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Zahlenmensch liefert Futter für den Kopf

Mit Statistik wird Angst geschürt, sagt Professor Gerd Bosbach und fordert die Sebnitzer auf, genau hinzuschauen.

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© Steffen Unger

Von Heike Sabel

Sebnitz. Gerd Bosbach will über Angst reden. Die vor der demografischen Entwicklung, vorm wirtschaftlichen Niedergang und vor Ausländern. Was der Statistik-Professor damit wirklich wollte: Diese Ängste den rund 40 Zuhörern am Sonnabendabend im Haus des Gastes Sebnitz nehmen und sie als Mittel zum Zweck entlarven.

Der Kölner kam auf Einladung von Stadtbibliothek, Kirchgemeinde und ökumenischer Aktionsgruppe Dresden nach Sebnitz. Den Anstoß hatten Leser gegeben, die „Futter für den Kopf wollten“, sagt Andrea Reimann von der Bibliothek. Und das bekamen sie geballt.

Das große Thema in Gerd Bosbachs Vortrag war Demografie. Die Angst um die zu vielen Alten und zu wenigen Jungen gab es schon in den 1930er- und 1950er-Jahren, sagt Bosbach und hält die höhere Lebenserwartung dagegen. Es heißt, von 2013 bis 2060 gehe die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter in Deutschland um 30 Prozent zurück, zitiert Bosbach eine Statistik. Wer soll dann noch für die Rente der vielen Alten aufkommen? Bosbach entlarvt die Statistik umgehend als interessengetrieben. Die Zahl sei eine „politische Sauerei“. Denn zum einen, erläutert der Professor, habe man für den 30-prozentigen Rückgang ein Renten-Eintrittsalter mit 64 angenommen. Das liege aber längst bei 67 Jahren. Zum anderen lasse man außer Acht, dass auch die Produktivität der Unternehmen und Arbeitnehmer steigt.

Um den tatsächlichen Rückgang der Arbeitskräfte auszugleichen, müsste ein Unternehmen mit 125 Leuten jedes Jahr einen Mitarbeiter einsparen, rechnet Bosbach vor. „Wenn es die steigende Produktivität nicht schafft, dies auszugleichen, können wir zumachen“, sagt Bosbach.

Er bezeichnet sich als Faktenmenschen. Die Ängste aber seien da, auch wenn sie nicht belegbar seien. Und solche Ängste halten sich. Das sei wie beim Spinat, der ja wegen seines Eisengehaltes so gesund sei. Obwohl bewiesen sei, dass es sich bei der Messung des Eisengehalts um einen Kommafehler handelte, hat sich der gesunde Spinat in den Köpfen eingeprägt.

Manchmal lügt eine Statistik nicht, manchmal ist es einfach das Weglassen, das sie auf den Kopf stellt. Bosbachs Beispiel sind die Erstanträge auf Asyl. Die waren 1991/92 schon mal so hoch wie 2015/16. Zeigt man die Kurve nur von 2006 bis 2016, geht sie steil bergauf.

Mit dem CDU-Politiker Wolfgang Bosbach verbindet den Professor Bosbach nichts – außer, dass beide nur vier Kilometer auseinander wohnen und sich kennen. Als Politiker zählt der andere Bosbach zu einer der Gruppen, die aus Sicht von Statistik-Bosbach zu den Profiteuren der Angst gehören. Die anderen sind: Unternehmen, Versicherungen, Medien.

Eine Zuhörerin sprach im Anschluss an den Vortrag ihre ganz konkrete Angst an: Die Gesundheit, dafür gebe der Staat zu wenig Geld aus, zu viel aber für die Rüstung. Der Ärztemangel habe nichts mit der Demografie zu tun, wie behauptet werde, sagt Bosbach, sondern mit dem Numerus clausus, der vielen, die studieren wollen, dies nicht ermögliche. Die Sebnitzer Zuhörer waren sich mit Bosbach in einem einig: Statistiken müssen hinterfragt werden.