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Die Reblaus war nicht an allem schuld

Vor 110 Jahren wurden flächendeckend Weinberge gerodet. Fast wäre es das Aus für den Weinbau gewesen.

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© Sächsisches Weinbaumuseum

Von Ralf Hübner

Es ist die Stunde null des Meißner Weinbaus. Die Behörden erklären 1907, vor 110 Jahren, das sächsische Weinbaugebiet offiziell als von der Reblaus „unheilbar verseucht“. Sämtliche Aktionen zur Bekämpfung des Insekts wurden daraufhin eingestellt. Fast genau 20 Jahre zuvor war es am 19. August 1887 von einem Sachverständigen namens Lämmerhirt entdeckt worden. Um 11.54 Uhr hatte der Mann aus der Oberlößnitz in das Dresdner Innenministerium telegrafiert: „Heut auf königlichen Weinbergen in Hoflößnitz das Vorhandensein von der Reblaus festgestellt.“ Der gefürchtete Wein-Schädling, der 1860 von Nordamerika nach Südfrankreich eingeschleppt worden war, hatte Sachsen erreicht und fraß sich durch Wurzeln und Blätter. Eine jetzt rund 850-jährige Weinbaugeschichte drohte damals zu Ende zu gehen.

Vergeblich. Den Erfolg hat aber erst die Veredlung der Reben gebracht.
Vergeblich. Den Erfolg hat aber erst die Veredlung der Reben gebracht. © Sächsisches Weinbaumuseum

Der Legende nach soll Bischof Benno Anfang des 12. Jahrhunderts die ersten Reben nahe dem Meißner Burgberg gepflanzt haben. Auf einer Urkunde ist es allerdings Markgraf Otto der Reiche – nicht Benno – der 1161 erstmals mit dem Weinbau in Verbindung gebracht wird, als er einen Weinberg der Kapelle Sankt Egidien übereignet. Im Jahr 1195 erwirbt das Kloster Altzella das Dorf Zadel bei Meißen, um dort Weinbau zu betreiben. Danach mehren sich die Nachrichten zum Weinbau in Sachsen.

Vor allem ab dem 14. Jahrhundert wurde Wein auch abseits von Elbe und Elster gepflanzt. Senftenberg etwa galt einst als blühende Weinstadt. Das Weingut Hoflößnitz wurde 1401 durch Markgraf Wilhelm I. gegründet, 1403 wurden die Weinberge in Pillnitz erstmals erwähnt.

Schätzungen zufolge soll vor dem Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) auf rund 5000 Hektar Wein angebaut worden sein. Laut Weinbauverband war das die größte Ausdehnung des Weinbaus in Sachsen. Zum Vergleich: Aktuell sind es rund 460 Hektar. Als die Reblaus 1887 in Sachsen einfällt, hat der Weinbau in Sachsen die besten Jahre schon hinter sich. Misswuchs, Frost, Kriege ließen die Erträge schrumpfen. 1799 war deshalb die Sächsische Weinbaugesellschaft gegründet worden, die erste ihrer Art in Europa.

Nach 1850 ging es dann dennoch mit dem Wein immer weiter bergab. Auf Weinkrankheiten wie den Echten Mehltau und den Falschen Mehltau folgte die Reblaus. Um das kaum sichtbare Insekt zu bekämpfen, wurden ganze Weinberge gerodet. Die Rede ist von rund 70 000 Rebstöcken. Sie wurden zuvor mit Petroleum übergossen und verbrannt, der Boden mit Schwefelkohlenstoff desinfiziert.

Allerdings ist die Reblaus am Niedergang des Weinbaus wohl nicht allein schuldig. Angeblich sollen nur etwa acht Prozent der Weinbaufläche befallen gewesen sein. Doch die Regierung zahlte großzügig Rodungsgelder. Und so kam die Plage einigen Weinbauern wohl gerade recht, um unrentable Flächen frei zu machen. Diese waren bei vermögenden Dresdnern als Baugrundstücke heiß begehrt. Es wird angenommen, dass deshalb auch Flächen als „reblausbefallen“ deklariert wurden, bei denen das gar nicht der Fall war. Ganze Villenviertel entstanden auf Weinbaugebieten – Loschwitz, Wachwitz oder Oberlößnitz. 1914 wuchs auf nur noch 154 Hektar Wein.

Doch ebenfalls 1907 nahte Rettung, als in Diesbar-Seußlitz die ersten Weinberge mit veredelten Reben wieder aufgerebt wurden. Dabei wurden einheimische Weinsorten auf die Wurzeln amerikanischer Stöcke aufgepfropft, die gegen die Reblaus widerstandsfähiger sind. Vergessen ist die Reblaus indes nicht. Laut Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie gilt sie noch immer als sogenannter Quarantäne-Schadorganismus. Jeder Verdacht muss gemeldet werden. Den bisher letzten Fall gab es 2004, als bei einem Hobbywinzer in Pillnitz Rebläuse entdeckt wurden. Die Pflanze wurde vernichtet. Ein Verdachtsfall 2006 bestätigte sich nicht.