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Genuss auf Sächsisch

Wie sind wir Sachsen denn eigentlich? Eine Annäherung an den sächsischen Charakter in zehn steilen Thesen. These 7: Der Sachse ist geschmackvoll.

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© Zeichnung: Mario Lars

Restauranttester gehen inkognito essen. Nur so lässt sich die Qualität der Speisen einschätzen. Die Mitglieder von Slow Food machen genau das, wenn sie ein neues Lokal in ihren erlesenen Genussführer aufnehmen möchten. Nur wer gut, regional, fair und nachhaltig kocht, hat eine Chance. Geschafft haben das in Sachsen 21 Gaststätten – darunter das „Daniel“ in Dresden. Die SZ sprach mit Inhaber und Koch Daniel Fischer über Qualität und Genuss.

Daniel Fischer ist Küchenmeister mit eigenem Restaurant in Dresden seit 2013. Er serviert „gute Bürgerküche“.
Daniel Fischer ist Küchenmeister mit eigenem Restaurant in Dresden seit 2013. Er serviert „gute Bürgerküche“. © Jürgen Lösel

Herr Fischer, sind die Sachsen Genussmenschen?

Definitiv! Manch einer findet Genuss in schicken Sachen, andere in Bildern oder beim Fahren toller Autos. Für mich liegt er natürlich im Essen.

Würden Sie den Sachsen auch attestieren, dass sie Feinschmecker sind?

Ich mag den Begriff nicht. Für mich hat er eine negative Bedeutung. In vielen Fällen bezeichnen sich die sogenannten Feinschmecker ja nur selber so. Aber oft haben sie keine Ahnung von gutem Essen. Sie machen es am Preis fest und meinen, wenn es teuer ist, ist es automatisch gut. Sie wollen bestimmte Produkte auf der Karte lesen, hohe Preise zahlen. Feinschmecken wird zu Prestige, aber hat nicht mehr viel mit der Fähigkeit zu tun, genießen zu können. Genießer hingegen lieben es, gut zu essen. Sie konzentrieren sich auf die Speise.

Gut, anders gefragt: Genießen die Sachsen mehr als andere?

Nein, da sind wir genau so wie alle anderen auch. Ich habe in verschiedenen Regionen Deutschlands gearbeitet. Es gibt überall Menschen, die genießen und Menschen, die durch die Nahrungsaufnahme schlicht überleben wollen. Ihnen ist die Lebenskultur des genussvollen Essens komplett egal.

Meinen Sie, die Sachsen sind zu geizig für gutes Essen?

Die Bereitschaft, für gutes Essen Geld auszugeben, ist bei vielen nicht da. Dabei kann es etwas Privateres gar nicht geben. Ich tue mir und meinem Körper etwas Gutes. Wenn man mal zurückschaut, war gutes Essen für die Menschen immer wichtig. Das ist verkommen. Jetzt haben sich die Prioritäten verschoben: Urlaub, tolles Auto, Haus, teure Uhren. Der Mensch selber hat sich zurückgenommen. Was ich esse, sieht keiner, aber was ich am Arm trage, wie das Auto glänzt, das wird gesehen.

Ist das typisch sächsisch?

Nein, auch da sind wir wie alle anderen.

Es gibt aber Statistiken, die zeigen, dass regional erzeugte Lebensmittel angesagt sind. 64 Prozent der Deutschen kaufen sie gern. Spiegelt sich das auch in Ihrem Restaurant?

Am Restaurant gemessen nimmt die Bereitschaft zu, etwas Gutes zu essen.

Woran liegt das?

Das Bewusstsein ändert sich, es wird schärfer. Das hängt auch mit dem Wissen über Krankheiten, Allergien, Lebensmittelskandale zusammen. Immer mehr Leute wollen wieder wissen, woher ihr Essen kommt.

Regionale Lebensmittel sind teurer, vor allem auf dem Wochenmarkt.

Es steckt ja auch Handarbeit dahinter – und keine Massenware. Die Sachen kommen frisch vom Bauern und liegen nicht seit längerer Zeit im Kühlregal beim Discounter. Der Blumenkohl von der Gärtnerei aus dem Nachbarort kostet vielleicht 30 Cent mehr, aber er wird erst am Vortag geerntet. Wer sein Geld an erste Stelle stellt, der holt sich den Blumenkohl von Aldi, der vielleicht in Holland gewachsen ist. Das ist natürlich billiger. Aber man muss für sich die Frage klären, ob man billig leben will, oder gut. Hochwertige Lebensmittel kosten natürlich ein bisschen mehr. Aber es ist doch mein Körper – und das Lebensgefühl kaufe ich mir dabei ja mit.

