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Die Letzte auf dem Land

Denise Mouton-Mildner ist die einzige Hebamme für Hausgeburten in der Sächsischen Schweiz.

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© Norbert Millauer

Von Franz Werfel

Kurz nach der großen Flut im Jahr 2002 feierte Denise Mouton-Mildner ihre Premiere als Hausgeburtshebamme. „Das Telefonnetz war zusammengebrochen und viele Straßen gesperrt“, sagt die heute 49-Jährige. Damals wollte sie sich einer hochschwangeren Frau in Schmilka vorstellen und musste von Pirna über Gohrisch und Bad Schandau einen Weg finden. Als zwei Wochen später die Wehen einsetzten, half dem aufgeregten Vater der in Schmilka stationierte Bundesgrenzschutz. Auch bei den Beamten war das Telefonnetz ausgefallen. „Aber einer von ihnen konnte dem Mann sein Privathandy leihen“, sagt Mouton-Mildner. So konnte er die Hebamme rufen.

Es sind Geschichten wie diese, die Denise Mouton-Mildner so liebt an ihrem Beruf. Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ist sie mittlerweile die einzige Hebamme, die sich noch aufmacht, um Frauen bei einer Geburt in den eigenen vier Wänden zu unterstützen. „Klar gehört auch Abenteuerlust dazu, wenn man mitten im Winter eine Stunde lang mutterseelenallein durch einen dunklen Wald fährt und keinen Handyempfang hat.“ Seitdem sie diese Erfahrung einmal gemacht hat, legt sie sich im Winter immer Schneeketten in den Kofferraum.

Doch die gebürtige Dresdnerin, die in Struppen lebt, unternimmt diese Fahrten gern. „Nur bei Geburten bin ich mit meiner ganzen Kraft, Konzentration und Erfahrung gefordert“, sagt sie. Um sich diese Arbeit weiterhin zu gönnen, nimmt sie manche Widrigkeit in Kauf. „Zwei Wochen vor und zwei nach dem errechneten Entbindungstermin der Frauen bin ich in Rufbereitschaft.“ Dann bleibt ihr Handy Tag und Nacht eingeschaltet. Die zwei Wochen Familienurlaub im Sommer müssen genau geplant werden. Schon jetzt weiß sie, was auf sie zukommt. „Im Mai und Juni werde ich je zwei Frauen begleiten, im Juli drei, im August noch eine.“ Doch das ist alles nicht schlimm. Schwieriger ist es mit den ständig steigenden Haftpflichtbeiträgen für freiberufliche Hebammen, die nicht nur Kurse geben und Vor- und Nachsorge mit Frauen machen – sondern auch noch Geburten begleiten wollen. „Derzeit zahle ich gut 7 000 Euro im Jahr nur für die Versicherung“, sagt Denise Mouton-Mildner. Pro Geburt bekommt sie 650 Euro von der Krankenkasse, dazu noch 250 Euro für die vier Wochen Rufbereitschaft. Acht Geburten muss sie mitmachen, nur um die Versicherung reinzuholen. „Zwar bekommen Hebammen die Hälfte der Beiträge rückwirkend erstattet. Aber wir müssen für die Haftpflicht immer in Vorleistung gehen.“ Hausgeburten könnte sie ohne ihr Standbein, die Hebammenpraxis Pirnaer Tor, nicht mehr begleiten.

Mehr Liebeshormone

Die Haftpflicht ist vorgeschrieben, damit Mütter und Kinder abgesichert sind. Dabei nehmen Hausgeburtshebammen in der Regel sowieso nur Schwangere mit einem geringen Risiko an. „Ich musste zwar auch schon Frauen ins Krankenhaus verlegen, wenn es während der Geburt Probleme gab. Aber noch nie mit Blaulicht.“

In Deutschland will nur jede 50. Frau überhaupt zu Hause gebären. In der Region sind es sogar noch weniger als zwei Prozent aller Gebärenden. „Die Erkenntnis, dass Hausgeburten auch möglich sind, mussten wir im Osten erst wieder aufbauen. Das gab es so in der DDR nicht“, sagt Mouton-Mildner. Wenn Frauen ihr erstes Kind bekommen, trauen sie sich noch seltener, zu Hause zu bleiben. Oft würden auch Gynäkologen von einer Hausgeburt abraten. „Dabei ist das ein ganz natürlicher Ort“, sagt die Hebamme. „Geborgenheit und Sicherheit können die Frauen und Kinder am besten zu Hause erfahren.“ Neuere Studien würden belegen, dass Frauen, die daheim entbinden, unter der Geburt mehr Oxytocine, also Liebeshormone, ausstoßen. „Das macht die Geburt leichter“, sagt Mouton-Mildner. Die meisten Frauen gebären am liebsten im Wohnzimmer, aufgestützt auf die Sofakante. Es komme darauf an, dass die Frau ihren Lieblingsort bestimmt. Im Schlafzimmer und im Bad sei es oft zu kalt. „Bei Hausgeburten gebärt fast niemand im Liegen. Die Hocke ist die intuitivste und natürlichste Haltung.“

Wenn die Hausgeburten weit von Pirna entfernt stattfinden, übergibt Denise Mouton-Mildner die Nachsorge an eine Hebamme vor Ort. Durch die weiten Wege ist es ihr nicht möglich, diese zu übernehmen. „Dabei zu sein, wenn eine Familie sich kennenlernt und zusammenwächst, das erste Stillen zu begleiten – das ist etwas sehr Schönes. Das fehlt mir manchmal auch.“

Ein krasses Beispiel für das unterversorgte Land ist das einer erfahrenen Mutter aus Dippoldiswalde. „Vier Kinder hatte sie mit einer Kollegin daheim zur Welt gebracht.“ Die Kollegin hörte wegen der teuren Haftpflicht auf. „Die Frau wollte ihr fünftes Kind auf keinen Fall im Krankenhaus gebären. Sie hatte sich sogar schon eine Nabelschere gekauft, um das Baby notfalls selbst abzunabeln, wäre ich nicht eingesprungen.“ Weil sie nicht weiß, ob sie diese Arbeit bis zur Rente durchhält, würde sie sich schon jetzt über eine weitere Hausgeburtshebamme im Landkreis freuen.

Dabei müsse jeder selbst entscheiden, welcher Geburtsort zu einem passt. Missionieren will Denise Mouton-Mildner niemanden. Aber sie findet es bedauerlich, wie wenig Geburten wissenschaftlich untersucht sind. Deshalb ist sie – mit Blick auf die Forschung – froh, dass ab 2020 alle Nachwuchshebammen studieren müssen. „Zum Geburtsgeschehen können nur die Geburtshelferinnen selbst forschen. Bisher ist die normale Geburt wissenschaftlich total unterbelichtet.“

Die kleine Irma kam Anfang September 2002 in Schmilka übrigens gesund zu Hause zur Welt. Obwohl die Eltern nicht christlich waren, fragte die Kirchgemeinde, ob sie die frohe Kunde von der Kanzel verkünden dürfe. Als Hoffnungszeichen für die Schmilkaer inmitten einer schweren Zeit.