Merken

Dramatische Tage im August

Vor zehn Jahren stand Sachsen vor dem Abgrund: Die Landesbank war nicht mehr flüssig und wurde quasi über Nacht verkauft. Mit weitreichenden Folgen.

Teilen
Folgen
© Ronald Bonß

Von Ulrich Wolf

Die Krise beginnt mitten in der Urlaubszeit. Zwar gibt es erste Gerüchte, dass da drüben in den USA mit dem Häusermarkt etwas nicht in Ordnung sein könnte, doch was hat das schon mit Sachsen zu tun? Also fahren sie alle in die Ferien: Ministerpräsident Georg Milbradt nach Ungarn, sein Stellvertreter und Wirtschaftsminister Thomas Jurk an die Ostsee. Auch Finanzminister Horst Metz ist verreist. Und es darf bezweifelt werden, dass die Herren ihre Freizeit mit dem Studium täglicher Pflichtmitteilungen vom Kapitalmarkt verbringen.

Und doch gibt es da eine, deren Brisanz anfangs gar nicht erkannt wird. Am 30. Juli 2007 teilt das Düsseldorfer Geldhaus IKB mit, man sei infolge der Krise am US-Subprime-Markt in eine existenzbedrohende Schieflage geraten. Subprime-Markt? USA? Nur wenige wissen: Das ist der Markt, auf dem Banken ihre unsicheren Kredite für Immobilien und Konsumgüter bündeln und als Wertpapiere verkaufen.

Und das hat dann doch mit Sachsen zu tun. Konkret: mit der Landesbank des Freistaats. Wenig bis gar nicht kontrolliert, spielt auch die 1999 gegründete Tochterfirma Sachsen-LB Europe in Dublin auf diesem Subprime-Markt mit. Die Gewinne sprudeln bis zu jenem Sommer. Nun stellen Wirtschaftsjournalisten fest, dass die Sachsen dabei ein noch größeres Rad drehen als etwa die Deutsche Bank.

Weil die Chefs in den Ferien sind, landet das Thema bei Finanzstaatssekretär Wolfgang Voß. Der erfahrene Spitzenbeamte schreibt an die Landesbank in Leipzig. Er bittet den Vorstand unter Führung von Herbert Süß um eine Stellungnahme. Die Antwort trudelt am ersten Freitag im August ein. Ja, es gebe Schwankungen am Markt, heißt es. Die hätten aber nichts mit erhöhten Ausfallrisiken zu tun. „Die Liquidität ist gesichert.“

Nach dem Wochenende berichtet der Spiegel über die „Finanzjongleure“ in Dublin. Und über Zweckgesellschaften mit Namen wie Ormond Quay, deren Geschäfte in keiner Bilanz auftauchten. Unfassbar sei das Volumen: 14 Milliarden Euro. Unaufgefordert landet ein weiterer Brief aus Leipzig im Finanzministerium, gerichtet an den Chef des Hauses, Horst Metz. Aber auch er, der dem Aufsichtsrat der Bank vorsteht, ist ja im Urlaub. Wieder liest Staatssekretär Voss den Brief, und wieder versichern die Banker, es bestehe kein Grund zur Panik. Voß traut der Sache nicht. Zumal kurz darauf die Frankfurter Allgemeine Zeitung vermeldet, die Sachsen-LB sei ins Visier der Bankenaufsichtsbehörde geraten. Voß zitiert Herbert Süß und Kollegen ins Ministerium. Dort betonen sie erneut, die Liquidität sei gesichert. Die Landesbank teilt das anschließend sogar der Presse mit.

