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Alles auf eine Karte gesetzt

Mit Ansichtskarten wurde die Familie Brück & Sohn weltberühmt. Nach 225 Jahren steht eine schwierige Entscheidung an.

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© Claudia Hübschmann

Von Dominique Bielmeier

Die kleine Annette war erst vier oder fünf Jahre alt, als sie beschloss, in das Unternehmen ihres Vaters einzusteigen. „Er und mein Opa müssen mir irgendwas eingepflanzt haben“, sagt Annette Brück heute, mittlerweile 62, und lacht. Doch damals war ihr überhaupt nicht zum Lachen zumute: Die Kunden, die sie an der riesigen Theke in der Burgstraße 1 in Meißen so gerne bedient hätte, ignorierten den Knirps einfach – selbst, nachdem sie sich auf eine Fußbank gestellt hatte.

1885 begann Otto Julius als einer der ersten Verleger weltweit Ansichtskarten herzustellen.
1885 begann Otto Julius als einer der ersten Verleger weltweit Ansichtskarten herzustellen. © privat
Heute ist die Verlegerfamilie vor allem durch ihre Adventskalender mit historischen Stadtansichten bekannt.
Heute ist die Verlegerfamilie vor allem durch ihre Adventskalender mit historischen Stadtansichten bekannt. © privat
Dietmar Brück nahm das Geschäft mit Ansichtskarten nach dem Krieg wieder auf und ergänzte das Sortiment u. a. mit solchen Glückwunschklappkarten.
Dietmar Brück nahm das Geschäft mit Ansichtskarten nach dem Krieg wieder auf und ergänzte das Sortiment u. a. mit solchen Glückwunschklappkarten. © privat

Ihr Vater aber merkte schnell, wie sehr sich seine Tochter, die zwischen Kisten von Ansichtskarten und Papieren aufgewachsen war, für das Unternehmen Brück & Sohn interessierte. „Aber er wusste nie, ob er mir die Firma übergeben darf, aus politischen Gründen“, erklärt Annette Brück.

Die sozialistische Planwirtschaft in der DDR ist nur eine von vielen schwierigen Etappen, welche die Verlegerfamilie in mittlerweile 225 Jahren Unternehmensgeschichte meistern musste: Otto Julius Brück, Enkel des Firmengründers Carl Friedrich August, zog als Mitglied der Meißner Kommunalgarde im Jahr 1849 als Revolutionsteilnehmer nach Dresden. Dessen Enkel Wilhelm Walter Brück musste die Firma durch zwei Weltkriege, eine Weltwirtschaftskrise und Inflation führen. Dietmar Ernst Albrecht Brück, Annette Brücks Vater, kämpfte schließlich gegen die Verstaatlichungsversuche in der DDR – mit Erfolg. „Weil wir keine eigenen Produktionsmittel hatten, galten wir nicht als Kapitalisten“, so Annette Brück.

Die 62-Jährige muss kurz überlegen, in welcher Verbindung sie zum Gründer steht, zählt Vater, Großvater, Urgroßvater an den Fingern zurück: Ja, wirklich, Carl Friedrich August Brück war ihr Ururururgroßvater. Sie ist die siebte Generation, die das Unternehmen führt. Doch beinahe wäre es nie dazu gekommen.

„1986 hatte der Staat wieder eine tolle Idee“, erzählt Annette Brück: „Privat geführte Verlage dürfen nicht weitergegeben werden.“ Ihr Vater ist damals schon krank und plant, die Firma an seine Tochter zu übergeben. Kurzerhand geht er zum Kultusministerium und erklärt: Ich kann nicht mehr. Wenn meine Tochter das nicht übernehmen kann, habt ihr auch keine Devisen mehr, dann ist Schluss. Worauf das Ministerium sagt: Aber das gilt doch nicht für Sie, Herr Brück! Und so übernimmt Annette Brück mit Anfang 30 die Geschäfte, zwei Jahre vor der Wende.

