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Auf der Suche nach der echten Frischen

Viele Kunden wünschen sich wieder mehr traditionell hergestellte Milch. Doch die gibt es kaum noch in Sachsen.

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© ronaldbonss.com

Von Martina Hahn

Wenn Johanna Arnold einkaufen geht, kehrt sie meist ohne Milch zurück. „Ich vermisse die frische, einfach nur pasteurisierte Milch in unseren Geschäften“, sagt die ehemalige Lehrerin aus Pirna.

„Länger haltbar“ steht für ESL-Milch.
„Länger haltbar“ steht für ESL-Milch. © Matthias Rietschel
„Traditionell hergestellt“ heißt frisch.
„Traditionell hergestellt“ heißt frisch. © Matthias Rietschel

Mit dieser Kritik ist sie nicht allein. Wer heute im Discounter nach der klassischen Frischmilch Ausschau hält, sucht vergebens. Im Kühlregal von Lidl, Aldi, Penny oder Netto Marken-Discount, aber auch bei Kaufhof in Chemnitz und in allen sächsischen Filialen von Kaufland findet sich nur noch sogenannte ESL-Milch mit dem Hinweis „länger haltbar“ auf dem Tetrapack. Das ergab eine Händlerumfrage der Sächsischen Zeitung. ESL steht dabei für extended shelf life. Eine solche Milch verdirbt ungeöffnet bis zu vier Wochen nicht.

Pasteurisierte Frischmilch hingegen gibt es teils aus der Region, teils in der Glasflasche und teils als Eigenmarke nur noch bei wenigen Anbietern und in geringen Mengen: unter anderem bei Rewe, Karstadt, im Konsum Dresden, in der Bio Company, der VG Dresden, in manchen Edeka-Filialen, im Vorwerk Podemus sowie in Öko-Hofläden wie dem Pfarrgut Taubenheim oder Hof Mahlitzsch. Erkennbar ist sie am Hinweis „traditionell hergestellt“. Auf diese freiwillige Kennzeichnung hatte sich die Milchindustrie vor zehn Jahren unter Druck von Verbraucherschützern eingelassen. Denn vorher wurde Konsumenten heimlich immer mehr ESL-Milch untergeschoben, ohne dass diese das erfuhren.

Manch einer wunderte sich damals, dass Milch aus dem Kühlregal plötzlich so lange haltbar war. Hersteller und Handel bewarben die Milch nun als „länger frisch“, „maxifrisch“ oder „extra langer Frischgenuss“. Einigen fiel auch die leichte Kochnote im Geschmack auf, die die neue Milch aus dem Kühlregal ähnlich einer H-Milch hatte. Kein Wunder: „ESL-Milch ist ein Mittelding zwischen Frischmilch und der meist billigeren ultrahocherhitzten H-Milch“, sagt Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg. Die Ernährungsexpertin hat nichts gegen ESL-Milch. Sie dürfe nur nicht als Frischmilch gekennzeichnet werden: „Vier Wochen haltbar, hoch erhitzt und industriell bearbeitet – das hat nichts mehr mit frischer Milch zu tun.“ Slowfood Hamburg findet noch drastischere Worte: ESL-Milch als Frischmilch zu verkaufen, sei „grobe Verbrauchertäuschung“, so die Organisation in ihrem Aufruf „Rettet die Milch“: „Sowenig wie Milch aus dem Flachland als Alpenmilch verkauft werden darf, sowenig darf alte Milch als frische verkauft werden.“

Lebensmittelrechtlich gilt ESL-Milch dennoch als Frischmilch, bedauern die Verbraucherschützer. Erst bei einer Behandlung ab 135 Grad Celsius gilt Milch als ultrahocherhitzt. Doch weil die ESL-Milch im Kühlregal steht, kennen bis heute die wenigsten den Unterschied. Somit, so Slowfood, „geht der schleichende Etikettenschwindel weiter.“

Dabei unterscheiden sich beide Verfahren erheblich: „Traditionell hergestellt“ bedeutet, dass die Milch kurz 15 bis 30 Sekunden auf 71 Grad bis 75 Grad erwärmt, damit pasteurisiert und sieben bis zehn Tage im Kühlschrank haltbar gemacht wird. Der Vitaminverlust gegenüber Rohmilch von fünf Prozent ist laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) gering.

Hingegen bedeutet „länger haltbar“, dass die Milch über zwei Verfahren haltbar gemacht wird. Zum einen über Mikrofiltration, zum anderen über Erhitzen auf 120 bis 130 Grad Celsius, und das ein bis fünf Sekunden lang. Das tötet Keime ab, die die Milch verderben, aber auch bis zu 30 Prozent der in der Milch enthaltenen Vitamine. Kalzium- und Proteingehalt bleiben unverändert.

