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Gegen das Schweigen

Die Bautzener Gefängnisse sind bekannt als Stasi-Knast und Speziallager der Russen nach dem Zweiten Weltkrieg. Nun wurde ein weiteres dunkles Kapitel aufgeschlagen.

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© dpa/Miriam Schönbach

Von Miriam Schönbach

Das Wort „Jude“ ist in der Haftakte von Julius Bändel unterstrichen. Vorgeworfen wird dem Tapezierer, Jahrgang 1876, die „Nichtanmeldung des jüdischen Zusatznamens“. Ab August 1938 mussten deutsche Juden diskriminierende zweite Vornamen annehmen. Männer hießen nun „Israel“, Frauen wurden „Sara“ genannt. Auf Zuwiderhandlungen stand Zuchthaus. So kam der Leipziger in die Anstalt II nach Bautzen. Seine Geschichte erzählt ein neuer Ausstellungsbereich zur NS-Zeit in der Gedenkstätte Bautzen.

Silke Klewin blättert im Dossier. „Sechs Monate ist er hier. Dann verlieren wir seinen Weg“, sagt die Gedenkstättenleiterin. Seit dem Jahr 2015 wurden im Haus das letzte unbekannte Kapitel der Bautzener Gefängnisse erforscht und 30 Opfer- wie Täter-Biografien recherchiert. Wie die Pressesprecherin der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Julia Spohr, mitteilt, soll der neue Ausstellungsbereich im Sommer eröffnet werden.

Der prominenteste Häftling der Nazi-Zeit ist Ernst Thälmann. Der KPD-Vorsitzende sitzt bis 1944 an der Spree für ein Jahr in Haft, bevor er im KZ Buchenwald umgebracht wird. Doch dieser Gefangene steht keineswegs beispielhaft für die meisten anderen Häftlinge. „Dieser spannende Ausstellungsteil reicht direkt in die Region hinein. Der Stasi-Knast in Bautzen I in der DDR wird von Berlin geregelt, für das Speziallager nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Russen zuständig. Im Nationalsozialismus kommen Opfer und Täter meist aus unmittelbarer Nähe“, sagt Silke Klewin.

Den offiziellen Ton in beiden Bautzener Gefängnissen gibt ab dem Jahr 1933 Rudolf Plischke an. „Das war ein honoriger Mann, Justizbeamter in der Weimarer Republik mit höchsten Auszeichnungen“, erzählt Silke Klewin. In die „Obhut“ seiner Mannschaft kommen Schwerverbrecher genauso wie Kleinkriminelle und Gelegenheitsverbrecher. Unter den Häftlingen sind auch Zeugen Jehovas, Sinti und Roma oder eben Juden.

Sofort nach ihrer Machtübernahme begannen die Nationalsozialisten mit der Ausschaltung der Opposition – KPD- und SPD-Mitglieder, Gewerkschafter sowie Redakteure der Sorbischen Zeitung werden festgenommen. Allein 741 politische Häftlinge landen ohne Urteil im „Kupferhammer“. Das Areal dieser stillgelegten Fabrik dient von April bis Juni 1933 als Konzentrationslager auf Zeit. Die Pläne für einen Ausbau zu einem vollfunktionsfähigen Arbeits- und Vernichtungslager liegen bereits in der Schublade. Doch Sachsenburg bei Chemnitz ist schneller mit dem Ausbau. Dorthin kommen dann die Bautzener politischen Gefangenen dieser Phase. Inventar aus Bautzen, zum Beispiel Gummiknüppel, werden gleich mitgenommen.

Mit Kriegsbeginn 1939 weitet sich das Spektrum der Inhaftierten aus. Verdächtig ist nun jeder, der aus Sicht der Nazis nicht Teil der „Volksgemeinschaft“ ist oder sich gegen sie stellt. Im Bautzener Gewahrsam sitzen tschechische Kommunisten und Mitglieder der Widerstandsbewegung aus Frankreich, Belgien oder den Niederlanden. Auch von den Nazis verfolgte „Rundfunkverbrecher“, die englische Sender hören, oder Menschen, die heimlich ein Schwein halten, oder Witzeerzähler, die über Hitler herziehen, werden verhaftet. Auch Homosexuelle geraten ins Visier. „Doch das gilt nicht nur für Bautzen“, sagt Gedenkstättenmitarbeiter Sven Riesel. Die Gefangenen werden meist in der kriegswichtigen Industrie vor Ort eingesetzt.

Ein Freibrief der anderen Art

Ausnahmen werden bei straffälligen SS-Mitgliedern gemacht. So haben die Wissenschaftler den Fall eines Mörders rekonstruiert, der seine Frau umgebracht hatte und dafür ins Bautzener Zuchthaus kam. Er wird vorzeitig begnadigt und an die Front nach Italien geschickt. Einen Freibrief ganz anderer Art erhält ein SA-Mann und Radiohändler aus Bautzen. Er darf unter den Augen Plischkes „ehrenamtlich“, wie Klewin sagt, in die Anstalt II mitten in der Stadt kommen und Kommunisten in einem speziellen Raum zusammenprügeln. Eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt den Bautzener stolz mit Sachsens NSDAP-Gauleiter Martin Mutschmann.

Klewin ist sich sicher: „Solche Entwicklungen kommen nicht aus dem Nichts“. Bereits 1932, im letzten Jahr freier Wahlen vor Hitlers Machtübernahme, habe jeder zweite Bautzener freiwillig die Nationalsozialisten gewählt. „Wir hoffen, dass mit dieser Ausstellung eine stärkere Auseinandersetzung mit dieser Zeit auch in Bautzen beginnt. Vieles wird bis heute weggeschwiegen“, sagt die Gedenkstättenleiterin. (dpa)