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Ein Hotel im Pfarrhaus als neue Chance

Im Leipziger Integrationshaus Philippus hat jeder zweite Kollege ein Handicap – gerade das gehört zu seinen Stärken.

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© dpa/Jan Woitas

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Alte Steinmauern, alte Holztüren, ein 100 Jahre altes Treppenhaus: Im ehemaligen Pfarrhaus der Philippuskirche in Leipzig ist ein stilvolles, familiäres Hotel mit 29 Doppelzimmern eingezogen. Doch das Integrationshotel am Karl-Heine-Kanal im Szeneviertel Lindenau ist noch aus einem anderen Grund etwas Besonderes: Vier der acht Kollegen, die sich um die Zufriedenheit der Gäste kümmern, haben ein Handicap. Zu ihnen gehört die 27-Jährige Eileen Wiedemann: Die ehemalige Sportmanagement-Studentin hat von Geburt an nur ein Sehvermögen von drei Prozent, jetzt ist sie die gute Seele an der Rezeption. Die schwarzen Tasten ihres Computers haben große weiße Buchstaben und sind beleuchtet, Gäste erkennt sie an deren Umrissen und Stimmen. Zum Team gehört auch der ehemalige Berufssoldat Felix Matthae. Er hatte einen Gehirntumor und lag acht Monate im Koma. Seither kann er sich nicht mehr alles merken, aber er kümmert sich mit Hingabe um die Zimmer.

Das Philippus Integrationshotel: vier Mitarbeiter mit Behinderung haben hier einen Job gefunden.
Das Philippus Integrationshotel: vier Mitarbeiter mit Behinderung haben hier einen Job gefunden. © dpa/Jan Woitas

Vor 100 Tagen hat das Berufsbildungswerk BBW eines der ganz wenigen Integrationshotels in Sachsen zum Übernachten, Tagen und Feiern eröffnet – und es scheint eine Erfolgsstory zu werden. „Wir sind fast jedes Wochenende ausgebucht und haben schon viele Stammgäste“, erzählt Hauschefin Marlene Schweiger. Und ständig würden sie weiterempfohlen. Fast 2 000 Gäste kamen bereits, unter ihnen Geschäftsleute, Konferenzteilnehmer, Touristen oder Großeltern, die ihre Familien in Leipzig besuchen. Ein einfaches Doppelzimmer samt Frühstück kostet 79 Euro, die Suite 130 Euro. Auch 20 Familienfeiern gab es schon: Für Veranstaltungen stehen der ehemalige Gemeindesaal, der Garten und ein Seminarraum bereit.

Ein kleiner Teil der Gäste habe auch selbst Beeinträchtigungen, für die das Hotel eine Menge Service bietet: Fahrstühle, ein tiefer gelegter Empfangstresen und zwei rollstuhlgerechte Doppelzimmer, Lichtsignalanlagen, Hörschleifen und andere Orientierungshilfen, niedrige Türtaster und bodengleiche Duschen. Pflegedienste und Sanitätshäuser stellen bei Bedarf Extras bis hin zu Pflegebetten bereit. Die moderne Ausstattung fügt sich dabei kaum sichtbar in die denkmalgeschützten Mauern ein. Insgesamt 15 Mitarbeiter kümmern sich um den Betrieb als Hotel garni sowie um Veranstaltungen, Caterings und eine Cafeteria in der Nähe.

Aber wie leitet man ein Team, in dem jeder zweite Kollege ein Handicap hat? „Jeder hat seine Stärken, auf die ich mich verlassen kann“, sagt Leiterin Schweiger, die zuvor vier Jahre Direktionsassistentin in einem Leipziger Residenzhotel war. „Wichtig ist die gegenseitige Wertschätzung.“ Natürlich laufe nicht immer alles rund, natürlich müsse man auch mal Kritik üben, wie überall. „Aber es geht bei uns menschlich zu“, sagt Schweiger. Ohnehin seien die Motivation der Kollegen und deren Wunsch, die Gäste glücklich zu machen, besonders stark – zumal sie mit diesem Job eine neue Chance bekommen haben. „Und wir lernen jeden Tag dazu“, sagt Schweiger. Das gilt auch für sie. Wenn ein Kollege sich nicht alle Aufgaben merken könne, schreibt sie sie ihm eben auf.

Das offene Haus soll auch ein Schaufenster sein, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass Menschen mit Handicap als vollwertige Mitglieder mitten in der Gesellschaft stehen, sagt Projektleiter Wolfgang Menz. Das Berufsbildungswerk müsse dank seines sozialen Auftrags zwar nicht sofort Gewinne erwirtschaften – aber auf Dauer solle das Hotel keineswegs ein Zuschussbetrieb sein.

2012 hatte das BBW das Gebäudeensemble von der evangelischen Landeskirche übernommen und für 4,5 Millionen Euro samt Förderung der Aktion Mensch umgebaut. Auch die Werkstätten für behinderte Menschen haben Aufträge übernommen und das maßgeschneiderte Mobiliar gebaut. Bis Mai wird nun noch die Philippuskirche saniert. Schon jetzt wird das Kulturdenkmal trotz laufender Renovierung für Veranstaltungen, Konzerte und Feiern genutzt – auch eine Bereicherung für das Hotel.