Merken

Der Stoff, aus dem die Götter sind

Pirnas Sandsteinwerker sprengen kolossale Blöcke aus der Wand – für mythische Figuren in Schlössern von Potsdam und Berlin.

Teilen
Folgen
NEU!
© Daniel Schäfer

Von Jörg Stock

Ist es nicht herrlich, zwischen lauter Gottheiten und Helden zu sein? Uwe Jahr schaut in die Runde: Himmelsvater Jupiter, Dichterpatron Apoll, Blütengöttin Flora. Und auf Hermes, dem Götterboten, sitzt er drauf. Ein ehrenwerter Kreis, den der Produktionsleiter der Sächsischen Sandsteinwerke da um sich hat. Er lacht, und zugleich schickt er einen Stoßseufzer in die kühle Morgenluft: „Wenn sie doch alle nur schon fertig wären!“

Im Steinbruch Neundorf wird ein überschwerer Sandstein auf Maß gebracht. Daraus entsteht Figurenschmuck für den Potsdamer Landtag. Terpsichore, die Göttin des Tanzes, im Modell (re.), ist eine der Kolossalfiguren, die im Sandsteinwerk hergestellt werden.
Im Steinbruch Neundorf wird ein überschwerer Sandstein auf Maß gebracht. Daraus entsteht Figurenschmuck für den Potsdamer Landtag. Terpsichore, die Göttin des Tanzes, im Modell (re.), ist eine der Kolossalfiguren, die im Sandsteinwerk hergestellt werden. © Daniel Schäfer

Es grollte öfter in diesem Sommer aus dem Steinbruch beim Pirnaer Örtchen Neundorf. Wohl ein Großauftrag für die Sandsteinwerke, so mutmaßten die Leute. Und sie hatten recht. Der rege Sprengbetrieb kündete von der Auferstehung griechischer und römischer Götter, verschiedener personifizierter Tugenden und einiger Heiliger. Die überlebensgroßen Gestalten sollen das neu errichtete Berliner Stadtschloss mit Humboldt Forum schmücken sowie das Landtagsschloss von Potsdam und die gleichfalls dort befindliche Alte Post, die jetzt ein Bankhaus ist. Insgesamt 36 Rohblöcke stellt das Pirnaer Sandsteinwerk dafür bereit, eine wahrhaft kolossale Aufgabe, mit Gewichten zwischen zwölf und fünfzehn Tonnen pro Exemplar.

Im Neundorfer Bruch wird die Mehrzahl der Riesensteine gewonnen. 26 Stück. Vierzehn davon sind für die einstige Berliner Hohenzollernresidenz vorgesehen, die seit 2013 an ihrem alten Platz, zur DDR-Zeit vom Palast der Republik besetzt, neu entsteht. Das Stadtschloss galt einmal als wichtigster weltlicher Barockbau nördlich der Alpen. Entsprechend raumgreifend ist seine Zierde. Jupiter, der Chef der Götterwelt, einst aufgestellt im berühmten Schlüterhof des Schlosses, ist drei Meter zehn hoch. Der Stein für das Werk wiegt über zwanzig Tonnen. Er muss noch im Bruch weiter behauen werden, damit man ihn überhaupt abtransportieren kann, ohne einen Kran zu bemühen.

Die Schlossbauer wollen Cottaer Sandstein haben. Einerseits, so erklärt Uwe Jahr, weil es das Material der historischen Vorbilder ist. Andererseits, weil der Stein feinkörnig ist, sich gut bearbeiten und ausformen lässt. Doch sind Blöcke von Götterformat nicht überall zu kriegen. Nur hier, im Steinbruch von Neundorf, haben die Sandsteinschichten eine derartige Mächtigkeit, dass die geforderten Maße hineinpassen. Und selbst dann kann jede Kluft, kann jede Laune der Natur das Werk noch durchkreuzen. Deshalb brauchen die Steinbrecher nicht nur Erfahrung und Augenmaß, sagt Uwe Jahr. „Ein bisschen gute Hoffnung ist auch immer dabei.“

Der Steinbruch, seit über 200 Jahren in Betrieb, strebt stufenartig zwischen Birken und Kiefern abwärts. Diese Stufen nennt man Bänke. Der Abbauort für die turmhohen Figurenklötze liegt auf der dritten Bank. Sie ist viereinhalb oder fünf Meter stark. Senkrechte Rillen an der Front verraten, wo die Sprengladungen zuvor gewirkt haben. Die Fläche ist fast makellos. So soll es sein. Gesprengt wird hier fast chirurgisch. „Wir wollen den Stein ja nicht kaputt machen“, sagt Uwe Jahr.

Die Gewinnung hat System. Mit ultraharten Bohrmeißeln wird parallel zur Bruchkante eine Reihe Löcher in den Stein gesenkt, so tief, dass die Bank ganz durchbohrt, die nächste Schichtfuge erreicht ist. Sprengladungen werden in die Löcher gesetzt, die Detonation löst die gesamte Steinscheibe einige Zentimeter vom Stock ab. Weitere Sprengungen zerlegen das große Segment in säulenartige Teilstücke.

Dafür sorgt Roland Eisoldt. Der gelernte Zimmermann arbeitet seit elf Jahren als Bruchspalter. Er bohrt und sprengt. Gerade hat er einen mächtigen Klotz fürs Potsdamer Landtagsschloss an Kopf und Fuß mit roten Sprengschnüren präpariert. Die Ladungen sollen überschüssiges Gestein entfernen, aber behutsam. Nicht jedes Loch, das Eisoldt gebohrt hat, ist mit Sprengstoff besetzt. Die leeren „Helferlöcher“ unterstützen den Stein beim Reißen.

In einiger Entfernung, gedeckt durch einen Brocken, schließt Roland Eisoldt die Kabel an seine Zündmaschine an. Er klappt die Gehörschützer auf die Ohren und bläst in seine rustikale Warntute – einmal lang, zweimal kurz. Dann zerreißt ein Knall die Stille über dem sandigen Kessel und ein Wölkchen grauen Rauchs kündet davon, dass wieder ein Rohling bereit ist für den Meißel des Bildhauers.

Der Radlader greift nun behutsam die grob auf Maß gebrachten Schwergewichte. Obwohl sie so massiv sind, dass die Hinterräder der Arbeitsmaschine fast in der Luft schweben, müssen sie behandelt werden wie rohe Eier. Keine Punktlasten, kein Druck auf die Kanten, sonst könnte es eine Absplitterung geben. Zwar beträgt die Reserve, der Bruchzoll, etwa zehn Zentimeter auf jeder Seite. Doch schlimmstenfalls ist auch das zu wenig. „Wenn man das Maß nicht mehr hat, dann hat man es eben nicht mehr“, sagt Uwe Jahr. Dann werden aus einem Götterklotz am Ende doch nur Fassadenplatten.

Mindestens drei Plastiken sollen in den Sandsteinwerken von Pirna-Rottwerndorf entstehen, darunter auch Jupiter, der Götterchef. Für den wollen die Steinbrecher sogar einen Reserveklotz zurechtlegen. Sicher ist sicher.