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Wohnen in der alten Scheune

Zwei junge Leute ziehen nach Dresden. Bald jedoch kehren sie mit ihren zwei Kindern zurück in die alte Heimat.

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Von Jürgen Müller

Mandy Zschätzsch warnt vor: „Das ist noch eine Bautreppe. Und die Wände sind gerade gestrichen worden.“ Im Wohnzimmer, offen mit der Küche verbunden, ist vom Bauen nichts mehr zu sehen. Auf dem Tisch steht ein Strauß roter Rosen. Ihr Mann Sebastian hatte vor wenigen Tagen Geburtstag. Er holt seinen Laptop, zeigt Fotos. Kaum zu glauben, was da zu sehen ist. Vor gut einem Jahr war das noch der Heuboden einer Scheune auf dem Grundstück von Mandys Eltern in Boritz. Die junge Familie hat die Scheune vollständig um- und ausgebaut. Es blieben praktisch nur die Außenmauern stehen, ansonsten blieb kein Stein auf dem anderen. Das Gebäude wurde entkernt, neue Wände eingezogen, das Dach gedeckt, Fenster eingesetzt.

So sah die Scheune noch vor zwei Jahren vor dem Umbau aus.
So sah die Scheune noch vor zwei Jahren vor dem Umbau aus.
Mandy und Sebastian Zschätzsch mit ihren Kindern Milena und Holly vor ihrem neuen Wohnhaus in Boritz. Kaum zu glauben, dass das bis vor Kurzem mal eine Scheune war. Foto: Sebastian Schultz
Mandy und Sebastian Zschätzsch mit ihren Kindern Milena und Holly vor ihrem neuen Wohnhaus in Boritz. Kaum zu glauben, dass das bis vor Kurzem mal eine Scheune war. Foto: Sebastian Schultz

Am 6. Juni dieses Jahres war Einzug für die Familie mit ihren zwei Kindern Milena (3) und Holly (1). Auf den Tag genau ein Jahr zuvor startete der Umbau. „Eigentlich wollten wir schon im Mai einziehen. Im Januar waren die Kinderzimmer fertig, wir haben uns Raum um Raum vorgearbeitet“, sagt der 31-jährige gelernte Elektroniker, der aus Uebigau bei Großenhain stammt.

Mit dem Landleben hatten er und seine zwei Jahre jüngere Ehefrau eigentlich abgeschlossen. Beide arbeiteten seit 2013 in Dresden, hatten dort auch eine 60 Quadratmeter große Wohnung gefunden. Dann kam das erste Kind. „Wir suchten eine Vier-Raum-Wohnung, spielten auch mit dem Gedanken, ein Haus zu bauen. Vor allem aber wollten wir wieder aufs Land. Wir stammen beide vom Dorf, das Stadtleben war nichts für uns“, sagt Sebastian Zschätzsch. Deshalb ist die Familie damals jedes Wochenende in Boritz, will raus aus der Stadt. Mehr oder weniger aus einer Bierlaune heraus entstand die Idee, die alte Scheune bei den Schwiegereltern als Wohnhaus auszubauen. Die wurde im Grunde nicht mehr genutzt, war nur noch Lagerraum. Früher hatten die Eltern von Mandy Zschätzsch ein bisschen Landwirtschaft, Schweine, Rinder, heute nur noch Hasen, Tauben, Enten. Die Scheune wurde nicht mehr gebraucht.

„Ich wusste gar nicht, ob ein Umbau der Scheune so einfach geht“, sagt die gelernte Floristin Mandy Zschätzsch. Da trifft es sich gut, dass ein Onkel bei einer Baufirma arbeitet, ein Nachbar Zimmermann ist. Und so nimmt die Familie den Umbau in Angriff. Der Architekt macht sie schließlich darauf aufmerksam, dass es für einen solchen Umbau Fördermittel geben kann. Die Familie beantragt welche aus dem Leader-Programm für die Lommatzscher Pflege. Und bekommt welche. 40 Prozent der Kosten werden nun gefördert. „Das ist eine Menge Geld, für das man lange arbeiten müsste“, sagt Mandy Zschätzsch. Für das Geld, das der Umbau der Scheune insgesamt kostete, hätte die Familie auch ein neues Haus bauen können. Allerdings niemals mit einer Wohnfläche von 160 Quadratmetern.

Die Bürokratie unterschätzt

Anfangs hatten die Boritzer wohl den Aufwand ein bisschen unterschätzt, vor allem den bürokratischen. „Ich dachte, es geht ganz schnell“, gibt Mandy Zschätzsch zu. Doch es dauert ein Jahr von der Antragsstellung bis zum Baubeginn. „Es war schon ganz schön hart. Jedes Wochenende haben wir auf dem Bau gearbeitet, während die Schwiegereltern auf die Kinder aufpassten“, erinnert sich Sebastian Zschätzsch. Und es ist noch viel zu tun, auch wenn äußerlich das Haus fertig zu sein scheint. Die Treppe muss noch eingebaut werden, eine moderne Holzpelletheizung, mit der auch das Haus der Schwiegereltern beheizt werden soll, wird demnächst installiert. Neben den fünf Zimmern stehen der Familie eine große Garage, ein Partyraum und ein Fahrradraum zur Verfügung.

Die Familie ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie der ländliche Raum wiederbelebt werden kann. Das ist auch das Ziel des Fördervereins für Heimat und Kultur in der Lommatzscher Pflege. „Junge Familien sollen sich wieder in der Region ansiedeln, hier leben, die Gegend mitgestalten, die Kulturlandschaft bewahren“, sagt Vereinsvorsitzende Anita Maaß, die auch Bürgermeisterin von Lommatzsch ist. Über den Verein läuft die Vergabe der Fördermittel. Allein in der jetzigen Förderperiode gab es rund zehn Millionen Euro, die vorrangig dafür eingesetzt werden, um in alten Gebäude zwischen Klipphausen, Lommatzsch und Riesa wieder Wohnraum zu schaffen. Anita Maaß freut sich über Leute wie die Familie Zschätzsch. „Das sind Menschen, die voller Energie alten Häusern mit guten Ideen neues Leben einhauchen. Es sind keine Schwätzer, sondern Macher, die historische Werte bewahren.“

So hoch wollen die Boritzer die Latte gar nicht hängen. „Wir hätten auch ohne Förderung irgendwann gebaut, aber es ist natürlich schön, dass junge Familien wie wir dabei unterstützt werden“, sagt Sebastian Zschätzsch. Dass die Entscheidung, von der Stadt zurück aufs Land zu ziehen fiel, hat noch andere Gründe. In der Gemeinde Hirschstein gibt es gute Kindereinrichtungen, eine Grundschule, und auch das Internet ist mit einer Geschwindigkeit von 50 Mbit ausreichend. Und für die beiden Kinder gibt es  nur einen Steinwurf vom Haus entfernt einen großen öffentlichen Spielplatz. Ihren Schritt von Dresden zurück nach Boritz hat die Familie jedenfalls nicht bereut. Nicht nur sie profitiert davon, sondern auch das Ortsbild. „Viele Leute kommen und staunen, was aus der alten Scheune geworden ist“, sagt Mandy Zschätzsch. In Boritz wohnen nun vier Generationen unter zwei Dächern, räumlich getrennt und doch eng beieinander. „Das ist doch sehr praktisch. Jetzt helfen uns Großvater und meine Eltern bei der Betreuung der Kinder, später sind wir im Alter für sie da“, sagt die 29-Jährige.