluss anzustellen.

Gymnasiallehrer unterrichten an Grund- und Oberschulen

Damit mehr Lehrer mit Pädagogikausbildung an Grund- und Oberschulen unterrichten, hat das Kultusministerium Gymnasiallehrern diese Stellen angeboten. Mehr als 600 hatten sich beworben, auf nur 100 freie Stellen an Gymnasien. Fast 50 Gymnasiallehrer haben das Angebot angenommen. Sie werden am Gymnasium eingestellt und für drei Jahre an eine andere Schule abgeordnet. Die meisten unterrichten an Oberschulen, so Kurth.

Entspannung auf dem Arbeitsmarkt wohl erst 2019

Die Gründe für die Bewerberlage seien nicht nur im bundesweiten Wettbewerb um Lehrer zu suchen, sagte Kultusministerin Kurth. „Sie waren auch vorhersehbar.“ Die Studienkapazitäten für Lehramt wurde etwa erst zum Wintersemester 2012/13 erhöht. „Ich entschuldige mich dafür“, so die Ministerin. Vorher konnten sich etwa 1 000 Studenten für ein Lehramtsstudium immatrikulieren, jetzt sind mehr als 2 000 Studienplätze in Sachsen vorhanden. „Diese Maßnahme kam viel zu spät, wie wir heute bitter erfahren.“ Dieser Fehler hätte nicht passieren dürfen, „ich bedauere das.“ Die Regierung will in Zukunft verstärkt mit den Universitäten darum werben, dass sich mehr Studenten Fächer und Schularten aussuchen, die gebraucht werden.

Einstellungsverfahren sollen bewerberfreundlicher werden

Auch nach dem Beginn des Schuljahres stellt das Kultusministerium laufend weiter Lehrer ein. „Wir schicken keine qualifizierten Bewerber weg“, sagt Kurth. Im Herbst soll auch mit sogenannten schulscharfen Stellenausschreibungen begonnen werden. Lehrer können sich dann direkt für die Stelle an der Wunschschule bewerben, und der Schulleiter ist am Auswahlverfahren beteiligt. Außerdem ist es ab dem kommenden Jahr möglich, Bewerbungsunterlagen nicht mehr per Post, sondern online zu verschicken.

Mehr Geld für Zulagen aus dem Lehrerpaket

„Das Lehrermaßnahmepaket hilft uns“, sagt die Ministerin. Mit Investitionen von etwa 213,5 Millionen Euro sollten mehr Lehrer für den sächsischen Schuldienst gewonnen werden. Das Maßnahmepaket sei mittlerweile komplett umgesetzt und das Budget ausgeschöpft, so die Kultusministerin. Sie versprach, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, um weiterhin Zulagen zahlen zu können – etwa wenn Lehrer an einer Schule außerhalb der Großstädte unterrichten wollen oder aus einem anderen Bundesland zurückkehrten. 20 Prozent der ausgebildeten Lehrer, die sich für das Schuljahr 2017/18 beworben haben, hatten keinen Wohnsitz in Sachsen.

Lehrpläne werden bis zum Schuljahr 2018/19 überarbeitet

Die Kultusministerin will die hohe Unterrichtsbelastung für Sachsens Schüler senken und so die Personalsituation entspannen. In diesem Jahr wurden schon die Stundentafeln in der gymnasialen Oberstufe, den Fachoberschulen und den beruflichen Gymnasien überarbeitet. Fachdidaktiker sollen nun die Lehrpläne prüfen, um sie zu entschlacken. Einen fachlichen Schwerpunkt möchte die Ministerin nicht setzen.

Opposition und Gewerkschaft kritisieren Personalpolitik

„Die Probleme sind kaum noch zu lösen“, sagt Uschi Kruse, die Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW. Sie hat der Kultusministerin Gespräche angeboten, um gemeinsam Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Mittlerweile gehe die Personalsituation an die Substanz der Schulen, sagt Cornelia Falken, die bildungspolitische Sprecherin der Linken. Eine „Unterrichtsgarantie“ gebe es nicht mehr. Die Grünen-Abgeordnete Petra Zais befürchtet, dass die Qualität der schulischen Bildung nicht mehr gesichert werden kann – vor allem wegen der „rekordverdächtigen“ Quote der Seiteneinsteiger. Die hohe Anzahl sieht auch der Landesschülerrat kritisch. Der sächsische Lehrerverband fordert Arbeitserleichterungen für die Lehrer, die Seiteneinsteiger betreuen und qualifizieren.