Merken

Es geht rund auf dem Königsweg

Wolf-Rüdiger Meyer führt sicher durch die Landschaft bei Moritzburg. Manchmal aber fühlt er sich in seinem Ehrenamt ausgebremst.

Teilen
Folgen
© Robert Michael

Von Karin Großmann

Kleine Wellen plitschen ans Ufer. Ein Haubentaucher tut, was der Name sagt. Das Schilfrohr raschelt geheimnisvoll wie ein Dutzend Seidenkleider im Wind. Leider hört man Seidenkleider im Wind viel zu selten. Die Welt könnte schön sein. Die Welt ist schön auf dieser Anhöhe am Dippelsdorfer Teich bei Moritzburg, die Herr Meyer besonders mag. Wald, Wasser, Wiese vereinen sich stillschweigend zum Gesamtkunstwerk. Aber: Ein solches Bild hält nicht den ganzen Tag. Misstöne verderben Wolf-Rüdiger Meyer mitunter den Spaß. „Da beißt sich was“, sagt er und meint nicht die Reiher im Röhricht.

Das Wegenetz von fast 300 Kilometern ist gut beschildert.
Das Wegenetz von fast 300 Kilometern ist gut beschildert. © Robert Michael
Die Kleinkuppenlandschaft ermöglicht neue Blicke auf Bekanntes. Schloss Moritzburg scheint im Tal zu liegen.
Die Kleinkuppenlandschaft ermöglicht neue Blicke auf Bekanntes. Schloss Moritzburg scheint im Tal zu liegen. © Robert Michael

Jeder, der zwischen Steinbach und Bärnsdorf, Bärwalde und Auer unterwegs ist als Radfahrer oder Wanderer, ist diesem Mann schon begegnet – oder zumindest dem, was er tut. Er arbeitet, wie die Regierung arbeiten sollte. Er macht das Land überschaubar und sorgt dafür, dass jeder sicher ans Ziel kommt. Dabei will er zeigen, wie großartig diese Gegend ist. Einmal eisverklebt die Schlossauffahrt hoch und runter? Moritzburg kann viel mehr.

Der Königsweg gibt dafür ein Beispiel. Über elf Kilometer führt er rund um den Ort von einem Höhepunkt zum nächsten. Man braucht nur dem Zeichen der kleinen schwarzen Krone zu folgen. Wolf-Rüdiger Meyer hat diesen Rundweg entworfen und die Schilder dazu. Dasselbe gilt für den Kleinkuppenweg, die Teichroute oder die anspruchsvollere Radtour über vierzig Kilometer durch landschaftliche Vielfalt, naturbelassen. Der Haubentaucher äußert ein helles Gröck. Und noch mal: Gröck. Doppelt hält besser.

Wolf-Rüdiger Meyer ist Wegewart. Da denkt mancher an einen Opa in ausgebeulter Latzhose, der mit der Heckenschere in der einen Hand und einer Dackelleine in der anderen Hand durch den Wald trabt. Diesem Bild entspricht Meyer nicht. Außerdem hat er keinen Dackel. Er ist ein sportlicher Typ und kümmert sich nicht nur um die Holzbank am Teich, sondern um die Datenbank, in der alle Wege verzeichnet sind. Sie verlaufen über staatlichen, gemeindeeigenen oder privaten Grund. Das bedeutet Dutzende Absprachen täglich und macht einem Wegewart graues Haar. Meyer will die Landschaft als Ganzes feiern und stößt ständig mit Einzelinteressen zusammen. Er darf einen Schilderpfahl nicht dort aufstellen, wo es am sinnvollsten wäre. Er darf ein Wegezeichen nicht anbringen, wo der Naturschutz das Sagen hat.

Mitunter muss er sogar einen Weg verlegen. Die Wanderer maulen trotzdem, wenn sie plötzlich vor einem Bauzaun stehen wie etwa am ehemaligen Gasthof in Friedewald. Da ging’s früher durch. Das soll nach den Bauarbeiten wieder so sein, versichert Meyer. Der Bestandsschutz ist gesetzlich geklärt für Wege und Bauten, die es bereits vor 1993 gab. Im Alltag sehen die Erfahrungen manchmal anders aus.

