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Wohnen zwischen Strohballen

Das Haus von Familie Förster in Holtendorf trotzt sämtlicher Witterung. Es besteht nur aus Naturmaterialien.

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© Constanze Junghanß

Von Constanze Junghanß

Holtendorf. Familie Förster wohnt inmitten von Strohballen. 1 200 Stück sind das, die im Holtendorfer Haus verbaut wurden. Zu sehen sind sie nicht, weder von innen noch von außen. Ein ganz normales Haus auf den ersten Blick, verkleidet mit Holz. Nur neben dem Drachenrelief aus Lehm haben die Bauherren ein rundes Guckloch freigelassen und verglast. Ein Blick durch das Minifenster zeigt: Innen stecken dicht an dicht gepresst unzählige goldgelbe Halme. Seit zehn Jahren steht das selbst entworfene Haus. Und hält – jeglichen Unkenrufen zum Trotz – sämtlichen Witterungen stand. Selbst der trocken-heiße Sommer 2018 machte dem Gebäude nichts aus, ebenso wenig bitterkalte Winter.

Das verglaste „Guckloch“ lässt einen Blick ins „Innenleben“ vom Haus zu. Heilpraktikerin Kerstin Förster lebt mit ihrem Mann seit zehn Jahren im Strohballenhaus.
Das verglaste „Guckloch“ lässt einen Blick ins „Innenleben“ vom Haus zu. Heilpraktikerin Kerstin Förster lebt mit ihrem Mann seit zehn Jahren im Strohballenhaus. © Constanze Junghanß

Als die Familie mit dem Bau begann, hätten das die Nachbarn schon etwas ungewöhnlich gefunden, erinnert sich Kerstin Förster. „Wir wurden gefragt, ob sich da nicht die Mäuse und Ratten einnisten werden“, erzählt die Heilpraktikerin. Doch Maus und Co. kommen gar nicht rein ins Stroh. Von unten schützt ein Fundament und alle Wände sind verkleidet. Im Innenbereich ist das ein Gemisch aus Lehm und Sand. Der Lehm stammt vom eigenen Grundstück und fiel beim Ausbaggern des Fundaments als kostenloses Baumaterial mit an. Das Strohballenhaus zählt zu den wenigen seiner Art im Gebiet der Oberlausitz. Bei Zittau gibt es noch ein solches Haus. Und in Oderwitz steht ein Musterhaus der Firma Richter-Naturhaus, bei dem ebenfalls mit Strohballen gebaut wurde. Firmenchef Ralf Richter sagt, dass ein Trend hin zu Naturmaterialien beim Bau ersichtlich sei. Die Nachfrage steige in letzter Zeit. „Wir haben in der Region nun schon einige Anbauten an Häuser gemacht, bei denen Strohballen zum Einsatz kamen“, so der Unternehmer.

Während hierzulande Strohballenbauten eher (noch) zu den außergewöhnlichen Bauwerken zählen, werden anderswo auf der Welt solche Häuser seit über 100 Jahren gebaut. Berühmtes Beispiel ist die Pilgrim-Holiness-Kirche in Nebraska, Baujahr 1928. Die Strohbau-Geschichte – so ist auf den entsprechenden Informationsseiten im Internet nachzulesen – sei eng mit der Erfindung der Strohballenpressen in den USA verknüpft. Das war bereits um 1870. Dort, wo riesige Getreidefelder Stroh nach der Ernte im Überfluss erzeugten, wurde das Material zuerst für vorübergehende Unterkünfte genutzt. Die hätten sich haltbarer erwiesen als gedacht. Ab den 50er Jahren ersetzten moderne Baustoffe das Stroh. Einen Boom erlebten Strohballenhäuser erst später wieder in alternativen und ökologischen Kreisen.

Über das erste Strohballenhaus in der Bundesrepublik berichtete der Radiosender Deutschlandfunk 2004 ausführlich. Mittlerweile soll es weit über 100 solcher Häuser deutschlandweit geben. Sogar ein Fachverband Strohballenbau (Fasba) hat sich gegründet. Ihm gehören etwa 145 Handwerker, Planer und Interessenten an.

Aber wie kamen die Försters darauf, ein Strohballenhaus zu bauen? Kerstin Förster und ihr Mann besuchten im sachsen-anhaltischen Ökodorf Sieben Linden einen Kurs, lernten dort mit dem Material umzugehen. Das sei damals eher dem Zufall geschuldet gewesen, so die Holtendorferin. Försters suchten ein spontanes Urlaubsziel und landeten in der sozial-ökologischen Modellsiedlung der Gemeinde Beetzendorf. Dort entstehen die Häuser im Wesentlichen alle in Strohballenbauweise. Das faszinierte das Ehepaar ebenso, wie der ökologische Gedanke dahinter: Stroh vom Acker nebenan und im Haus selbst ein gesundes Raumklima – dank der Naturmaterialien. Fachgerecht gebaut halte ein solches Strohhaus fast ewig. Der Bauantrag sei problemlos möglich gewesen.

Försters konnten ihrem Haus quasi beim Wachsen zuschauen. Das Roggenstroh stammt vom regionalen Bauern aus Pfaffendorf. „2008 haben wir das Stroh bei der Genossenschaft selber mit geerntet, liefen dem Mähdrescher hinterher“, erzählt die ehemalige Bio- und Chemielehrerin. Ein Hobbybauer habe seine spezielle Hochdruckpresse bereitgestellt. Denn die Ballen müssen fest zusammengedrückt werden, bevor sie in die Holzständer-Konstruktion kommen. Zum Bau der Konstruktion konnte die Familie eine Zimmerei aus Sohland gewinnen. Das komplette Haus mit über 250 Quadratmetern Wohnfläche, zu der auch die Praxisräume gehören, entstand also ausschließlich mit regionalen Materialien und regionalen Firmen. „Wir haben außerdem vieles selbst gemacht, wie das Verputzen und die Verkleidung der Wände“, sagt Kerstin Förster, die gern in ihrem ganz besonderen Haus lebt.