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Freitaler Tafel vor dem Ende?

Der Vize-Chef der Freitaler Lebensmittelausgabe hört auf, die Chefin wankt – das Ergebnis monatelanger interner Querelen.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Tobias Winzer

Freital. Willkommen im Supermarkt. In den Regalen stapelt sich Obst und Gemüse. Die Fleisch- und Wursttheke ist gut gefüllt. Und im Kühlregal warten Milchprodukte auf die Kunden. Wer den Verkaufsraum der Freitaler Tafel an der Dresdner Straße betritt, ahnt kaum, dass es sich hier um eine Ausgabestelle für Bedürftige handelt. Doch mit diesem für die Umgebung einmaligen Angebot für derzeit rund Tausend Bedürftige könnte es bald vorbei sein. Denn nach monatelangen Querelen steht die Leitung der Freitaler Tafel vor dem Ende. Der Vize-Chef Günter Brendel hört definitiv auf. Chefin Karin Rauschenbach ringt noch mit sich, ob sie ihm folgt.

„Du tust etwas Gutes und kriegst noch einen Tritt in den Arsch“, sagt die 51-Jährige mit ihrer für sie typischen Direktheit. Oberflächlich betrachtet, erzählt sie locker von den vergangenen Monaten – so, als ob die Geschichte nichts mit ihr selbst zu tun hätte. Doch wer genauer hinschaut, merkt, wie die Zeit an ihr genagt hat. „Das ist nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Jetzt spüre ich die körperlichen Symptome“, sagt Rauschenbach.

Was ist passiert? Im Kern geht es um angebliche Unstimmigkeiten bei der Tafel-Weihnachtsfeier 2016, aber auch um große persönliche Befindlichkeiten. Rauschenbach und Brendel, so der Vorwurf, sollen bei der Weihnachtsfeier im Kulturhaus Tchibo-Produkte, unter anderem Skianzüge, Pfannen und Geschirr, für einen festen Preis verkauft haben. Da es sich bei den Produkten um Spenden handelte mit der Maßgabe, diese an Bedürftige weiterzureichen, wäre das Betrug. Rauschenbach und Brendel bestreiten den Vorwurf. Eine Preisliste, wie behauptet, habe es nie gegeben. Die Bedürftigen hätten selbst entscheiden können, ob und wie viel sie für die Produkte bezahlen wollen.

„Höre ich auf, geht die Tafel kaputt“

Hinter den Vorwürfen stecken nach Angaben der beiden Tafel-Verantwortlichen drei ehemalige Mitarbeiterinnen. Rauschenbach sagt, sie sei von ihnen im Internet denunziert worden, es habe sogar Morddrohungen gegeben. Der Betrugsvorwurf habe dazu gedient, sie aus der Tafel-Leitung zu drängen und die Leitung zu übernehmen. Was davon stimmt und was nicht stimmt, lässt sich im Nachhinein nicht mehr zweifelsfrei aufklären.

Fakt ist: Die Dresdner Staatsanwaltschaft hat sich mit dem Betrugsvorwurf beschäftigt und ließ die Polizei wegen der Anschuldigungen ermitteln. Es gab mehrere Befragungen. Wie ein Sprecher nun mitteilt, sei das Verfahren aber „wegen fehlenden Tatnachweises“ mittlerweile eingestellt worden. Wie Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht in Dippoldiswalde jedoch auch mitteilen, wurde gegen Rauschenbach ein Erlass wegen Nötigung beim Amtsgericht Dippoldiswalde beantragt.

Dort muss nun ein Richter entscheiden, ob der Vorwurf zutrifft. „Ich bin mir keiner Schuld bewusst“, sagt Rauschenbach, die von dem Verfahren erst durch die Sächsische Zeitung erfährt.

Fakt ist auch: Durch den Betrugsvorwurf hat die Freitaler Tafel harte Monate hinter sich. Neben den rund 25 Ehrenamtlichen, die sich in der Freitaler Tafel engagieren, waren bis Mitte 2017 etwa zehn sogenannte Bundesfreiwilligendienstler bei der Ausgabestelle tätig. Der Bund fördert diese Stellen je nach Alter des Freiwilligen mit 250 oder 350 Euro im Monat. Die Tafel kann so den Helfern ein kleines Taschengeld als Anerkennung zahlen. Durch die Ermittlungen wurden diese Stellen jedoch von Juni 2017 bis April 2018 gestrichen. „Das war eine Vorverurteilung“, sagt Tafel-Vize Brendel. „Jemand denunziert uns und die springen sofort an.“ Ein Sprecher des zuständigen Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben verteidigt hingegen das Vorgehen: „Diese vorsorgliche Vorgehensweise ist aus Gründen der Fürsorge des Bundesamtes gegenüber den Bundesfreiwilligendienstleistenden ein übliches Verfahren und beinhaltet weder eine Vorverurteilung einer anerkannten Einsatzstelle, noch ist eine solche wie bei der Vorsitzenden der Freitaler Tafel vonseiten des Bundesamtes beabsichtigt.“

Die Folge für die Tafel: Die betroffenen Helfer mussten sich mit weniger Geld über Wasser halten. „Es sei aber niemand abgesprungen“, sagt Rauschenbach. „Das Ganze hat die Mannschaft zum Glück noch enger zusammengeschweißt.“ Ihr Vize Günter Brendel hat nun trotzdem einen Schlussstrich gezogen. Er wird zur nächsten Vorstandssitzung am 21. Juni nicht mehr zur Wahl stehen – „aus gesundheitlichen und aus Altersgründen“, sagt er. Der Ärger mit dem Betrugsvorwurf und mit der Streichung der Stellen haben zu dem Entschluss beigetragen. Sowohl Brendel als auch Rauschenbach arbeiten ehrenamtlich. Brendel lebt von einer bescheidenen Rente, wie er sagt. Rauschenbach bekommt eine Erwerbsunfähigkeits-Rente.

Sie, die die Freitaler Tafel im November 2014 zusammen mit Brendel gegründet hat, ist sich noch unschlüssig, wie es weitergeht. „Höre ich auf, geht die Tafel kaputt. Höre ich nicht auf, gehe ich kaputt“, sagt sie deutlich. Einen Nachfolger für die Leitung der Tafel sieht sie nicht. Die Vorräte würden vielleicht noch ein Vierteljahr reichen. „Aber wenn wir es nicht machen, sehe ich keinen.“