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Dresden, Chemnitz oder Container?

Die Ostrale hat noch kein Domizil fürs kommende Jahr, aber schon jede Menge Ideen.

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© Ronald Bonß

Von Birgit Grimm

Das Tor zum Ostrale-Gelände steht offen, obwohl es in diesem Sommer keine internationale Ausstellung zeitgenössischer Kunst gibt. Im Tickethäuschen liegen Kataloge neben einer Kasse des Vertrauens für alle, die jetzt noch einen Katalog vom vorigen Jahr haben möchten. Auf dem Gelände rangiert ein Lkw. Schiffscontainer werden abgeladen. Für ihren Landgang wurden sie mit raumhohen Fenstern, Lampen und Elektroanschlüssen für höhere Zwecke präpariert. Sieben Künstler werden in den nächsten Wochen auf dem Ostrale-Gelände an der Dresdner Messe arbeiten – mit Ferienkindern, mit Publikum.

Hanna Nitsch ist eine dieser Künstlerinnen. Für einen Monat nimmt sie in einem der Container Quartier und lässt sich bei ihrer Arbeit in den Kopf schauen. „The Heat“ nennt sie ihr Projekt, mit dem sie ihre Hirnströme in die Umgebung projiziert. Ein digitales Selbstporträt wird entstehen, das auch für Hirnforscher interessant sein könnte. Mediziner der Unikliniken Dresden und Chemnitz will Ostrale-Chefin Andrea Hilger mit ins Boot, also in den Container holen. Sie könnte sich auch vorstellen, den Container aufs Gelände der Dresdner Uniklinik zu stellen, um dort Kunst und Wissenschaft zusammenzubringen.

Andrea Hilger kann sich im Moment so ziemlich alles vorstellen, wenn es um die Zukunft der größten Ausstellung für zeitgenössische Kunst in Sachsen geht. In den ehemaligen Futterställen der Erlweinschlachthöfe ist am 31. Dezember definitiv Schluss. Es wird 2019 keine Ausstellung der Ostrale Biennale an diesem Ort geben.

2007 war es die Stadt Dresden, die die Ostrale auf das Gelände der Erlweinschlachthöfe verpflanzte. Die Idee dahinter: Künstler sollten das Areal beleben. „Das ist voll und ganz aufgegangen. Als wir hier anfingen, war hier außer uns niemand und nichts. Nun, da der Ort international bekannt und von den Dresdnern angenommen ist, müssen wir einpacken“, sagt Andrea Hilger. Die Futterställe und Heuböden müssen saniert werden.

Seit bekannt wurde, dass die Ostrale heimatlos ist, bekam das Team diverse Asylangebote aus Sachsen. Eine leerstehende Papierfabrik, irgendwo im Erzgebirge, zum Beispiel. Idylle pur.

Auch Chemnitz wäre ein guter Ort. Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig sähe die Ostrale gern in ihrer Stadt. Doch wie schnell ist dort eine leere Halle mit einem so großen Format wie der Ostrale bespielbar? Der Stadtrat hat beschlossen, alle Optionen zu prüfen, die Chemnitzer Kulturarbeiter dabei einzubeziehen und im Herbst Verhandlungen mit der Ostrale aufzunehmen. Gleichzeitig sei die freie Szene der Stadt mit derselben Summe zu fördern wie die Ostrale, sollte die nach Chemnitz kommen. Es war clever, die Entscheidungen voneinander abzukoppeln. Wenn sich Chemnitz gegen die Ostrale entscheidet, hätte immerhin die freie Szene hinzugewonnen. Das ist im Sinne von Andrea Hilger: „Wir wollen mitwirken, aber niemanden verdrängen.“

Die Futterställe warten noch

Am liebsten jedoch würde sie mit der Ausstellung in Dresden bleiben, zumal es einen diesbezüglichen einstimmigen Stadtratsbeschluss gibt. Hilgers Hoffnung auf eine Rückkehr der Ostrale in die Futterställe bekräftigte am Freitag Thomas Grundmann, persönlicher Referent von Dresdens Kulturbürgermeisterin: „Das Amt für Kultur und Denkmalschutz hat einen Nutzungsvorschlag erarbeitet. Dieser beinhaltet sowohl Ausstellungs- als auch Atelierräume. Die Ostrale spielt bei den Überlegungen für die Nutzung der Futterställe nach wie vor eine Rolle. Ein Verkauf des Areals ist nicht vorgesehen. Die Finanzierung der Sanierungskosten ist jedoch noch ungeklärt.“ Genauso ungeklärt sind Zeitrahmen und Unterbringung der Ostrale in der Zwischenzeit. „Wir haben der Stadtverwaltung mehrere Interims-Konzepte vorgelegt. Die Stadt bot uns die Messe an, aber nur für vier Wochen Ausstellung in den Ferien. Das haben wir abgelehnt“, sagt Hilger. Bisher dauerte die Ostrale drei Monate mit einem starken Programm für Schulklassen. In der Ferienzeit müsste das entfallen. Die Robotron-Kantine, in die das Kunsthaus einziehen soll, wäre mindestens für 2019 eine Option. Auch die ehemaligen Spielstätten von TJG und Staatsoperette stehen leer. Auch ein Containerdorf, das einst für Flüchtlinge errichtet wurde.

Vielleicht inspiriert diese mühsame Suche nach einem Ort einen jungen Literaten zu einer Posse? Jedenfalls lädt das Ostrale-Team die schreibende Zunft ein, in den nächsten Wochen die Container zu besuchen und über das Erlebte zu reflektieren. Ein Wettbewerb ist ausgelobt, Veröffentlichungen sind geplant. Vom 17. bis 23. September wird bei den Futterställen präsentiert, was Künstler, Schüler und Studenten in Workshops im Juli und August produzieren. Flankiert wird die Schau von Podiumsdiskussionen, Performances, Lesungen. Danach gehen die Kunst-Container auf Tournee durch Sachsen, Tschechien, die Niederlande. Endstation der Reise soll vom 28. Juni bis 29. September 2019 auf der Ostrale Biennale sein.

Barrierefreiheit soll sich dann übrigens nicht in einer Rollstuhlrampe erschöpfen. Schon 2017 gab es auf der Ostrale 27 Kunstwerke, die blinde Besucher anfassen und sich über eine App erklären lassen konnten. Entlang eines roten Streifens auf dem Boden fanden sie mit dem Blindenstock den Weg durch die Schau. 2019 sollen 50 Kunstwerke technisch noch ausgefeilter auf diese Weise erlebbar sein. Außerdem arbeitet das Team an Führungen und Texten für Gehörlose. Das mutet an wie Trockenschwimmen. Wie soll man eine Ausstellung vorbereiten, für die viele Künstler vor Ort arbeiten, wenn der Ort unbekannt ist? „Spätestens Ende November brauchen wir Klarheit“, hofft Andrea Hilger.