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Chemnitz als andauernde Bewährungsprobe

Für Ministerpräsident Michael Kretschmer sind die Ereignisse von Chemnitz eine Bewährungsprobe für den Freistaat Sachsen, die noch nicht überstanden ist. Und er sagt: „Wir brauchen den Zusammenhalt der Vernünftigen“.

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© dpa

Dresden. Die Ereignisse von Chemnitz haben Politik und Gesellschaft aufgerüttelt. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) spricht im Interview von einer Bewährungsprobe und „Zusammenhalt der Vernünftigen“:

Was bedeutet Chemnitz für die Politik in Sachsen?

Für den Freistaat war das eine Bewährungsprobe, die noch nicht überstanden ist. Es muss gelingen, statt Beschimpfungen und Anfeindungen wieder in eine vernünftige Diskussion zu kommen. Das ist allerdings angesichts von Stimmungsmache und Spaltungsversuchen schwierig. Und es ist wichtig, zwischen Rechtsextremen und normalen Bürgern zu trennen. Der Resonanzboden ist ein anderer als bei den Neonazi-Aufmärschen der 1990er Jahre. Wir müssen aufpassen, dass die Leute nicht das Gefühl haben, dass man über ihre Probleme nicht redet.

Welche Herausforderungen sehen Sie?

Es muss uns besser gelingen in Deutschland, den im Internet in Größenordnung kursierenden Verschwörungstheorien und Falschinformationen wirksam zu begegnen. Es ist ein Problem für die Demokratie, wenn man nicht mehr über die gleichen Dinge spricht und es Menschen gibt, die Dinge glauben und für Realität halten, die nicht den Tatsachen entsprechen. Wir haben in Chemnitz gesehen, dass Rechtsextremismus in einem Maße vorhanden ist, das auch Engagement aus der Mitte der Gesellschaft herausfordert. Ausländer, die beschimpft und angegriffen werden, brauchen den Schutz der Mehrheit in der Bevölkerung. Wir anständigen Menschen müssen uns vor sie stellen und einschreiten, bei Worten und Taten.

Was hat sich geändert, ist das Land vier Wochen danach anders?

Wir sind deutlich zusammengerückt, es gibt ein anderes Bewusstsein. Die Menschen, die ich seitdem getroffen habe, sind sehr vorsichtig miteinander umgegangen. Ich merke bei den Anständigen im Sinne von „jetzt erst recht“ das Bestreben, vernünftig miteinander umzugehen und denen, die mit so viel Zorn und Hass auf die Straße gehen, etwas entgegenzusetzen. Nicht gleich mit einer Gegendemo, sondern einfach mit anständigem Verhalten, und das macht mir eher Mut. Wir brauchen den Zusammenhalt der Vernünftigen.

Zeigt Ihr Aufruf gegen Rechtsextremismus Wirkung?

Wir gehen, entgegen der aus meiner Sicht immer wieder falschen Unterstellung, nicht leichtfertig mit dem Thema um. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Mehrheit der Menschen in Sachsen wie in anderen Bundesländern ein klares Koordinatensystem hat und weiß was geht und was nicht. Sie müssen stärker, hör- und sichtbarer werden, um den Einfluss dieser kleinen bösartigen Minderheit auf die Gesellschaft zu verhindern. Dass ungehemmt der Hitlergruß gezeigt wird und der Hass auf der Straße waren eine bittere Erfahrung. Wir haben gemerkt, dass Rechtsextremismus in der Vergangenheit nicht so in die Schranken gewiesen wurde, wie wir das wollen, und dass es das Engagement jedes Einzelnen ebenso braucht wie ein stärkeres Vorgehen gegen Fake News und Demagogie im Internet, auch bei den Behörden.

Was folgt aus Chemnitz für das Handeln der Regierung?

Wir sind uns einig, was wir machen wollen und müssen. Die Regierung kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn das Engagement auch aus der Mitte der Gesellschaft heraus getragen wird. Eine andere Aufgabe ist, die Probleme im Bereich der Migration zu benennen und zu lösen. Und ich möchte auch gern, dass Chemnitz, das ich für seine Entwicklung sehr bewundere und in der zupackende Menschen leben, nicht in Verruf kommt, weil es sich gut verkauft, wenn man ganze Städte an den Pranger stellt und es wieder um den Osten geht. Das werde ich nicht zulassen.