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Beleidigungen im Briefkasten

Görlitz hat mit Schlesien nichts zu tun. Das sagt Wolfgang Schubert, nicht jeder in der Stadt findet das offenbar gut.

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© Nikolai Schmidt

Von Matthias Klaus

Görlitz. Es sind kleine weiße Zettel, die Wolfgang Schubert in seinem Briefkasten findet. Drei waren es in der jüngeren Vergangenheit. So unschuldig die Schriftstücke auch aussehen, ihr Inhalt hat es in sich. Zitate: „Lass die Finger weg über Dein Geschmiere über Schlesien, Du Affe. Du willst Schlesier sein? Oder auch mal: „Arschloch!“ oder auch drohend: „Vielleicht stolperste mal, Du Knaller.“

Es sind anonyme Drohungen, Beleidigungen, mit denen sich Wolfgang Schubert konfrontiert sieht. Der Grund sind seine Thesen zu Görlitz, Schlesien und die Oberlausitz. Er schildert: „Jeder Schlesienbezug in Görlitz ist historisch und geografisch nicht haltbar.“ Das sagt Wolfgang Schubert, 1939 im nationalsozialistischen Gau Schlesien geboren, im Alter von sieben Jahren im Sommer 1946 aus Schlesien vertrieben und seit 2005 in der Oberlausitz ansässig. Oberlausitz, nicht Niederschlesien, wie er betont. In Leserbriefen an die SZ hatte er immer wieder seinen Standpunkt klargemacht, bekam auch entsprechende Erwiderungen. Der Schlesienbezug brach 1990 in Folge der politischen Wende aus einem überlieferten falschen Wissen aus der NS-Zeit oder aus welchen Gründen auch immer hervor, sagt Wolfgang Schubert. Und: „Die Geschichte wurde zuvor in beiden Teilen Deutschlands nicht richtig erklärt. Im Osten durfte man nicht über ,Schlesien’ reden, im Westen wurde Falsches gelehrt.“

In Görlitz leben vor allem Oberschlesier, die noch vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf der Flucht hier her kamen. „Später Geborene können also keine Schlesier mehr sein“, sagt Wolfgang Schubert. Sein Neffe, 1955 in Gladbeck geboren, fühle sich keinesfalls als Schlesier. „Mir persönlich ist es egal, was einer sein will, darf es aber anderen nicht absprechen“, so Wolfgang Schubert. Und weiter: „Da ich selbst noch zur Vertriebengeneration gehöre, bin und bleibe ich Schlesier, der in Sachsen aufwuchs und 2005 nach Görlitz in die Oberlausitz zog.“

Es ist nicht eine Meinung, seine „Ansicht“, wie es ihm zuweilen vorgehalten wird, die er habe, sondern ein Ergebnis von Studien, von Fakten. „Es ist alles in der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften nachlesbar. Man muss es nur machen und wollen“, sagt Wolfgang Schubert. Als er nach Görlitz kam, erinnert er sich, wurde er regelrecht überfallen mit dem Begriff „Niederschlesien“. „Man kann es den Leuten auch nicht übelnehmen, wenn sie es nicht anders kennen“, sagt Wolfgang Schubert.

Ein Kritiker der Ansichten Wolfgang Schuberts ist der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, Stephan Rauhut. Er hatte sich zuletzt in einem Gastbeitrag in der SZ zu dem Thema geäußert. Das Schlesische als Alleinstellungsmerkmal von Görlitz aufgeben oder verdrängen zu wollen, würde bedeuten, der Stadt nicht nur einen wesentlichen Teil der Identität zu nehmen, sondern ignoriert auch, dass ein wesentlicher Teil der Besucher gerade wegen des schlesischen Anteils der Stadt herkomme, heißt es darin. Niemand stelle dabei in Abrede, dass die Oberlausitztradition ein entscheidender Bestandteil der Vergangenheit und Gegenwart von Görlitz sei.

„Da 1945 der westlich der Lausitzer Neiße gelegene Teil der Oberlausitz wieder zu Sachsen kam, kann man es doch nicht als deutsches Restschlesien bezeichnen“, so Wolfgang Schubert. 30 Prozent östlich des Flusses, sowohl vorher sächsischer als auch preußischer Teil, wurden polnisch. „So gehört eben der schlesische Adler am Reichenbacher Turm, 1937 als NS-Herrschaftszeichen angebracht, nicht dorthin. Für die Zeit Preußens steht in richtiger Weise das preußische Wappen an der Südseite des Turms“, schildert Wolfgang Schubert. Nicht richtig sei es zudem, dass an öffentlichen Gebäuden bei Beflaggung und im Ratssaal in Görlitz ständig die Fahne von Niederschlesien gezeigt werde.

Hans Klecker, Oberlausitzer Urgestein, winkt bei diesem Thema nur ab. „Ich rege mich darüber nicht mehr auf“, sagt er. Wer meine, Schlesier zu sein, müsse das eben tun. Hans Klecker organisiert derzeit den Tag der Oberlausitz. Über 40 Anmeldungen liegen für den 21. August schon vor, den Tag, als sich im Jahr 1346 sich die Städte Bautzen, Görlitz, Kamenz, Lauban, Löbau und Zittau zum Oberlausitzer Sechsstädtebund zusammengeschlossen haben. „Ob nun Schlesien oder Oberlausitz – für viele Menschen, die ich kenne, ist das alles hier einfach Heimat“, sagt Hans Klecker.

Wolfgang Schubert sieht die Beleidigungen gegen ihn derweil entspannt. Anzeige will er nicht erstatten. „Warum auch? Ich streite mich nicht mit anderen älteren Leuten vor Gericht herum“, sagt er.