Für den Handel und die Molkereien hat ESL-Milch mehrere Vorteile. Sie lässt sich länger lagern. Das verringert die Verluste der Konzerne, die auf dem übersättigten Milchmarkt miteinander konkurrieren. Zudem kann die Branche nun Milch über lange Strecken transportieren. Auch deswegen produziert die Molkerei Sachsenmilch in Leppersdorf gar keine „traditionell hergestellte“-Frischmilch mehr. Zu groß sei bei ESL der „hohe Zusatznutzen in Bezug auf Haltbarkeit und Vorratshaltung“.

Alternative Milchtankstelle

Fragt man Hersteller und Handel, warum ESL-Milch die pasteurisierte Frischmilch praktisch aus dem Supermarkt verdrängt hat, ist der Tenor immer der derselbe: „Weil Kunden gerne auf die länger haltbare Milch zurückgreifen“, sagt etwa Aldi-Sprecherin Anna Steinweger. Einen „Mehrwert“ durch die „deutlich verlängerte Haltbarkeit“ sieht auch Andreas Krämer, Sprecher für die Rewe Group und damit auch für Penny. Länger haltbare Milch reduziere zudem Milch-Müll: Was wegen des Mindesthaltbarkeitsdatums von nur wenigen Tagen nicht verkauft wird, müsse nicht mehr entsorgt werden, so Christina Stylianou von Netto Marken-Discount.

Tatsächlich gibt es „Stammkunden für jede Art von Milch – auch für die länger haltbare“, hat Julia Falk vom Dresdner Ökohof Vorwerk Podemus beobachtet. Mehr ELS-Milch statt traditioneller Milch – das werde auch bei Rewe und Penny so bleiben, sagt Konzernsprecher Krämer: „Auf Basis der aktuellen Kundennachtfrage sehen wir derzeit keine Veranlassung, unser Sortiment zu ändern.“

Es gibt aber auch Märkte, die ihr Angebot an traditionell hergestellter Milch wieder erweitern. Etliche Edeka-Filialen beispielsweise oder die Ökoläden der VG Dresden. Dort spiele ELS-Milch „gar keine Rolle“, so Vorstand Peter Jacobi. Auch Manuel Pundt von der Bio Company beobachtet „eine Tendenz zu traditionell hergestellter Frischmilch“. Sein Unternehmen macht zwei Drittel seines Frischmilchumsatzes mit der klassischen Frischmilch.

Eine andere Alternative sind die Milchzapfautomaten mit frischer, völlig unbehandelter Kuhmilch. Mehr als 40 solcher sogenannten Milchtankstellen gibt es bereits in Sachsen. Einige stehen direkt neben dem Stall, sie enthalten Rohmilch. Andere gibt es in einigen Supermärkten mit Vorzugsmilch, also der leicht filtrierten Rohmilch, die binnen 24 Stunden verkauft werden muss.

Etwa bei Edeka in Wilsdruff. Dort zapft Yvonne Hanschke die Milch für ihre Familie selbst aus dem Milchautomaten in eine Flasche ab, die sie einmalig gekauft hat. Jeden Morgen um halb sieben wird die Milch angeliefert, 400 Liter pro Woche, sie kommt vom Hof Flade, einem Milchviehbetrieb, keine sechs Kilometer entfernt. Der Landwirt bringt den vollen Tank und nimmt den leeren wieder mit, um ihn zu reinigen. Außerdem reinigt sich der Automat nach drei Flaschenfüllungen selbst, auch alle Schläuche. Und ein Computer meldet dem Hof Füllstand und Kühltemperatur. Die Hygiene ist bei Milchtankstellen besonders wichtig. Immer wieder finden amtliche Kontrolleure mikrobiologische Probleme. So mussten sie im vergangenen Jahr fast ein Drittel der Milch-ab-Hof-Proben beanstanden.

Yvonne Hanschke kocht deshalb die frische Milch zu Hause ab. 1,20 Euro zahlt sie für den selbst gezapften Liter – „das ist weniger als die Markenmilch in meinem Laden kostet“, sagt Patrick Müller, Inhaber des Edeka-Marktes. Das Geld bekommt zu 100 Prozent der Milchbauer. „Ich profitiere trotzdem davon“, sagt Müller. „Denn ich habe dadurch neue Kunden gewonnen.“

Frischmilch vom Bauern und Milchtankstellen in der Region: www.milchtankstellen.com, www.slb-dresden.de

Am Freitag Teil 4: Was ist bei Bio-Milch anders?