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„Ein schrecklicher Schrei, und das arme Wesen lag als Leiche da“

Unfälle mit Windmühlenflügeln wie jüngst in Kottmarsdorf gab es schon früher. Das zeigen Beispiele aus Sohland am Rotstein und weiteren Orten.

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© Matthias Weber

Von Bernd Dressler

Kottmarsdorf. Das Unglück am 1. Mai an der Bockwindmühle Kottmarsdorf bewegt nach wie vor die Gemüter der Natur- und Heimatfreunde als Betreiberverein. Zwei erheblich alkoholisierte polnische Touristen hatten die Absperrketten überstiegen und waren in die sich drehenden Flügel gelaufen. Sie mussten mit zum Teil schweren Verletzungen in umliegende Krankenhäuser gebracht werden.

Als Zierbänder wurden die Sicherheitsketten nicht angebracht, als sich vor 26 Jahren nach Jahrzehnten des Stillstandes die Flügel der Kottmarsdorfer Mühle wieder drehten. Denn seit es Windmühlen gibt, wurde immer wieder über zum Teil schwere und grausame Unglücksfälle geklagt, verursacht durch selbstmörderischen Leichtsinn von Laien oder durch Missgeschicke, die den Müllern in Ausübung ihres Handwerks widerfuhren. Wobei, das muss hinzugefügt werden, die Windmühlen früher nicht abgesperrt, sondern ringsum frei zugänglich waren.

So ereignete sich bereits vor 255 Jahren im Windmühlendorf Kottmarsdorf ein Unfall, der dem vom 1. Mai 2018 sehr ähnelt. Der Ebersbacher Häusler Christian Zscheutsch wettete, dass er ganz nahe bei einer dort befindlichen Windmühle (der Vorgängerin der heutigen) vorbeilaufen wolle, ohne von einem Flügel erreicht zu werden. Doch am 11. September 1763, abends um 6 Uhr, kam, was kommen musste: Zscheutsch wurde von einem Flügel erfasst. „Er ward von demselben ergriffen und im 36. Jahre seines Lebens in Kottmarsdorf begraben“, vermerkte der Ebersbacher Chronist Gottlob Paul. Tragisch auch der Unglücksfall, der am 16. Mai 1875 im schlesischen Fraustadt (heute Polen) passierte: Die zweijährige Tochter des dortigen Müllermeisters spielte an der Windmühle. Ein Dienstmädchen war dabei und vernachlässigte für einen Moment die Aufsicht. Ein Chronist notierte: „Gleich darauf erfolgte ein schrecklicher Schrei, und das arme Wesen lag vom Mühlenflügel erschlagen als Leiche da.“ Gerade noch mit dem Leben davon kam am 20. Mai 1874 im südöstlich von Ostritz gelegenen Weigsdorf (heute Polen) ein zwölfjähriger Junge. Er geriet in die Flügel einer Windmühle, „wodurch der eine Arm derart verstümmelt wurde, daß die Amputation vorgenommen werden mußte“.

Auch die Müller waren vor schweren Unfällen nicht sicher. Wenn sie bei aufkommendem Gewitter oder Sturm Schaden von der Mühle abwenden wollten, mussten sie die Windbretter aus den Flügeln nehmen. Dabei kam am 6. April 1853 ein Müller in Sohland am Rotstein ums Leben. Ein Flügel, in den er geklettert war, setzte sich plötzlich wieder in Bewegung, der Müller wurde „mit in die Höhe geschwungen, gewaltsam herabgeschleudert und am andern Morgen mit bedeutenden Kopfverletzungen entseelt aufgefunden“, meldete eine Zeitung. Ebenso ein toter Mann war der Müller Glätterbauer aus dem Gebiet Reichenberg, als er im September 1897 einen Antrieb reparieren wollte. Doch er vernachlässigte schon damals geltende Arbeitsschutzbestimmungen grob, denn er montierte bei laufender Mühle. Glätterbauer „wurde vom Getriebe erfaßt, zwischen die Räder geworfen und buchstäblich zerquetscht, so daß das Blut nach allen Seiten spritzte“. Glätterbauer konnte nur noch mit zerbrochenem Brustkorb aus dem Getriebe gezogen werden. „Der Verunglückte war Witwer und hinterläßt vier unversorgte Kinder“, war nach dem Unglück zu lesen.

Trotz dieser Horrornachrichten muss heute niemand Horror vor einer Windmühle haben, die als technische Schauanlage geöffnet ist. Respekt dagegen schon. Und Achtung vor Absperrketten und Warnschildern, die nicht zum Spaß da sind.