Wolf-Rüdiger Meyer hat viel dazugelernt. Er war Diplomingenieur für Informationstechnik. „Als ich nach 25 Jahren bei Vodafone in die Altersteilzeit ging, war ja absehbar, dass ich mir etwas Neues aufbauen musste.“ Er gründete 2009 eine Agentur und organisiert Fahrradtouren um die halbe Welt. Wer durch Österreich radelt, schafft auch den Friedewald. Meyer wurde gefragt, ob er das Amt des Wegewarts für das Gemeindegebiet von Moritzburg übernehmen wollte. Seit drei Jahren ist er zudem Kreiswanderwegewart von Meißen. Einen Kreisradwegewart gibt es auch. Die zusammengesetzten Hauptwörter macht dem Deutschen so leicht keiner nach.

Wolf-Rüdiger Meyer hat die Karten für die Routen gezeichnet und die Texte für die Flyer verfasst, die kostenlos bei der Tourist-Information zu haben sind. Als Sponsoren hat er Wirtsleute, Bäcker, Kremserfahrer oder die Betreiber der Lößnitzgrundbahn und des Wildgeheges gebeten. Eine Halbleiterfirma finanziert Farbe und Holz, damit die Schüler der Kurfürst-Moritz-Schule in Boxdorf im Unterricht die Hinweisschilder herstellen können. Meyer entwirft das Layout. Neben die Ortsnamen setzt er Dampflok, Rastplatz oder ein Kirchenkreuz. Von Piktogrammen allein hält er nichts. „Touristen wollen eine klare Ansage.“ Wenn die Planer von Radebeul oder Radeburg das anders sehen, holpert’s beim Übergang an den Kreisgrenzen. „Da beißt sich was.“

Meyer braucht jedes Jahr 30 bis 40 neue Schilder. Mit einem Budget von rund 4 000 Euro lassen sich kaum große Sprünge machen. Der Wegewart muss gestehen, dass ihn das Betteln und Klingelputzen Überwindung kostet. „Tourismus gehört aber nicht zu den Pflichtaufgaben einer Gemeinde, muss also nicht finanziert werden wie Straßenbau oder Kita.“ Wenn die Gemeinde Glück hat, findet sie einen wie Meyer fürs Ehrenamt. Er betreut rund um Moritzburg ein Netz von 138 Kilometern Radweg und 127 Kilometern Wanderweg. Das schafft einer allein nicht. Manchen handwerklich geschickten Helfer hat er bei einer Radtour angeworben und als Wegepaten vor Ort gewonnen. „Wir ersetzen den Staat.“

Mit 65 gehört Wolf-Rüdiger Meyer zu einer Generation, die sich nach dem Wendeherbst neu sortierte, neu motivierte und die sich nun nicht bescheiden mag mit dem Gießen von Stiefmütterchen. Solche Leute sind eine Chance für jeden Ort. „Sie möchten noch mittun“, sagt Meyer, „und könnten viel mehr für das Gemeinwesen leisten – das Gemeinwesen muss es nur wollen.“

Meyers Wegepaten setzen das fort, was Naturfreunde oder Mitglieder des Kulturbundes zum Ende der DDR liegen ließen oder was danach unter dem Kürzel ABM lief. „Für solche Fördermaßnahmen gab es nach der Wende viel Geld, aber was daraus wurde, interessierte niemanden“, sagt er. „Da liegt viel im Argen.“ Der Wegewart kennt die Stellen, an denen Holztreppen gefährlich verwittern oder die Farbe vom Geländer blättert. Das festliche Durchschneiden eines Eröffnungsbandes erregt allemal mehr Aufmerksamkeit als das beharrliche Bewahren und Pflegen. Sonntagsredner sprechen von Heimat und die Wortsicheren unter ihnen von Identifizierung und Authentizität.

Die Tafel am Dippelsdorfer Teich ist noch gut lesbar. Sie gehört zu einem Rundweg auf den Spuren der „Brücke“-Maler. Künstler wie Erich Heckel oder Ernst Ludwig Kirchner hatten um 1910 einige Sommer lang in der Moritzburger Gegend gearbeitet. Die Infotafel zeigt ein Bild mit nackten badenden Damen. Zwei Radfahrer, die auf der Anhöhe rasten, fühlen sich zu Kommentaren herausgefordert. Druckbar ist das aber nicht. Der Haubentaucher verschwindet für eine beängstigend lange Weile. Er hat wohl gerade nestfrei.

