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These 2: Der Sachse ist international

Die Dresdner GSA-CAD GmbH hat 80 Mitarbeiter. Die Hälfte sind Migranten, die dringend gebraucht werden.

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© Zeichnung: Mario Lars

Doreen Reinhard

Deutsch lernen ist die eine Sache. Fachbegriffe verstehen noch mal eine ganz andere Aufgabe. Nur so ein Beispiel: Wie viele verschiedene Ventile gibt es in Deutschland? Sehr, sehr viele, sagt Markus Wulke, und fängt an aufzuzählen: „Kugelhahnventil, Schrägsitzventil, Pneumatikventil...“ Wulke ist Chef der Dresdner GSA-CAD GmbH und dort gehören solche Worte zur Alltagssprache. Die Firma ist spezialisiert auf technische Zeichnungen von Industriegebäuden, am Bau von Flughäfen und Chipfabriken war sie schon beteiligt.

Markus Wulke (li.) mit Suman Aryal (Nepal), Alexandra Spate (Deutschland), Ahmad (Libanon) – und ihren jeweiligen Länder-Kürzeln auf DIN A4 gezeichnet.
Markus Wulke (li.) mit Suman Aryal (Nepal), Alexandra Spate (Deutschland), Ahmad (Libanon) – und ihren jeweiligen Länder-Kürzeln auf DIN A4 gezeichnet. © Matthias Rietschel

Die riesigen Pläne, die in der Firmenzentrale in Dresden-Klotzsche an den Wänden hängen, sehen für Laien aus wie hochkomplizierte Labyrinthe. Die 80 Mitarbeiter der GSA-CAD müssen sich darin spielend leicht zurechtfinden. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit für technische Zeichner. Nur kommen die Angestellten aus 15 Ländern, unter anderem aus Syrien, Griechenland, Venezuela, Libyen. Das Team besteht zur Hälfte aus Deutschen, zur anderen aus Migranten. Nicht jeder hat anfangs gut Deutsch gesprochen, geschweige denn das Wirrwarr der Ventil-Vokabeln verstanden.

Wie funktioniert Integration im Berufsleben? Die CSA-CAD findet dafür viele Antworten. Die Firma hat sich bewusst zu einem internationalen Standort entwickelt. „Zuerst aus rationalen Gründen, weil wir dringend Leute brauchten“, sagt Markus Wulke. „Daraus ist auch eine emotionale Entscheidung geworden. Wir sind heute ein anderes Unternehmen mit neuen Werten.“ Er ist ein bedächtiger Mann, der konzentriert erzählt. Mit gerade einmal 27 Jahren trägt er schon viel Verantwortung. Sein Vater Axel Wulke hat das Familienunternehmen aufgebaut. Der Sohn hat Betriebswirtschaft studiert und ist nach dem Abschluss eingestiegen, als Chef der Personalabteilung. „Ich musste erst hineinwachsen in diese Rolle“, gesteht er. Direkt nach seinem Start ahnte er nicht, dass er sich nebenbei zu einem Experten für Migrationsfragen entwickelt. Für Sprachzertifikate, Arbeitsbescheide und Bleibeperspektiven.

Entwicklungen wie bei der GSA-CAD gibt es in vielen Unternehmen. Die Arbeitslosenquote liegt in Sachsen derzeit bei 5,8 Prozent – so niedrig wie nie zuvor. Zugleich gibt es immer dringendere Probleme bei der Besetzung offener Stellen, von Helfern bis zu Fachkräften. Ein Faktor dabei: Im Freistaat gehen mehr Menschen in Rente als Berufseinsteiger nachrücken. Schon jetzt hat Sachsen den höchsten Altersquotienten in Deutschland. Bis 2025 wird die Zahl der arbeitsfähigen Bevölkerung im Alter von 15 bis 65 Jahre um 207 000 Menschen sinken. Zuwanderung ist wichtig, darüber sind sich viele einig.

Voriges Jahr waren in Sachsen reichlich 60 000 Ausländer sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 3,8 Prozent aller Beschäftigten. Dieser Wert hat sich für Sachsen in den letzten drei Jahren nahezu verdoppelt, liegt aber immer noch fast das Dreifache unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Wie viele Flüchtlinge es bereits auf den Arbeitsmarkt geschafft haben, darüber geben die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit keine Auskunft. Das zeigen bisher vor allem Beispiele aus der Praxis – wie das der GSA-CAD GmbH.

Die Firma hat schon vor Jahren positive Erfahrungen mit Mitarbeitern gemacht, die als Spätaussiedler aus Russland kamen. Warum sollte das nicht wieder funktionieren? Schritt für Schritt wurde ein hauseigenes Integrationsprogramm aufgebaut. Ein Spezialkurs entwickelt, um binnen weniger Wochen die wichtigsten Kenntnisse der CAD-Programme zu vermitteln. Ein firmeneigenes Wörterbuch mit über 1 000 Vokabeln herumgereicht. Einer der ersten Migranten, der bei der GSA-CAD anfing, hat alle unbekannten Wörter aufgeschrieben und auf Englisch übersetzt. Diese Sammlung wird an jeden Neuling weitergegeben. Anfänger bekommen Zeit zum Verstehen.