Einige Tage ist es relativ ruhig, dann kommt der 14. August. Ein Mittwoch. Finanzminister Metz ist zurück. In seinem Terminkalender ist eine Kreditausschusssitzung der Landesbank am Nachmittag in Leipzig vermerkt. Dort überschlagen sich innerhalb weniger Minuten die Ereignisse. Bankchef Süß wird von Dublin aus unterrichtet, es gebe ein dramatisches Problem bei der Refinanzierung der Papiere in der Zweckgesellschaft Ormond Quay. Es drohten Milliardenverluste, sollte nicht sofort frisches Geld in das Dubliner Investment gepumpt werden. Doch wie viel Geld genau nötig ist, bis wann und wer es auftreiben soll, all das bleibt unklar. Metz und Voß informieren die Staatskanzlei. Dort greift Staatssekretärin Andrea Fischer zum Telefon. Sie ruft den Ministerpräsidenten an. Der bricht seinen Urlaub ab.

Gleich am nächsten Morgen trommelt Milbradt in Dresden seine Leute zusammen. Ein Teilnehmer erzählt, der Regierungschef sei regelrecht in seinem Stuhl zusammengesunken, als er von den wahren Zahlen erfährt: Ein Kredit von 17,3 Milliarden Euro muss her. Für Wertpapiere, deren Funktionsweise nicht einmal Spezialisten im Finanzministerium geläufig war. „Dass es diese Dinger überhaupt gibt, wusste ich gar nicht“, räumt einer ein. Schließlich hätten die Wirtschaftsprüfer des Weltkonzerns PWC doch immer alles als korrekt begutachtet.

Einen 17-Milliarden-Euro-Kredit kann Sachsen nicht stemmen. Eilig wird deshalb ein Treffen beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) in Berlin organisiert. Voss rast mit dem Dienstwagen über die Autobahn 13 dorthin. Er trifft am Nachmittag des 16. Augusts auf die Elite der Staatsbanker: Die Vorstände der Landesbanken sind da, DSGV-Präsident Heinrich Haasis, der Chef des ostdeutschen Sparkassenablegers, Claus Friedrich Holtmann. Voß schafft, was viele nur zu hoffen gewagt haben: Gegen 22 Uhr erklärt sich der öffentlich-rechtliche Bankensektor der Bundesrepublik Deutschland bereit, die Sachsen-LB zu stützen. Allein die Landesbank Baden-Württemberg stemmt die Hälfte der 17,3 Milliarden Euro.

Der Koalitionspartner der sächsischen CDU ist bislang weitgehend außen vor. Dabei ist es vor allem der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle, der mit seiner Dauerkritik die Union vor sich hertreibt. Für ihn sind die Geschäfte in Dublin ein Fass ohne Boden. Nolles Parteichef, Wirtschaftsminister Thomas Jurk, erfährt erst an seinem letzten Urlaubstag von dem Drama in Dresden. Als er zurückkehrt, sitzt Finanzstaatssekretär Voß gemeinsam mit seinem Chef Metz bereits im Flieger. Ihr Ziel ist Frankfurt am Main. Der Präsident der Bundesbank, Axel Weber, und der Boss der Finanzaufsicht, Jochen Sanio, müssen den Deal von Berlin absegnen. Unterstützt von den wichtigsten Sparkassenleuten des Landes gelingt auch das. Voß, Metz und Milbradt atmen auf. Sie wissen: Ohne die Kreditlinie hätte man das gesamte Dubliner Wertpapierdepot sofort verkaufen müssen. Unter milliardenschweren Verlusten, die Sachsen an den Rand des Ruins getrieben hätten.

Nolle aber gibt in Dresden keine Ruhe. Er hält an seiner These fest: „Die Lage der Sachsen-LB kann ein Desaster für das ganze Land bedeuten.“ Insider der Bank füttern ihn unentwegt mit Informationen. Vielen in Leipzig war Dublin verhasst, denn dort wurde die Liquidität eingesetzt, die sie etwa für das klassische Kreditgeschäft in Sachsen hätten gebrauchen können.

Nach dem Okay aus Frankfurt fühlt sich vor allem Metz sicher. „Die Geschäfte der Sachsen-LB stellten kein „Zocken“ dar, kontert er Nolle. Solche Begriffe „aus dem Bereich des Glücksspiels sind irreführend“. Der finanzpolitische Sprecher der CDU im Landtag, Matthias Rößler, formuliert noch härter: „Ein sächsischer Politiker wie Nolle sollte unsere Landesbank in dieser schwierigen Situation nicht in unverantwortlicher Weise schlechtreden.“ Für die CDU scheint die Sache erledigt. Zumal das Thema auf einer Verwaltungsratssitzung der Bank am 20. August kaum diskutiert wird.

