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Zurück ins 19. Jahrhundert

Die Schloßbergschule ist vor 150 Jahren aus Platzmangel gebaut worden. Und zu eng ist es dort wieder.

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© André Braun

Von Jens Hoyer

Döbeln. Sportlehrer Norbert Handtke spielte den Zuchtmeister und brüllte dröhnend über den Platz: „Brust raus, Bauch rein, Ordnung!“ Ob es sich wirklich so abgespielt hat vor 150 Jahren, das darf bezweifelt werden.

Fortbewegung wie vor 150 Jahren: Die Schloßbergschüler sind in ihrer Projektwoche mit der Döbelner Pferdebahn gefahren.
Fortbewegung wie vor 150 Jahren: Die Schloßbergschüler sind in ihrer Projektwoche mit der Döbelner Pferdebahn gefahren. © André Braun

Für die Schüler der Schloßbergschule war es jedenfalls ein großes Gaudi. Am Freitag ist die Grundsteinlegung für die älteste der Döbelner Schulen nachgestellt worden, mit Jörn Hänsel vom Miskus als Bürgermeister Ernst Heinrich Thiele. Am 26. August 1867 wurde symbolische mit dem Bau der Schule begonnen. Damals waren die Jungen- und die Mädchenschule an der Nicolaikirche zu klein geworden für das aufstrebende Döbeln. Auf dem Schloßberg sollte die neue Bürgerschule stehen und selbst wie ein Schloss aussehen.

In der Schule gab es 20 Schulräume auf drei Etagen. Bis heute hat sich daran nicht viel geändert, nur dass die langen Gänge jetzt durch neue Brandschutztüren abgetrennt sind, und dass sich als Zugeständnis an moderne Zeiten eine ziemlich unschöne Kabelbahn an der Decke entlang zieht. Außen wurde die Schule saniert. Innen noch nicht.

Seit 19 Jahren ist die Döbelner Lernförderschule auf dem Schloßberg untergebracht. 180 Kinder in 13 Klassen werden unterrichtet – und damit ist die Schule rappelvoll. Eigentlich zu voll, wie der stellvertretende Schulleiter Dirk Polster sagte. „Das sind Kinder mit individuellem Förderbedarf. Da braucht man auch mal einen Raum, wo man mit einer kleineren Gruppe arbeiten kann. Es fehlen auch Rückzugsräume.“

Der Schulchor probe in der Sporthalle, die keine Sporthalle mehr ist, weil sie aufgrund der baulichen Mängel für den Sportunterricht gesperrt wurde. Kinder, die angemeldet werden sollen, müssten regelmäßig zu den Förderschulen in Roßwein und Waldheim weitergeschickt werden, weil die Klassen in Döbeln voll sind, so Schulleiterin Dagmar Dettke. Bisher hat die Stadt noch keine Lösung für das Platzproblem der Schule gefunden.

Eine Woche lang haben sich die Klassen auf unterschiedliche Weise mit dem Jahrestag auseinandergesetzt. Die größeren Schüler studierten das Schauspiel für die nachgestellte Grundsteinlegung ein. Die Kleineren erkundeten, wie es zuging vor 150 Jahren in Döbeln. Sie gingen auf Stadtrundgang, besuchten die Feuerwehr, die auch 150 Jahre alt ist, fuhren mit großem Vergnügen Pferdebahn. Und sie besichtigten die Firma Knobloch, die damals fast schon existierte.

Die Viertklässler wissen jetzt, wie es zuging in einer Schule, wo der Rohrstock noch Konjunktur hatte. Mit Begeisterung sagten sie den Spruch des braven Schülers von damals auf: „Hände falten, Schnabel halten, gerade sitzen, Ohren spitzen.“ Die 5b hatte den Film „Mohr und die Raben von London“ angesehen, der das Problem der Kinderarbeit beleuchtete. „Die mussten damals zwölf Stunden am Tag arbeiten und durften nur einmal auf Toilette“, erzählten die Fünftklässler.

Zwei Jahre war an der Schloßbergschule gebaut worden. 2019 gibt es also Anlass, dem 150. Jahrestag der Eröffnung zu gedenken. Wahrscheinlich gibt es dann ein gemeinsames Projekt mit dem Lessing-Gymnasium. Das war 1869 gerade im Bau und die ersten Döbelner Realgymnasiasten wurden auf dem Schloßberg eingeschult.

Der Heimatforscher Jürgen Dettmer, der selbst 20 Jahre auf dem Schloßberg unterrichtet hatte, drückte Schulleiterin Dagmar Dettke eine Rarität in die Hand: Ein Heft zum 100. Jahrestag der Schule 1969, das es eigentlich nicht geben dürfte. Die Schulleiterin freute sich. „Wir wussten, dass es existiert, aber wir hatten es nicht.“ Das ist auch kein Wunder, wie Dettmer erklärte.

Das Heft war seinerzeit aus ideologischen Gründen im „Giftschrank“ verschwunden. Es war schon gedruckt, etliche Exemplare verkauft, als es eingezogen wurde. „100 Jahre Schloßbergschule“ stand zu groß auf dem Titel und „20 Jahre DDR“ zu klein, erklärte Dettmer. „Das Vorwort durfte auch nicht sein. In dem Heft war zu viel Historie und zu wenig Arbeiterbewegung drin.“