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Zeitreise in die Tiefe

Einen Blick in 800 Jahre alte Bergwerke werfen? Archäologische Forschung und moderne Technik machen es möglich.

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© Egbert Kamprath

Von Franz Herz

Dippoldiswalde. Tief unter den Straßen und Gärten von Dippoldiswalde liegen einzigartige mittelalterliche Stollen und Schächte. Das Besondere ist, dass sie erhalten geblieben sind in ihrem alten Zustand – und dass man heute wieder an sie rankommt. Aber das ist immer nur in einem ganz kurzen Zeitraum möglich. Der ist bei vielen der Dippser Bergwerke schon wieder vorbei. Sie sind heute unter meterdicken Betonriegeln verwahrt. Die hat das Oberbergamt einbauen lassen, um zu vermeiden, dass sich Tagesbrüche mitten in der Stadt öffnen, womöglich Gebäude beschädigt werden oder jemand in ein solches Loch fällt.

Die Archäologen hatten die Chance, vor der Verfüllung die alten Minen zu untersuchen, genau zu dokumentieren und noch vorhandene Überreste von Holzeinbauten, Werkzeug oder anderen Hilfsmitteln zu bergen. Aber wie sieht so ein mittelalterlicher Schacht in Wirklichkeit aus?

Nur wenige Menschen können sich das vor Ort ansehen. Denn die Hohlräume sind eng und niedrig. Unten steht das Wasser. Meist kann man dort nur kriechen. Selbst die heutigen Bergleute der Bergsicherung mussten diese Hohlräume erst aufweiten, bevor sie dort arbeiten konnten. Ein Besucherbergwerk dort einzurichten, wäre nicht möglich.

Christiane Hemker, die Leiterin des Archaeomontan-Projekts, das den mittelalterlichen Bergbau im Erzgebirge erforscht, hat sich schon lange Gedanken gemacht, wie auch ganz normale Dippser oder Besucher der Stadt einen Eindruck von den mittelalterlichen Gruben gewinnen könnten. Deswegen hat sie ein neues Forschungsprojekt auf den Weg gebracht: Virtual Arch. Dippoldiswalde ist eine der Pilotregionen in diesem europaweiten Projekt.

Es geht darum, wie Techniken der Virtualisierung eingesetzt werden können, um für Menschen solche Orte erlebbar zu machen, an die sie sonst nicht rankommen: etwa die mittelalterlichen Bergwerke von Dippoldiswalde, aber nicht nur diese. Das Projekt umfasst acht europäische Länder. Archäologen wollen beispielsweise einen mittelalterlichen Hafen an der polnischen Ostseeküste, dessen Anlagen heute tief im Wasser liegen, auf diese Art lebendig werden lassen, oder Pfahlbauten, die in einem Moor in Slowenien versunken sind, wie Christian Lobinger erzählt, der das Virtual-Arch-Projekt koordiniert.

In Dippoldiswalde verwenden die Entwickler dafür die Daten, welche die Forscher des EU-Projekts Archaeomontan in den vergangenen Jahren zusammengetragen haben. Sie haben beispielsweise die Stollen mit einem dreidimensionalen Laser gescannt, ebenso alle Gegenstände, die sie darin gefunden haben. Daraus können sie jederzeit ein Modell dieser Fundorte berechnen.

Andrej Jostes hat auf diese Art den Schacht rekonstruiert, der sich unter dem Busbahnhof in Dippoldiswalde befand. Im Labor des archäologischen Landesamts in Dresden wurde diese Darstellung soweit verfeinert, dass man sozusagen einen Film sehen kann, in dem sich die Kamera durch dieses Bergwerk bewegt. Ein weiterer Gedanke ist, die mittelalterliche Bergbausiedlung, welche die Archäologen auf dem Grundstück des ehemaligen Hotels Roter Hirsch erforscht haben, wieder lebendig werden zu lassen, allerdings nur als Rundumansicht, die man mit einer Spezialbrille betrachten kann. Das hat mehrere Vorteile. Es ist nicht so aufwendig, vor allem nicht so kostspielig, wie ein richtiger Wiederaufbau, für den man auch erst einen geeigneten Platz finden müsste. Außerdem kann eine virtuelle Rekonstruktion noch weiter verändert werden, wenn sich neue Erkenntnisse ergeben. Wenn man ein historisches Dorf wieder aufbauen würde, wäre es weit schwieriger, dieses an neue Erkenntnisse anzupassen. Ein erster Schritt für eine solche virtuelle Darstellung der unterirdischen Bergwerke in Dippoldiswalde ist der Lehrpfad, der diesen Monat eröffnet wurde. Er soll in Zukunft ergänzt werden beispielsweise mit QR-Codes, über die Besucher mit ihrem Handy weitere Informationen abrufen können oder einen Film ansehen, der ihnen einen Blick in das Bergwerk ermöglicht, das direkt unter ihren Füßen liegt. Bereits jetzt ist eine solche Zeitreise in die Bergstadt as Dippoldiswalde vor 800 Jahren möglich: im neu eröffneten Museum für mittelalterlichen Bergbau in Dippoldiswalde, abgekürzt Miberz.