Nur wenige Stunden später, ein Dienstagabend. Die Leipziger Banker räumen kleinlaut ein, dass da doch noch was ist. Die britische Investmentbank Barclays fordere 250 Millionen Euro. Sofort. Man müsse dazu auf das Eigenkapital der Bank zugreifen. Das sei danach aber so niedrig, dass man gegen bankrechtliche Auflagen verstieße. Die SPD, die ohnehin mit der Koalitionsräson hadert, sie tobt. Auf höchster Ebene fliegen die Fetzen zwischen Wirtschafts- und Finanzministerium.

Dann kommt der Brief. An einem Freitag. Die sichtlich verärgerten Bankenaufseher in Frankfurt schreiben, die Sachsen-LB befinde sich „in einer ihre Existenz bedrohenden Lage“. „Sollte die Bank nicht sehr schnell auf eine neue wirtschaftliche Basis gestellt werden, würde sich die Frage bankenaufsichtlicher Maßnahmen stellen.“ Die Schließung drohe. Bis zur Eröffnung der Börse in Tokio am Montagmorgen müsse das Thema vom Tisch sein.

Am Sonnabend, dem 25. August, um 14 Uhr beginnt der Countdown am Sitz der Ostsächsischen Sparkasse am Dresdner Güntzplatz. Etwa 20 Personen sitzen in der Runde. Darunter sind der Chef der Landesbank von Baden-Württemberg, Staatssekretär Voß und sein Abteilungsleiter für Haushaltsrecht, Sachsen-LB-Vorstände, Dresdens Sparkassenboss Hoof, Verbandsgrößen, Juristen, Berater. Alle wissen: Die Schließung der Landesbank hätte unabsehbare Folgen für Sachsen. Und für den deutschen Bankenmarkt. Trotzdem ziehen die ebenfalls anwesenden Vertreter der Nord-LB am Nachmittag ihr Interesse zurück.

Am frühen Abend stößt Finanzminister Metz hinzu, in der Nacht auch Regierungschef Milbradt. Erst am Sonntagmorgen um halb drei Uhr gibt es eine Grundlagenvereinbarung mit der Landesbank in Stuttgart: 13 Seiten, fünf Kapitel, 61 Abschnitte und Zusatzsätze. Sie regelt die Überführung der Sachsen-LB in die LBBW bis 2008. Zudem überweisen die Schwaben sofort die 250 Millionen Euro an Barclays. Freudetrunken stammelt Metz: „Die Baden-Württemberger wollen uns tatsächlich.“ Sparkassenfunktionär Holtmann hingegen, seit 2005 Dauergast bei den Aufsichtsratssitzungen der Sachsen-LB, sieht im Untergang der Bank eine persönliche Niederlage. „Es ist an der Zeit für Demut“, sagt er. Sachsen-LB-Chef Süß tritt sofort zurück.

Nach drei, vier Stunden Schlaf sitzen Voß und seine Leute früh am Sonntagmorgen schon wieder an ihren Schreibtischen. Sie brüten über einer Kabinettsvorlage. Die Minister stimmen zu, ebenso die zusammengerufenen Fraktionschefs der anderen Landtagsparteien. Nachmittags geben dann noch die Eigentümer der Sachsen-LB und der Landesbank Baden-Württemberg ihren Segen. Erst nach einem fast 30-stündigen Gesprächsmarathon ist alles unter Dach und Fach. Auf einer Pressekonferenz am Sonntagabend um halb acht im Altmarkt-Forum der Sparkasse in Dresden sagt Milbradt: „Die Sachsen-LB kommt aus stürmischer See in einen sicheren Hafen.“

Dass der Sturm erst richtig losbrechen sollte und der Hafen doch nicht so sicher war – das ist dann eine andere Geschichte.