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Gestörte Beschaulichkeit

Ein chinesischer Autobauer will in Rothenburg 1 000 Arbeitsplätze schaffen. Noch sind die Einwohner des Städtchens in der Lausitz skeptisch – und hoffen.

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© SZ

Von Jenny Thümmler (Text) und André Schulze (Foto)

Es ist still auf dem Flugplatz in Rothenburg. Ein paar Segelflieger werden für einen Rundflug vorbereitet. Das Büro des Flugleiters ist verschlossen. „Der ist nicht da“, murmelt ein Mann, der Unkraut an einer Gaststättenterrasse zupft. „Keine Ahnung, wann der kommt. Oder ob heute überhaupt.“

Der Flugplatz von Rothenburg, 30 Kilometer nördlich von Görlitz, ist kein Gewerbegebiet, das brummt. Jetzt will das chinesische Unternehmen Beijing WKW Automotive zusammen mit einem deutschen Partner hier ein Werk für Elektrofahrzeuge bauen. Eine Investition von 1,13 Milliarden Euro, 1 000 Arbeitsplätze sollen entstehen.

Eine kleine Börsennotiz zu der geplanten Mega-Investition hatte Anfang Mai nicht nur in Sachsen für Überraschung gesorgt. Da waren die ersten zarten Gesprächsfäden zwischen China und Sachsen gerade erst ein paar Wochen alt. Zaghaft fällt daher die Vorfreude in der Landesregierung aus. Aber man ist optimistisch, dass die Riesen-Investition am Ende auch kommen wird. Die Sachsen haben im Standort-Wettbewerb bereits andere Orte in Süddeutschland, Thüringen und Sachsen-Anhalt aus dem Rennen geworfen. Doch gesunde Skepsis ist geblieben.

Zuallererst im kleinen Rothenburg, inmitten von Wald und Feldern, 5 000 Einwohner, ohne große Industrie oder Touristenattraktionen. Ist das jetzt der Durchbruch für das Städtchen? „Ach, warten wir erstmal ab!“, winkt Frank Gragoll ab. Er ist seit 25 Jahren selbstständig in Rothenburg, hat ein kleines Geschäft mit Alltagsgegenständen am Marktplatz der Stadt. „Ich bin skeptisch. Und meine Freunde, die Hobbyflieger sind, machen sich schon Sorgen. Die Chinesen wollen angeblich den ganzen Flugplatz kaufen. Dann wird’s mit der Fliegerei wohl vorbei sein.“

Auf den ersten Blick verwundert die Wahl des kleinen Ortes, auf den zweiten nicht so sehr. Die Stadt verfügt über einen Flugplatz, Nähe zur Autobahn, Nähe zu Osteuropa. Wenige Kilometer entfernt wird gerade die Niederschlesische Magistrale von der Deutschen Bahn ausgebaut, eine schnelle Verbindung für Güterzüge von der Nordsee bis zur Ukraine. Dazu ist Liegnitz in Polen nicht weit, wo sich das große Bahnverkehrskreuz der EU befindet. China ist derzeit dabei, die frühere Seidenstraße wiederzubeleben, eine Handelsroute zwischen Europa und Asien. Mehr noch: Durch die schlechte Auftragslage beim Waggonbauer Bombardier in Görlitz werden in den nächsten Jahren womöglich hunderte spezialisierte Arbeitskräfte auf der Suche nach einem Job sein. Auch die Lausitzer Braunkohlereviere sind nicht weit weg. Die Region braucht dringend das, was man Sturkturwandel nennt. Nun also E-Autos –  wenn das mal nicht nach Zukunft klingt.

Also passt alles? Die Rothenburger Stadtverwaltung gibt sich dennoch zugeknöpft. „Ich sage dazu gar nichts mehr“, lässt Bürgermeisterin Heike Böhm (SPD) am Telefon wissen. „Im Stadtrat nicht, zu Medien nicht. Wir haben bis Ende Juni Stillschweigen vereinbart. Mindestens.“ Wer „wir“ ist, lässt sie offen. Nur so viel: Es sei schade, dass die Investitionspläne so zeitig öffentlich geworden sind. „Das hat eine hochkompetente Runde vorbereitet. Die konnten in Ruhe arbeiten. Leider ist es jetzt nicht mehr so.“ Vom Landratsamt Görlitz ist ebenfalls wenig zu erfahren. „Wir befinden uns derzeit im Gespräch mit allen beteiligten Partnern“, teilt Sprecherin Marina Michel mit. „Dazu wird es zu gegebener Zeit Informationen geben. Ich bitte Sie um Verständnis, dass wir gegenwärtig keine Auskunft geben, um das Projekt nicht zu gefährden.“

Auf der Straße winken die meisten Leute ab. Es sei zwar Stadtgespräch, aber man sollte abwarten, ob alles überhaupt so kommt wie angekündigt. Oft wird das Thema ironisch aufgebauscht: Die Asiaten retten nun alle und alles – haha. Eine Frau hat die Chinesen sogar ins Rathaus gehen sehen, wie sie sagt. „Asiatisch aussehende Männer in dunklen Anzügen und großen Autos. Das fällt ja auf in Rothenburg.“ Optimistisch gibt sie sich trotzdem nicht.