Nach einer Übergangsphase gilt jedoch die Regel: In den Büros wird Deutsch gesprochen. „Wir wollen nicht, dass sich jemand ausgeschlossen fühlt“, sagt Markus Wulke. Das soll auch umgekehrt gelten. Deshalb haben die Deutschen interkulturelle Kurse besucht. Workshops, in denen Wissen über andere Länder vermittelt wird. Zuerst haben die Chefs und ihre Führungskräfte das Seminar besucht, anschließend gab es in der Zentrale eine Veranstaltung mit allen Mitarbeitern.

Skepsis hat Markus Wulke nie erlebt. Sicher, in all den Jahren habe es gelegentlich Kündigungen gegeben. „Aber mir hat niemand gesagt, dass er diesen Weg ablehnt.“ Und dieser Weg, das ist ihm wichtig, sei keiner, den er als gute Tat der Geschäftsführung verstanden wissen will. „Alle Mitarbeiter sind daran beteiligt. Ohne sie wäre das überhaupt nicht möglich.“ Denn Deutsche und Migranten arbeiten in Teams, die einen helfen den anderen als Mentoren.

So wie Alexandra Spata und Ahmad, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. Beide haben vor über zwei Jahren bei der GSA-CAD angefangen. Sie, 22 Jahre alt, stammt aus Sachsen, er ist aus einem Flüchtlingslager im Libanon gekommen. In seinem Heimatland hat Ahmad Architektur studiert, aber das Land wegen dauernder Unruhen verlassen. In Deutschland hoffte er auf eine sichere Zukunft und war froh über seinen ersten Job.

Alexandra Spata, seine Teamleiterin, zweifelte anfangs. „Er verstand noch nicht viel. Ich dachte: Wie sollen wir das bloß schaffen?“ Heute sagt sie: „Sein Deutsch ist inzwischen so hervorragend, dass er andere Mitarbeiter anlernen kann. Auf ihn ist absolut Verlass.“ Ahmad lächelt als er das hört. „Wir schaffen viel, trotzdem ist es locker. Wir können auch zusammen lachen.“

Das fällt Ahmad gerade wieder deutlich leichter. Nachdem sein Asylverfahren ursprünglich abgelehnt wurde, musste er monatelang bangen. Inzwischen sieht es aus, als könne er in Deutschland bleiben. Einige Kollegen wussten von seiner Lage. „Wir haben darüber geredet. Ich habe Riesenrespekt, dass er sich das bei der Arbeit nicht anmerken ließ“, sagt Alexandra Spata. „Ich hätte nicht gewusst, ob ich mich trotzdem so hätte konzentrieren können.“

Personalchef Markus Wulke hat sich in viele Migrationsgesetze eingelesen. In seinem Büro stehen zig Ordner mit Behördenschreiben. All das bearbeitet er geduldig nebenbei. Ahmads Fall läuft seit anderthalb Jahren. Das Unternehmen klagte gegen seine Ablehnung, begleitete ihn schließlich vor die Härtefallkommission. Markus Wulke ist zufrieden mit dem Ausgang. Aber er sagt auch: „Für jeden Mitarbeiter können wir das nicht machen.“ Theoretisch könnte er sich unendlich einbringen. Wulke versucht es mit einer Gratwanderung. „Wir reichen einige Finger, aber nicht beide Hände“. Dem einen organisiert das Unternehmen eine Wohnung, dem nächsten versorgt es mit einem zusätzlichen Sprachkurs, einen anderen unterstützt es bei Sorgen mit Behörden. „Wenn wir alles übernehmen, kämen wir gar nicht mehr zur Arbeit. Außerdem gibt es ja noch andere Ansprechpartner, die sich um solche Dinge kümmern.“

Bei der Vermittlung von Personal helfen ebenfalls viele Stellen, von Migrationsvereinen bis zur Handelskammer. Viele Migranten haben in ihren Heimatländern technische Fächer studiert, sind mit ihrem Wissen also gut geeignet. Die GSA-CAD zahlt branchenübliche Löhne. Keine riesigen Gehälter, aber für den Anfang ausreichend. Für manche ist das Dresdner Unternehmen ein erstes Sprungbrett. Sie heuern nach einiger Zeit bei anderen Firmen an, auch wenn das Markus Wulke bedauert, denn das Ringen um Personal wird immer schwieriger. Er sucht ständig. Auf Einwanderer kann er nicht verzichten, das bleibt eine rationale Entscheidung. Doch dadurch hat sich vieles verändert. „Wir sind offener geworden. Und kreativer, vor allem, was die Problemlösung angeht.“

Ist die GSA-CAD ein Vorzeigebeispiel? Markus Wulke grübelt. „Sagen wir besser so: Wir sind ein gutes Beispiel. Wir zeigen mit vielen Schritten, wie Integration gelingen kann.“