Merken

Zwillinge sind für die Kasse ein zu großes Risiko

Weil sie als Frühchen geboren sind, will die Krankenkasse zwei Babys keinen kompletten Schutz gewähren.

Teilen
Folgen

Von Birgit Ulbricht

Abby ningelt herum. Sie wird immer unruhiger. Zeit für ein Fläschchen. Sandy Dippmar nimmt ihre Kleine aus dem Stubenwagen, sie verschwindet fast in ihren Armen. Denn Abby ist zarte neun Wochen alt und als Frühchen am 3. August in der Uniklinik zur Welt gekommen. So wie ihre Zwillingsschwester Amy, die ruhig im Stubenwagen vor sich hin schlummert. Beide haben ihr Gewicht schon verdoppelt und legen ordentlich los, um aufzuholen. Für die Eltern Sandy und Frank Dippmar aus dem Großenhainer Ortsteil Rostig sind sie der ganze Stolz, und natürlich für Oma Petra Wegner, die gerade die Flasche herüberreicht. Alle strahlen.

Dabei sitzt der Familie noch der Schreck in den Knochen. Denn gerade in den ersten Wochen als Frühchen, in denen Amy und Abby so viel Fürsorge brauchen, scheinen sie schutzlos – ohne Versicherungsschutz. Wie es dazu kommen konnte, ist schnell erzählt. Was dann daraus wurde, ist schon schwieriger: Vater Frank Dippmar ist selbstständig und seit über 15 Jahren bei der Bayerischen Beamtenkasse privat versichert. Die gesetzliche Krankenkasse von Sandy Dippmar lehnte es mit Verweis auf eben diese Selbstständigkeit ab, die Zwillinge bei ihr mit familienzuversichern.

Nur notwendige Heilbehandlungen

Als diese Ablehnung kam, zeigte der Kalender bereits den 17. September. Frank Dippmar machte sich sofort auf zu seinem Versicherungsmakler in Dresden. Der sah auch gar kein Problem, die Kinder privat zu versichern. Amy und Abby erhielten völlig korrekt denselben Tarif wie der Vater, weil gilt: Mitversicherte dürfen nicht besser gestellt sein als der Versicherungsnehmer. Nun hatte Vater Frank vor 15 Jahren aber als Selbstständiger den Einstiegstarif gewählt – wie sich bald herausstellte, waren darin keine Impfungen für die Mädchen versichert, weil sie „keine medizinisch notwendigen Heilbehandlungen nach Krankheit oder Unfall sind“, so Michael Lehner, Sprecher der Beamtenkasse.

Frank Dippmar wollte sofort in einen besseren, höheren Tarif wechseln – und musste dafür Gesundheitsfragen beantworten. Erst hier sei herausgekommen, dass Amy und Abby Frühchen sind, sagt die Zentrale der Kasse in München. Die Versicherung lehnte ab. Dem Makler vor Ort sei das doch bekannt gewesen, widerspricht Frank Dippmar. Möglicherweise war genau das der Knackpunkt. Der Makler ist für eine Nachfrage telefonisch nicht erreichbar.

Aus München lenkt man nun ein. Den Dippmars wurde nach Bekanntwerden des Falls immerhin schriftlich einmalige Kulanz für die ersten Impfungen zugesichert. Sie bekommen die Kosten für die RSV-Schutzimpfung erstattet. „Da bin ich erst einmal heilfroh“, sagt die junge Mutter.

Denn bei der RSV-Impfung geht es nicht nur um 70 Euro wie bei anderen Standardimpfungen. Ein Pikser gegen gefürchtete Erreger von Lungenentzündungen, für die gerade Frühchen anfällig sind, kostet 1 200 Euro. Das mal zwei und den Kinderarztbesuch dazugerechnet und in sechs Monaten mehrmals – da kommt eine Summe zusammen. Doch damit ist längst nichts geklärt. Denn Dippmars bekommen auch mitgeteilt, dass sie frühestens wenn die Mädchen fünf Jahre alt sind, mit einer erneuten Gesundheitsprüfung vorstellig werden können, und dass „die Kinder aufgrund Frühgeburt keinen Versicherungsschutz bei einer anderen privaten Krankenkasse erhalten werden“. Der Satz ist extra unterstrichen. Tatsächlich sind die Blogs zu Frühchen im Internet zu diesem Thema voll, der Tenor ist immer derselbe: Meine Krankenkasse zahlt nicht. Was soll ich tun?

Den Grund teilt die Beamtenkasse der SZ mit. „Auch bei zunächst gesund erscheinenden Kindern sind Entwicklungsdefizite häufiger als bei Termingeburten. In erster Linie sind die Kosten für Ergo- und Physiotherapie relevant“, schreibt Michael Lehner, Sprecher der Beamtenkasse. „Dazu kommen häufigere Arzt- und Krankenhausaufenthalte und Medikamentenkosten.“ Und weiter: „Nachdem bei Frühgeburten versicherungstechnisch Spätschäden nicht auszuschließen sind und damit das Risiko nicht einschätzbar ist, erfolgte eine Ablehnung des höheren Tarifs.“ Wie gesagt, nach fünf Jahren „Beobachtungszeit“ – so wörtlich – könnten Dippmars noch einmal vorstellig werden.

Die haben die Notbremse gezogen. Abby und Amy sind bei der Mutter versichert – aber freiwillig gesetzlich und für den doppelten Betrag pro Kind wie vorher. „Es hilft ja nichts, aber ich ärgere mich“, sagt Frank Dippmar. Abby und Amy schlafen inzwischen wieder friedlich. Ein Blick in den Stubenwagen bringt jeden zum Lächeln.