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Zwischen Notwehr und Selbstjustiz

Zwei Großenhainer wollen eine Verwandte vor Nachstellungen schützen und landen nun selbst auf der Anklagebank.

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© dpa

Von Manfred Müller

Großenhain. Manchmal ist es nicht angebracht, die Buchstaben des Gesetzes bis zum letzten auszureizen. So im Falle von zwei Männern aus Großenhain, dem Bruder und dem Onkel einer Frau, die von ihrem Ex belästigt wurde. Dieser traktierte seine ehemalige Freundin über Jahre mit obszönen Kurzmitteilungen und Briefen.

Er stand deshalb mehrfach vor Gericht (die SZ berichtete) und wurde letztlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Bis es dazu kam, sandte er dutzendfach widerliche Botschaften sexuellen Inhalts nicht nur an das Opfer, sondern auch an ihren Bruder, Freunde und Bekannte. Und er bedrohte in seinem überbordenden Trennungsschmerz wohl auch die Familie der Großenhainerin. Er sei schließlich Kraftfahrer, so eine Drohung, und wenn er den Betreffenden auf der Straße begegne, könne er ja mal das Lenkrad einschlagen.

Irgendwann wurde es den Mitgliedern des betroffenen Familienclans zuviel. Beim Großenhainer Biergartenfest im Jahr 2016 beschlossen Bruder und Onkel ziemlich angetrunken, den Ex-Partner zur Rede zu stellen. Sie suchten ihn abends in seiner Wohnung auf, und über das, was nun passierte, gehen die Aussagen der Streitparteien weit auseinander. Die ungebetenen Besucher hätten die Tür eingedrückt und ihn geschlagen und getreten, behauptet der eine. Er habe Prellungen am ganzen Körper davongetragen.

Nein, die Tür sei ganz normal geöffnet worden und erst im Laufe der Auseinandersetzung kaputtgegangen, so der Bruder des Stalking-Opfers. Fakt ist, dass sich die beiden auf dem Boden wälzten und von einem Bekannten des Wohnungsinhabers getrennt wurden. Ein paar Monate später kam es zu einem weiteren Treffen. Der Ex der Großenhainerin suchte nun ihren Bruder auf. Er sei dorthin gelockt worden, behauptet er, weil er eine finanzielle Forderung beglichen bekommen sollte. Nein, erklärt sein Kontrahent, der Mann sei eindeutig in aggressiver Absicht gekommen. Habe er doch vorher angedroht, so lange auf ihn einzuschlagen, bis er sein Gesicht nicht wiedererkenne. Um sich vor einem Angriff zu schützen, hatte der 37-Jährige einen Teleskopschlagstock unter seinem Bett deponiert. Als er mitbekam, dass sein Gegner das Grundstück betrat und lautstark auf sich aufmerksam machte, ging er mit dem Stock nach draußen und schlug zu. Er traf den Besucher wohl am Kopf, so dass dieser zu Boden ging. Danach rief der Wohnungsinhaber die Polizei. Als er anschließend eine Decke auf den am Boden Liegenden breiten wollte, sei dieser aufgesprungen und habe ihn zusammengeschlagen. Die Benutzung der Waffe allerdings brachte dem Großenhainer eine Anklage wegen schwerer Körperverletzung ein.

Wer hat nun angegriffen und wer sich verteidigt? Was ist als Notwehr zu bewerten und was als Selbstjustiz? Für die Justiz keine leichte Aufgabe. Das Gericht muss auch die sich über vier Jahre währende hartnäckige Belästigung der betroffenen Großenhainerin und ihrer Familie ins Kalkül einbeziehen. Und die Verzweiflung, die das zur Folge hatte. Denn der Ex-Partner hatte trotz einer bereits erfolgten Verurteilung nicht von seinem Tun abgelassen. Er hielt sich zwar an das Verbot, die Geschädigte aufzusuchen, beschimpfte sie aber weiterhin per Kurzmitteilung und über soziale Netzwerke. Deshalb war auch die Polizei machtlos. Sie empfahl der Geschädigten sogar, einen Wohnortwechsel in Betracht zu ziehen.

In Anbetracht der Zwangslage der betroffenen Familie stellt Richter Herbert Zapf das Verfahren sowohl gegen Onkel als auch gegen den Bruder der Großenhainerin ein. Allerdings bekommen beide die Ermahnung, künftig darauf zu verzichten, die Sache selbst in die Hand nehmen zu wollen. Schließlich sei der Ex-Partner im vergangenen Dezember zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Sollte er mit seinen Beschimpfungen fortfahren, wandert er für zwei Jahre ins Gefängnis. Auf eine Zeugenaussage des SMS-Stalkers verzichtet das Gericht.

Bevor die Familie den Verhandlungssaal verlässt, wird er allerdings von einem Sicherheitsmann ans andere Ende des Riesaer Justizgebäudes eskortiert. Einen Show-down, sagt Richter Herbert Zapf, könne er nun wirklich nicht gebrauchen.