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Hunderte Sachsen betrügen die Krankenkasse

Die AOK Plus holte fast eine halbe Million Euro zurück. Viele Fälle landen vor Gericht.

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© Archivfoto: Gero Breloer/dpa

Von Steffen Klameth

Ein Rezept von diesem Arzt, ein Rezept von jenem: Das fällt nicht weiter auf. Aber wozu braucht ein Diabetiker über 9 000 Blutzuckerteststreifen – und zwar innerhalb von acht Monaten? Die zuständigen Mitarbeiter der AOK Plus wurden stutzig und übergaben den Fall an das Team, das sich auf die Untersuchung möglicher Betrugsfälle spezialisiert hat.

Und siehe da: Der Versicherte hatte nicht nur zehnmal mehr Teststreifen als benötigt verschrieben bekommen und in mehreren Apotheken eingelöst. Er war offenbar auch noch so dreist, gleich mehrfach Rezepte zu stehlen, diese von Unbefugten ausfüllen zu lassen und in Apotheken einzulösen. Insgesamt verschaffte er sich damit Teststreifen im Wert von rund 60 000 Euro. Was er nicht selbst benötigte, verkaufte er im Internet.

Ein extremes Beispiel, aber längst kein Einzelfall für „Fehlverhalten im Gesundheitswesen“ – so die offizielle Bezeichnung für solche Tatbestände. Krankenkassen prüfen regelmäßig, ob Abrechnungen und Anträge korrekt sind. Wenn es aber um eine mögliche strafrechtliche Relevanz geht, werden die Experten aktiv. Bei der AOK Plus besteht dieses Team aus acht Mitarbeitern. „Der Fokus unserer Arbeit liegt auf vorsätzlichen Taten zum Nachteil der Versichertengemeinschaft“, sagt Olaf Schrodi, Leiter der Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen. Vergleichbare Stellen oder Referate gibt es auch bei anderen Krankenversicherungen. Die größte Kasse in Sachsen und Thüringen gehört zu den wenigen, die auch über die Ergebnisse der Prüfungen informiert.

Dem neuen Bericht zufolge bearbeitete die Stelle in den vergangenen beiden Jahren insgesamt 981 Fälle, rund 150 mehr als im Zeitraum 2014/15. Dabei habe sich die Kasse knapp eine halbe Million Euro zurückholen können. So wurde ein Mann mit über 80 000 Euro zur Kasse gebeten, weil er falsche Angaben zu seinem Versichertenstatus gemacht hatte. Als Arbeitsloser zahlte er jahrelang nur den Mindestbeitrag in der freiwilligen Krankenversicherung. Später stellte sich heraus, dass er sogar mehrere Einkommen bezog. Inzwischen ermittelt der Staatsanwalt, auch beim Sozialgericht ist ein Verfahren anhängig.

Die meisten Tipps bekommt die Prüfungsstelle von außerhalb – betroffene Versicherte, ehemalige Mitarbeiter von Leistungserbringern, andere Behörden und mitunter auch anonym. Über 300 Hinweise kamen im genannten Zeitraum aus dem eigenen Haus, teilte die Kasse mit. So war bei einer routinemäßigen Überprüfung der Heilmittelabrechnungen aufgefallen, dass eine Physiotherapie manuelle Therapien in Rechnung gestellt hatte, obwohl die Praxis in dieser Zeit gar keine Mitarbeiterin mit dem dafür nötigen Zertifikat hatte. Bei den weiteren Prüfungen räumte der Inhaber ein, dass die Leistung in 30 Fällen von unqualifiziertem Personal durchgeführt wurde. Neben dem Schaden musste er eine Vertragsstrafe von 1 000 Euro zahlen.

Drogen auf Wunsch

Die Prüfung der Hinweise gestaltet sich oft schwierig und langwierig. Von den knapp 1 000 gemeldeten Fällen wurden 618 innerhalb dieser zwei Jahre abgeschlossen. In fast der Hälfte der abgeschlossenen Fälle hatte sich der Verdacht bestätigt. Die Konsequenzen reichten von Abmahnungen über Vertragsstrafen und Rückforderungen bis zu strafrechtlichen Verfahren. In 91 Fällen wurde die Justiz eingeschaltet, etwa ein Drittel dieser Verfahren ist inzwischen beendet. Dazu gehört auch dieses Beispiel: Einer Familie mit schwerbehindertem Kind waren wegen der besonderen Umstände die Kosten für Fahrten zu Spezialkliniken erstattet worden. Die Anträge wurden regelmäßig per Fax übermittelt. Als die Kasse einmal einen Originalbeleg forderte, stieß man auf Ungereimtheiten. Im Laufe der Prüfungen stellte sich schließlich heraus, dass die Eltern Behandlungstage frei erfunden und nachträglich in die Erstattungsanträge eingetragen hatten. Die beschuldigte Mutter wurde inzwischen wegen Betrugs verurteilt, die Schadenssumme von rund 18 000 Euro zahlen die Eltern in Raten zurück.

Ganz anders die Sache mit den Drogen. Aus der Zeitung erfuhr das Spezialistenteam von einem Prozess, bei dem es um unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln ging. Eine Ärztin hatte mehreren Patienten Fetanyl verschrieben – das opiathaltige Medikament ist stärker als Morphium. Die Schmerzpflaster sollten allerdings, wie sich in den Verhandlungen herausstellte, vor allem die Drogensucht der Patienten befriedigen. Dabei soll die Ärztin sogar die gewünschte Dosis berücksichtigt haben. Die Prozesse endeten mit Haftstrafen, für die Ärztin auf Bewährung. Sie hat inzwischen ihre Approbation zurückgegeben und muss mit einer empfindlichen Regressforderung rechnen.