Vielleicht auch, weil der Rothenburger an sich skeptisch geworden ist im Laufe der vergangenen Jahre. Etliche Pläne gab es zur Belebung des Flugplatzes. Hier sollte schon mal eine Edelrosenzucht entstehen, ein Werk zur Luxusausstattung von Flugzeugen, ein Wartungscenter für große Flieger, eine Vergasungsanlage für kontaminierte Bahnschienen. Nichts davon ist etwas geworden. Nur große Felder mit Solaranlagen sind herangewachsen, Arbeitsplätze aber nicht entstanden. Geschweige denn, dass der ehemalige Militärflugplatz der NVA auch als Flugplatz genutzt wird. Stattdessen haben sich eher kleinere einheimische Unternehmen dort erweitert: eine Werbefirma, Getränkehändler, Flugschule, eine Produktionsfirma für Gummiwaren, ein Energieunternehmen.

Und dann ist doch noch Vorfreude zu finden. Bei Rudolf Garack, der mit der Germania-Drogerie am Marktplatz eines der traditionsreichsten Geschäfte Rothenburgs führt. „Es wäre wunderbar, wenn es wird! Das würde die ganze Region aufwerten.“ Arbeitsplätze seien wichtig für die Menschen, ein Auskommen, damit die Neid-Diskussion ein Ende hat. Die jungen Leute könnten hierbleiben. Viele von Garacks Kunden sehen die Pläne ebenfalls positiv. Auch weil es eine Industrie werden soll, die mit wenig Lärm verbunden ist. Nun sei das Wichtigste, dass die zuständigen Behörden alles prüfen und auf den Weg bringen. Denn es gebe noch jede Menge zu tun. „Die Verkehrsanbindungen müssen passend gemacht werden. Die Schiene aktivieren. Und eine Umleitung um Nieder-Neundorf.“ Dort gibt es eine enge Allee und teilweise so schmale Straßen, dass sich zwei Lkws nicht begegnen sollten.

Umfangreiche Aufgaben wie diese sind es, die wiederum Hans-Dietmar Dohrmann skeptisch sein lassen. Er war von 2001 bis 2008 Bürgermeister von Rothenburg, davor lange Bauamtsleiter, und kennt die bürokratischen Wege. „Selbst wenn das wird, geht’s doch frühestens in drei bis fünf Jahren los.“ Der Flächennutzungsplan müsse geändert, viele Genehmigungen eingeholt werden. Er findet etliche Gründe, warum es für Vorfreude viel zu früh ist. Zu unsicher sei das Ganze noch. Man sollte lieber die mittelständischen Unternehmen unterstützen, die seit Jahren am Flugplatz sind. Und doch: Im Laufe des Gesprächs sieht er die chinesischen Pläne doch noch positiv. Natürlich wäre es wunderbar für Rothenburg, für die Gewerbetreibenden, für die Region, wie er sagt. „Es ist toll, dass sich jemand für uns interessiert.“ Die Verwaltung von Stadt und Landkreis habe nun die anspruchsvolle Aufgabe, alles auf den Weg zu bringen. Das sei jetzt das Wichtigste.

Auf dem Marktplatz, dem Zentrum der Stadt, ist es auch zur Mittagszeit ruhig. Ein paar Menschen sitzen an einem Imbiss träge in der Sonne. Hin und wieder fährt ein Auto vorüber. Parken ist hier kostenlos. Am Rathaus steht eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge und -fahrräder, ebenfalls kostenlos nutzbar. Der Oder-Neiße-Radweg führt direkt über den Markt. Die Stadt will für Touristen interessant sein.

Der Wirtschaftsfaktor ist wichtig für Rothenburg, sagt Robert Eichler, CDU-Stadtrat. Die geplanten Investitionen seien eine „Jahrhundertchance“ für die Stadt. Aber auch er bleibt zurückhaltend: „Ich staune, dass Minister Dulig so zeitig an die Öffentlichkeit gegangen ist. Ich habe alles nur aus den Medien erfahren.“ Nicht aus dem Stadtrat, wo die Investition nach Bekanntwerden in den Medien äußerst kurz Thema gewesen sei. Aber wenn sich ein Wirtschaftsminister so weit hervorwagt, müsse ja etwas dran sein, oder? „Ich glaube erst daran, wenn die ersten Gebäude stehen.“ Und wenn an den Straßen gebaut wird, ergänzt er.

Beim Luftfahrttechnischen Museumsverein Rothenburg gibt es ganz andere Sorgen. Die rund 30 Mitglieder betreiben am Rande des Flugplatzes seit fast 25 Jahren ein kleines Freiluftmuseum. Mehrere MiGs – sowjetische Kampfflugzeuge, die einst hier stationiert waren – stehen dort, dazu ein Hubschrauber und Flugzeuge der Bundeswehr. Die Maschinen sind liebevoll restauriert. „Wir wissen noch gar nicht, wie es mit uns weitergeht“, sagt Reinhard Röhle vom Verein und positioniert mit seinem Gabelstapler eine MiG, die über den Winter fertig restauriert wurde. „Mit uns hat noch niemand gesprochen, weil sich wahrscheinlich gerade keiner so weit aus dem Fenster lehnen will.“ Schatzmeister Norbert Kalz ergänzt: „Wo sollten wir hin, falls wir wegmüssen? Ein Umzug ist nahezu unmöglich.“ Ein Flugzeugmuseum gehöre nun einmal an einen Flugplatz.

Andererseits sei eine solche Ansiedlung, wie sie die Chinesen planen, ein Glückstreffer für Rothenburg. Und die Stadt stehe mit den Erweiterungsplänen an Oberschule und Polizeihochschule, gleich gegenüber vom Flugplatz, ohnehin vor Veränderungen. „Eine solche Industrie wäre gut für die Stadt“, sagt Norbert Kalz. „Hoffen wir, dass die Chinesen nicht alles auf den Kopf stellen und die Firmen und unser Verein am Flugplatz bleiben können.“