Wolf-Rüdiger Meyer plante die Tour für die 15 Stationen der „Brücke“ mit. Leere Bilderrahmen machen auf Motive wie die ehemalige Windmühle oder das Rote Haus aufmerksam. In einer Rahmenecke klebt ein Kaugummi. Kein Grund zur Aufregung. Anders als in anderen Regionen nehme der Vandalismus hier nicht zu, meint Meyer. „Manchmal findet man auf einem Hinweisschild einen Aufkleber von Dynamo oder einen politischen Werbespruch. Mal sind es die Linken und mal die Rechten, die es für ihre Pflicht halten, ihre Ideologie zu plakatieren.“

Eine Werkzeugkiste mit Kratzmesser, Säge und Akkuschrauber hat Meyer immer dabei, wenn er mit dem Auto durch sein Revier fährt. Der Wald ist wieder passierbar. Meyer lobt den Staatsforst für die Anstrengungen nach dem vorigen Sturm und hadert zugleich. „Der Friedewald ist eine historisch bedeutsame kurfürstliche Anlage und wird immer mehr zum Wirtschaftswald. Jetzt zählt nur der Ertrag, dafür wird schwere Technik eingesetzt. Der finanzielle Druck bekommt dem Wald nicht. Früher agierte der Sachsenforst noch mehr als Bewahrer und Behüter. Da beißt sich was.“

Der Wegewart lässt den Blick über den Dippelsdorfer Teich schweifen. Hier und da ein empörtes Schnattern. Dann herrscht wieder Stille. Meyer erzählt von einem Seeadler, den er gelegentlich beobachtet. Ein Seeadler ist nicht zu sehen, er ist nie zu sehen, wenn man ihn braucht. Der Haubentaucher taucht wieder auf. Angeblich hat der berühmte Porzellangestalter Johann Joachim Kaendler ein solches Exemplar in der Nähe des Jagdschlosses gezeichnet, um es in Lebensgröße zu modellieren. War vielleicht ein Urahn dieses Vogels. Tolle Kopffedern übrigens.

Wolf-Rüdiger Meyer sieht über Vogel und Teich hinweg, weit hinweg. Er würde diese abgelegene Ecke gern bis zum Bad Sonnenland öffnen für mehr Sport und Freizeit, sieht schon Skater ihre Bahn ziehen, vorbei an Skulpturen der Steinbildhauer. Und weil er gerade beim Träumen ist: Ein Radweg zwischen Moritzburg und Dresden wäre doch schön. Die Touristiker würde es sicher freuen, die gemeinsam diese Region vermarkten. Meyer kommt dem Traum näher, seit die Schüler nach Boxdorf müssen. Nun wird zumindest ein Stück fürs Rad geplant.

Auch der Freistaat macht Pläne, seine eigenen. „Da beißt sich was“, sagt der Wegewart. Es ärgert ihn, dass die neue Radverkehrskonzeption für Sachsen die vorhandene Struktur zu wenig berücksichtigt. „Da wird uns was übergestülpt. Man hätte im Vorfeld viel mehr zusammen reden müssen. Jetzt wird die ehrenamtliche Initiative durch den Staat ausgebremst.“ Meyer sagt, dass er das hochnäsig findet. Demotivierend. Überhaupt, meint er, sollte das Engagement vor Ort mehr gewürdigt werden. „Ehrenämtler sind keine Sensibelchen, sie müssen nicht dauernd gestreichelt werden. Aber sie freuen sich, wenn ihre Arbeit anerkannt wird.“

Gerade schüttet der Freistaat ein Ehrenamtsbudget von jeweils 100 000 Euro für sächsische Landkreise und kreisfreie Städte aus. Sie selbst brauchen keine Kofinanzierung zu leisten. Wolf-Rüdiger Meyer bleibt trotzdem skeptisch. „Damit ist ein Berg von Bürokratie verbunden, viele Kommunen kommen gar nicht dazu, sie sind mit dem Tagesgeschäft völlig ausgefüllt. Es mangelt am Ehrenamtsmanagement.“ Im Vorbeigehen registriert er, dass am Schilderpfahl ein gelber Strich fehlt. Menschen sammeln ja viel, aber Striche? Die Linde braucht noch nicht beschnitten zu werden. Nebenan pflügen Wildgänse übers Feld. Sie wirken friedlich. Da beißt sich nichts.