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Die unanständige Gesellschaft

Das Kulturbüro Sachsen zeigt in einer Studie, wie rechtsextreme Strömungen Pegida und der AfD den Weg bereiteten.

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© T. Wolf

Von Franz Werfel

Sächsische Schweiz- Osterzgebirge. Es war eines der schlimmsten Verbrechen von Neonazis in der jüngeren Zeit: Beim Sonnenwendfest in Polenz verprügelten im Juni 2016 drei Männer aus Neustadt und Bad Schandau zwei Bulgaren und einen Deutschen. Ein Mann wurde lebensbedrohlich verletzt, er wird sein Leben lang an den schweren Folgen des Übergriffs leiden. Im September wurden zwei der Männer zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, einer bekam die zehnmonatige Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt.

Die schwierige Beweisaufnahme des Prozesses am Dresdner Landgericht hat die Referenten des Kulturbüros Sachsen beschäftigt. Das Büro arbeitet seit 2001 für die Kulturbildung in Sachsen und beobachtet die rechtsextremistische Szene im Freistaat. Zum vierten Mal hat es die Studie „Sachsen rechts unten“ herausgegeben. Diese wurde am Freitag in Dresden vorgestellt. „Um die Neonazi-Szene in Sachsen darzustellen, bräuchte man ganze Bücher“, sagt Michael Nattke, Fachreferent im Kulturbüro. Im Zuge des Polenztalprozesses sei eine angstgetriebene Schweigespirale auffällig gewesen. „Immer wieder sagten Zeugen dem Richter, dass sie Angst davor hätten, auszusagen“, bilanziert Referent Danilo Starosta. Den Richter und Prozessbeobachter habe es „erschüttert, wie einige unter den Augen der Öffentlichkeit solche Taten vollbringen konnten“. Richter Herbert Pröls prägte in dem Prozess den Begriff der „unanständigen Menschen“. Menschen, die nicht einschritten, als das Opfer mit offenem, blutüberströmten Schädel schon längst am Boden lag. Bürger, die ihre kleinen Kinder nicht vor dem grauenhaften Anblick der Schläger schützten.

Ein Ziel der neuen Studie ist es, die langjährigen Bezugslinien seit den 1990er-Jahren in der rechtsextremistischen Szene aufzuzeigen. „Nur weil die NPD an Einfluss verloren hat, sind die Leute ja nicht weg“, so Starosta. Gewandelt hätten sich die Bezeichnungen für die Organisationen – Teile der früheren Freien Kameraden, der NPD, der Jungen Nationalisten seien jetzt unter anderem bei Pegida, der Identitären Bewegung und auch in der AfD aktiv. Freie Verbindungen in alle Richtungen würden die Gruppierungen für verschiedene Plattformen öffnen – sei es beim Protest auf der Straße oder als AfD-Politiker oder -Mitarbeiter. „Wer sich vernetzt, ist schlagkräftig.“

Grenzen verschwimmen

In der Sächsischen Schweiz habe es seit der Wende nahezu kontinuierlich rechtsextreme Organisationen und rechtsradikale Gewalt gegeben. Für das Kulturbüro bleibt die „langjährige, unwidersprochene Institutionalisierung der Bewegung“ nicht folgenlos: NPD-Mitglieder oder der Partei nahestehende Personen hätten 2015 und 2016 gehäuft Anti-Asyl-Demonstrationen angemeldet.

Zudem verschiebe sich das Bewusstsein dafür, was sagbar und im gesellschaftlichen Miteinander geboten sei. Den neuen Rechten – dabei schließt das Kulturbüro die AfD in Sachsen mit ein – gehe es um eine revolutionäre Bewegung. Deshalb, so das Kulturbüro, scheine auch der Anschluss an Pegida sinnvoll – als verlängerter Protest auf der Straße. Die Grenzen zwischen Rechtsextremismus und Populismus verschwimmen.

Als Beispiel dafür nennt Danilo Starosta den politischen Aschermittwoch der Sachsen-AfD in Nentmannsdorf: „Welcher Bürger kann dort überhaupt laut sagen, dass ihn so eine Veranstaltung stört?“ Wenn sich die Gesellschaft polarisiere, sei das derzeit auf dem Land schneller und deutlicher zu spüren. Michael Nattke ergänzt, dass Neonazis in den vergangenen 15 Jahren dazugelernt hätten. „Sie vertreten neonazistische Positionen weniger, sondern versuchen eher, mit andockfähigen Positionen und Inhalten aktiv zu sein.“ Dadurch wollten sie mehrheitsfähig werden.

Mit Blick auf die mutmaßlich terroristische Vereinigung „Gruppe Freital“ stellt Danilo Starosta fest, dass das Vorgehen des Generalbundesanwalts die Szene beeindruckt habe. Die Kameradschaften dort seien vorerst zurückgedrängt. Der Prozess gegen die Gruppe Freital wird in Dresden Ende Februar fortgesetzt.

Die Broschüre „Sachsen rechts unten“ gibt es kostenfrei im Internet .