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Wölfe jagen Hirsch durchs Dorf

Die Einwohner von Cunnewitz sind entsetzt. Bautzens Landrat fordert Konsequenzen.

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© Kristin Richter

Von Jana Ulbrich

Die Kinder hätten tot sein können! Johannes Scholze steht noch immer das Entsetzen im Gesicht geschrieben. Und seine Stimme zittert, wenn er das Geschehen vom vergangenen Freitagmorgen jetzt noch einmal schildert: Er steht an seinem Gartenzaun im Ralbitz-Rosenthaler Ortsteil Cunnewitz. Die stabilen Eisenstäbe sind verbogen. Johannes Scholze hat den Zaun inzwischen wieder aufgerichtet. Ein kapitaler Damhirsch, vier Jahre alt, hatte den Eisenzaun in der Nacht zum Freitag in panischer Flucht vor einem Wolf niedergerissen. Direkt am Zaun hatten wenige Tage zuvor noch Scholzes Enkel und ein Nachbarkind gezeltet. Der Zaun lag genau dort, wo das Zelt gestanden hatte.

Johannes Scholze kommt da nicht drüberweg. „So etwas darf doch nicht passieren“, sagt er immer wieder und schüttelt verständnislos den Kopf. „So etwas darf auch nicht passieren“, sagt Bautzens Landrat Michael Harig (CDU) ganz klar. Der Landrat ist nach Cunnewitz gekommen, um sich selbst ein Bild von diesem jüngsten Wolfsangriff des Rosenthaler Rudels zu machen.

Johannes Scholze zeigt ihm den Weg, den der Hirsch auf seiner Flucht mitten durch das Dorf genommen hat. An den niedergetrampelten und eingerissen Zäunen ist auch Tage später noch gut zu erkennen, wo das Tier zwischen den Häusern und Schuppen über die Grundstücke der Cunnewitzer geflohen ist. Am stabilen Holztor zu Scholzes Hühnergarten ist Schluss. Hier sinkt der verletzte Hirsch zu Boden, ein Wolf springt ihm an die Kehle.

Ein Nachbar, den der Lärm aus dem Schlaf gerissen hatte, hat das beobachtet. Als er den Wolf vom Schlafzimmerfenster aus mit einer starken Taschenlampe anleuchtet, ergreift das Tier die Flucht. Der Hirsch verendet. Später wird auf einem Feld nur wenige Meter vom Dorf entfernt noch ein zweiter totgebissener Damhirsch gefunden. Michael Harig fordert jetzt Konsequenzen.

Der Vorfall zeige eine neue Dimension des Wolfs-Problems in der Oberlausitz, erklärte er. „Wenn sich Wölfe auf ihrer Jagd nach Beute direkt in die Orte wagen, dann sind sie auch für Menschen eine Gefahr“, sagt der Landrat. Wenn sich die Menschen in den Orten nicht mehr sicher fühlen können, dann bestehe dringender Handlungsbedarf. Dann muss es möglich sein, dass Wölfe zur Gefahrenabwehr geschossen werden dürfen, sagt er. „Zuerst müssen die Menschen kommen und das Eigentum der Menschen“, ist Harig überzeugt. „Wenn sich Großraubtiere an die Siedlungen wagen, dann muss ein Jäger nicht nur das Recht, sondern die Pflicht zum Eingreifen haben.“

Michael Harig will sich mit dieser Thematik auch an Bund und Land wenden. Für den Landrat ist der Vorfall erneut ein ernstes Zeichen dafür, dass der Wolf zunehmend zum Konfliktpotenzial wird. Wir brauchen feste Regularien und Schranken, wie mit solchen Konflikten umgegangen werden kann.

Für eine Bejagung in derartigen Konfliktfällen aber bedürfe es dringend einer rechtlichen Legitimation. „Der Umstand, dass Menschen zu unrechtmäßigem Töten – einschließlich des Versenkens eines Kadavers in einem See wie jüngst in Mortka – getrieben werden, ist bedenklich“, sagt der Landrat.

Aus dem Kontaktbüro „Wölfe in Sachsen“ gab es bisher keine Stellungnahme zu dem Vorfall in Cunnewitz.

Die Bürgerinitiative zur Begrenzung der Wolfspopulation in der Lausitz, die bereits im Januar eine Petition an den Landtag gerichtet hatte, hat den Vorfall vom vergangenen Freitag inzwischen genau dokumentiert und will sich damit nun auch an das Sächsische Innenministerium wenden. „Hier geht es schließlich um unsere Sicherheit“, sagt die Sprecherin der Bürgerinitiative, Gabriele Lebsa, aus Neschwitz.