„Ich habe mir die Nase platt gedrückt in der Zeit“, sagt sie über ihre damaligen Besuche auf der Frankfurter Messe. Denn dort sieht sie die Waren, die sie für den Laden in der Burgstraße so gerne hätte, die aber unerreichbar sind. Noch. „Denn auf einmal waren die Schleusen offen und das war meine Chance, mich zu verwirklichen.“

Annette Brücks Steckenpferd bleibt das Ladengeschäft – zum Trotz ihres Vaters, der sie am liebsten in den Verlag geholt hätte. Diesen führt er inzwischen mit seinem Schwiegersohn Helmut, der für die Firma nicht nur den Nachnamen seiner Frau angenommen hat. Für sie zieht er auch von Berlin nach Meißen und macht ein „Frauensonderstudium“, um in die Firma einsteigen zu können. Als einziger Mann in seiner Klasse.

„Als wir uns kennengelernt haben, ging alles sehr schnell“, erzählt Helmut Brück. Das war Ende der Siebziger in Berlin, Helmut verkauft damals Eis beim Zirkus und will eine Kneipe eröffnen. Mit einem Freund geht er eines Abends zum Tanz – „Zigarette im Mundwinkel und cool bis in die Fußspitzen“, beschreibt er seinen Auftritt von damals. „Da hat sie sich gesagt: Auf den habe ich gewartet.“ Die junge Frau fasst sich ein Herz und fordert ihn zum Tanzen auf. „Das hat ihn so beeindruckt, dass er 40 Jahre lang bei mir geblieben ist“, sagt Annette Brück und grinst. Kein Jahr später heiraten die beiden, bald folgen zwei Kinder, Franz und Anna.

Nicht nur die Beziehung steht jedoch auf der Kippe, als Annette Brück schließlich in die Firma einsteigt und alles umkrempelt. Sie will das Haus komplett entkernen und den Laden von 60 auf 220 Quadratmeter vergrößern, natürlich nur mit modernsten Möbeln. „Aber ihr Vater war der erfahrene Kaufmann und sagte: Wenn ihr hier eine Million D-Mark investiert – das könnt ihr nie zurückzahlen, ihr geht baden!“, sagt Helmut Brück. Seine Frau wagt es dennoch, stellt sich gegen Vater und Ehemann. Dann erhält sie die erwartete Förderung über 40 Prozent nicht. „Da hatte ich meinen großen Zusammenbruch, denn es war ja alles schon angeschoben.“ In letzter Minute kommt eine neue Gesetzgebung: Investitionen wie diese können bis zu 50 Prozent sonderabgeschrieben werden. „Damit war ich gerettet!“

Das Gespür der Chefin wird sich noch häufiger als Rettung des Unternehmens erweisen. Mitte der Neunziger ist der Boom der Wendezeit vorbei, die Nachfrage sinkt. Da fällt Annette Brück ein Adventskalender in die Hände, den ihr Vater im Jahr ihrer Geburt gemacht hat. Heute hängt er im Stadtmuseum Meißen, das in diesen Tagen eine Ausstellung zum Jubiläum der Verlegerfamilie zeigt. „Ich liebäugelte damals schon länger damit, eigene Adventskalender zu machen.“ 1998 gibt Annette Brück eine historische Ansicht der Frauenkirche in Dresden heraus. „Das war gigantisch, das haben die Leute uns aus den Händen gerissen!“ Heute trägt das Geschäft mit den Kalendern das gesamte Unternehmen.

Die Firma steht noch immer gut da, sagt die Chefin, auch wenn der Verlag, der ins Triebischtal ausgelagert wurde, irgendwann zurück auf die Burgstraße zog, und der Laden, der wieder deutlich schrumpfen musste, durch eine Mieterin „gegen die Wand gefahren“ wurde und heute geschlossen ist. Wie ihr Vater, ihr Großvater und deren Väter zuvor hatte Annette Brück eigentlich davon geträumt, das Unternehmen an die nächste Generation weiterzugeben. Doch ihre Kinder Franz und Anna haben andere Wege eingeschlagen, und so steht Brück & Sohn heute vor dem Verkauf.

Bis Ende des Monats soll eine Entscheidung fallen. Diese könnte im schlechtesten Fall sogar das Ende einer langen, erfolgreichen Firmengeschichte bedeuten. Annette Brück hat inzwischen ihren Frieden damit gemacht. „Die Sieben ist eine biblische Zahl“, sagt sie. „Nach der siebten Generation darf ruhig etwas Neues geschehen.“