Nun kann sich die Rentnerin den teureren Blumenkohl vielleicht nicht leisten.

Doch, das kann sie. Wenn ihr der frische und regionale Blumenkohl wichtig ist, dann hat sie auch die wenigen Cents mehr übrig. Ich muss kein Rinderfilet essen, es reicht Hühnchen. Das sind Größenordnungen, bei denen man sparen kann. Ich muss entscheiden, was mir meine Ernährung wert ist, was ich mir wert bin. In Europa haben wir Deutsche die billigsten Lebensmittel und geben trotzdem den geringsten Prozentsatz des Einkommens für Essen aus. Bewusst einkaufen und bewusst mit Lebensmitteln haushalten, dann spare ich von Haus aus schon.

Wir Sachsen sind sehr stolz auf lokale Spezialitäten: auf den Dresdner Stollen, die Weine, das Bier.

Zu Recht. Ich finde das toll, dass es bestimmte Produkte nur mit geschützter Herkunft gibt. Das macht sie besonders und spiegelt die Vielfalt wider. Jede Region sollte ihren eigenen Geschmack haben.

Welche anderen Spezialitäten würden auch auf diese Liste gehören?

Das ist schwierig. Es gibt so viele gute Sachen. Aber das sind meist Nischenprodukte, und deshalb sind sie auch so gut. Würde der Anbieter von Wildschweinsalami aus dem Tharandter Wald plötzlich für seine fantastische Wurst berühmt, müsste er eine viel größere Masse produzieren.

Das wäre doch nicht schlecht. Dann könnte er sich vergrößern und mehr verdienen.

Das schon, aber dann müsste er Zutaten in großer Menge zukaufen. Aus dem Nischenprodukt würde Massenware. Das bekommt den wenigsten.

Also lieber klein bleiben und die Kontrolle über die Qualität behalten?

Definitiv ja.

Warum setzen Sie vorwiegend auf regionale Zutaten?

Ich bin mit Garten groß geworden. Es gibt mir ein gutes Gefühl, zu wissen, wo mein Gemüse gewachsen ist und wie das Tier, das ich zubereite, gelebt hat und geschlachtet wurde. Mein Mikrokosmos soll sauber sein. Deshalb achten wir darauf, dass die Mitarbeiter Spaß haben, dass wir die Lieferanten kennen. Mit Menschen gut auszukommen ist ja auch eine Art von Genuss.

Aber die Mengen müssen auch verlässlich kalkulierbar sein. Was machen Sie, wenn Sie mal mehr brauchen als der Gärtner um die Ecke vorhalten kann?

Ich bin kein Heiliger. In dem Fall kaufe ich auch mal im Großmarkt zu. Aber dann achte ich darauf, dass die Zutaten wenigstens in Deutschland gewachsen sind, geerntet, beziehungsweise geschlachtet und zerteilt wurden. 70 bis 75 Prozent meiner Zutaten beziehe ich aus der Region.

Zurzeit stehen Riesengarnelen auf Ihrer Karte. Woher stammen die?

Tatsächlich auch aus der Region! Sie kommen von einer Aquakultur aus Kirschau bei Bautzen. Von dort beziehe ich auch frischen Süßwasserfisch wie Stör und Wels. Die Garnelen sind teurer als die aus Thailand, aber die Transportwege sind gering, es werden keine Antibiotika verwendet und die Tiere frisch geliefert. Das rechtfertigt für mich auch den höheren Preis.

Wie muss ein Essen gekocht sein, was muss es enthalten, damit es den Ansprüchen von Slow Food genügt?

Das Produkt muss im Mittelpunkt stehen. Slow Food legt Wert darauf, zu wissen, woher das Essen kommt und wer es zubereitet hat. Das schließt alles Vorgefertigte und industriell hergestellte Speisen schon einmal aus. Für mich persönlich ist wichtig, dass ich die Zutaten auch nach dem Kochen sowohl optisch als auch geschmacklich wiedererkenne. Wachteln und Kaninchen zum Beispiel haben einen schwachen Eigengeschmack: Wenn ich das in Rotwein schmore, kann es alles sein, auch das ungarische Tiefkühlkaninchen aus Massentierhaltung. Brate ich es aber kurz, behält es seinen Eigengeschmack. Auf den kommt es mir an. Ein gutes Essen ist erkennbar frisch zubereitet, und wenn man es kaut, bekommt man das, was man erwartet hat.

Das heißt, das ungarische Kaninchen kommt Ihnen nicht in die Pfanne?

Nein, die Qualität überzeugt mich nicht.

Das Gespräch führte Susanne Plecher.